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„Die Stimmungslage in Deutschland ist beunruhigend. Die Mehrheit der Menschen glaubt, Deutschland hätte seinen Zenit überschritten.“ Damit meint Renate Köcher die stagnierende Wirtschaft und das Empfinden vieler Menschen, der deutsche Staat leiste keine gute Arbeit mehr für seine Bürgerinnen und Bürger.
Über die Stimmung in Deutschland weiß wohl kaum jemand besser Bescheid als Renate Köcher, Deutschlands bekannteste Meinungsforscherin. Die studierte Volkswirtin und Soziologin leitet seit mehr als 30 Jahren das Institut für Demoskopie (IfD) Allensbach. Gemeinsam mit dem ZU-Honorarprofessor Klaus Schönbach und der ZU-Masterstudentin Josephine Ruppenthal und vor voll besetzten Rängen im Graf von Soden Forum diskutierte Köcher über Meinungsforschung und wie sie die Gesellschaft voranbringen kann.
Klaus Schönbach hinterfragt das Verhältnis von Meinungsforschung und Politik: Sollte sich die Politik nur nach aktuellen Stimmungsbildern der Gesellschaft richten? „Zunächst einmal“, antwortet Köcher, „haben wir in Deutschland eine repräsentative und keine direkte Demokratie.“ Die Demoskopie solle die Politik nicht direkt bestimmen in dem Sinne, dass Politikerinnen und Politiker nur noch Politik für die eigenen Umfragewerte machen, aber: „Politikerinnen und Politiker sollten die Demoskopie mehr und vor allem anders nutzen. Sie sollten mithilfe der Demoskopie schauen: Wie geht es den verschiedenen sozialen Schichten in diesem Land?“, bemerkt Köcher.
Demoskopie könne dafür genutzt werden, die Umsetzung von politischen Vorhaben zu unterstützen. Köcher zieht als Beispiel die Debatte um das neue Heizungsgesetz heran. „Hätte die Regierung mithilfe der Demoskopie die gesellschaftlichen Voraussetzungen geprüft und geschaut, was für die Menschen aktuell möglich ist und was nicht, wäre ihr viel Ärger erspart geblieben“, erklärt Köcher.
Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Meinung in Umfragen nicht vorkommt. Warum ist das so? Das möchte Josephine Ruppenthal wissen. „Auf die Stichprobe kommt es an“, entgegnet Köcher. Diese müsse selbstverständlich repräsentativ sein und Menschen aus allen Regionen, Altersklassen und Hintergründen abbilden. Außerdem gilt der Grundsatz: Je mehr Befragte, desto besser.
Ein weiteres Problem, das Renate Köcher Sorge bereitet, ist die zunehmende Zurückhaltung bestimmter Meinungen im öffentlichen Raum. Menschen, deren Meinung von der öffentlichen Mehrheitsmeinung abweicht, würden diese nicht mehr äußern. Das führt dazu, dass weitere Bürgerinnen und Bürger ihre abweichende Meinung zurückhalten. „Dann gelangen wir in eine Schweigespirale“, kritisiert Köcher. Ihr Appell: „Wir sollten alle Kraft aufwenden, eine offene zivilisierte Debatte zu führen.“