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Frau Eldem, Sie sind Geschäftsführerin und Gründerin von IN-VISIBLE. Mit Ihrem Unternehmen helfen Sie anderen Organisationen, innerhalb dieser Gleichstellung voranzutreiben. Wie gestaltet sich Ihre Arbeit konkret?
Rea Eldem: Neben meinen Aufgaben als Geschäftsführerin bin ich auch weiterhin Teil von unseren Beratungsprojekten. Beispielsweise spreche ich mit den Mitarbeitenden unserer Kund*innen, arbeite deren Probleme heraus und entwickle dann zusammen mit meinem Team Lösungen. Neben den Beratungsaufgaben kommen meine Aufgaben als Geschäftsführerin dazu. Das sind etwa Personalmanagement, strategische Weiterentwicklung, aber auch Öffentlichkeitsarbeit. Also solche Dinge, die weniger das Kerngeschäft von IN-VISIBLE betreffen, aber eben Teil meiner Rolle als Geschäftsführerin sind.
Warum gewinnen die Themen „Gleichstellung“ und „Diversität“ in großen Unternehmen aktuell so stark an Bedeutung?
Rea Eldem: Wir sehen, dass viele Organisationen sich verbessern und diverser aufstellen möchten. Die haben gemerkt, dass das ein Vorteil, auch ein Wettbewerbsvorteil, sein kann. Jedoch haben Organisationen teilweise Schwierigkeiten, diese Transformation zu einer zeitgemäßen Arbeitsstruktur selbst voranzutreiben. Die haben oft starr hierarchische, eingekrustete Strukturen. Die Kultur, wie sie über Jahrzehnte in einigen Unternehmen gewachsen ist, funktioniert für manche nicht so gut, wie für andere. Und damit meine ich Frauen, aber auch queere Personen, People of Color oder Leute, die einfach nicht in diese Norm des weißen, 50-jährigen BWLers passen.
Inwiefern kann denn die Diversität eines Unternehmens ein Wettbewerbsvorteil sein?
Rea Eldem: Es gibt viele Studien, die zeigen, dass die Innovationskraft von Unternehmen steigt, wenn sie diverser aufgestellt sind. Darüber hinaus ist es derzeit ein großes Problem für viele Organisationen, genügend Fachkräfte zu finden. Nicht aus dem gesamten Talentpool zu schöpfen, können sich die meisten Unternehmen gar nicht leisten. Die stellen sich dann die Frage: Wie können wir als Arbeitgeber:innen die wenigen Fachkräfte, die es gibt, für uns gewinnen und nicht an die Konkurrenz verlieren?
Wie gehen Sie mit Ihrem Unternehmen vor, wenn sich ein Kunde an Sie wendet und sagt: „Wir müssen uns modernisieren, wissen aber nicht, wie?“
Rea Eldem: Ein Unternehmen kommt auf uns zu mit verschiedenen Problemen. Zum Beispiel, dass Mitarbeiterinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen bei Beurteilungsprozessen schlechter abschneiden, trotz eigentlich gleicher Qualifizierung. Oder dass bei einer Umfrage herauskam, dass Frauen sich in dem Unternehmen weniger wohlfühlen. Dann gehen wir in dieses Unternehmen und führen qualitative Interviews, manchmal in Kombination mit einer quantitativen Umfrage. Wir sprechen viel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Meistens kommen dann diejenigen zu uns, die einen Leidensdruck haben. Wir hören uns das alles aufmerksam an, anschließend werten wir es aus. Das Thema Gendergerechtigkeit ist sehr stark mit Sexismus verbunden, also der Benachteiligung von Personen auf Basis von Geschlecht. In unseren Umfragen kommt beispielsweise heraus, dass das Management, oft ohne schlechte Intention, eine sexistische Kultur vorlebt. Oder dass es schwer ist, mit dem oder der Vorgesetzten über Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, weil es komplizierte Freundschaftsverbindungen innerhalb des Unternehmens gibt. Das wären so ganz klassische Fälle. Oftmals liegt es auch am toxischen Umgangston in einem Unternehmen.
Wenn Sie die Probleme analysiert haben, wie gehen Sie dann vor?
REA ELDEM: Auf Basis unserer Interviews schlagen wir dem Unternehmen dann konkrete Maßnahmen vor. In diesen Beispielen könnten z.B. Maßnahmen zur Bewusstseinserweiterung helfen, also Awareness-Trainings in Form von Vorträgen, Coaching für Führungskräfte oder interaktiven Inputs. Die haben dann Themen wie „Warum braucht man überhaupt Diversität?“, „Wie gehe ich mit Sexismus am Arbeitsplatz um?“ oder „Wie kann ich einen guten Umgang mit Trans-Personen an meinem Arbeitsplatz haben?“. Gleichzeitig arbeiten wir auch mit den Personalerinnen und Personalern zusammen und schauen, ob es z.B. einen Bias im Auswahlprozess gibt. Einige Jahre später checken wir dann mit diesem Unternehmen, ob die Probleme behoben werden konnten.
Ihre akademische Laufbahn begann 2012 an der Zeppelin Universität. 2016 haben Sie dort Ihr Bachelor-Studium in Kommunikationswissenschaften abgeschlossen. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Rea Eldem: Mich hat vor allem die Ermöglichungskultur an der ZU geprägt. Die Leute an der Uni haben es normalisiert, dass man sich Sachen traut, die auf den ersten Blick vielleicht eine Nummer zu groß erscheinen. In meinem zweiten Semester habe ich „Seekult“, ein Kulturfestival in Friedrichshafen, mitorganisiert und das Team geleitet. Im Rahmen meines Humboldt-Projekts habe ich mit drei Freund:innen das Café Herz gegründet, ein Pop-Up-Café in der Innenstadt. Wir haben versucht, ein bisschen studentische Kultur nach Friedrichshafen bringen und einen Ort der Begegnung zu schaffen. Solche Projekte waren für mich bahnbrechend, weil ich damit eine Selbstwirksamkeitserfahrung gemacht habe und gemerkt habe „Cool, ich kann das. Und wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm.“ Als Studierende genießt man noch eine Art Welpenschutz. Die ZU war für mich wie eine Spielwiese, auf der ich Sicherheit bekommen habe und das Selbstbewusstsein, Dinge einfach auszuprobieren.
Wie ging es nach Ihrem Bachelor weiter?
Rea Eldem: Ich bin nach Berlin gezogen und habe am Hasso-Plattner-Institut ein Jahr die Zusatzausbildung in „Design Thinking“ gemacht, weil ich Lust auf etwas Praktisches hatte. „Design Thinking“ ist eine Innovationsmethode, da lernt man in sechs Phasen den Umgang mit komplexen Problemen in interdisziplinären Teams, von der Problemidentifizierung bis zur Lösungsentwicklung. Es hat eine wissenschaftliche Fundierung, ist aber super praxisorientiert. Man hat dort Projektpartner:innen aus Wirtschaft oder Politik und entwickelt im Team Lösungen für deren Probleme. Das war ein cooler Kontrast im Vergleich zum sehr theorielastigen Studium davor.
Neben meiner Ausbildung in „Design Thinking“ habe ich Kurse an der Technischen Universität Berlin beim Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung belegt. Ich fand das Thema total spannend und habe gemerkt, dass es mich weiterbringt. Deshalb habe ich 2017 meinen Master in Gender Studies an der Cambridge University gemacht.
Im Anschluss an Ihren Masterabschluss an der University of Cambridge haben Sie dann das Start-up IN-VISIBLE gegründet. Was war Ihre Motivation hinter dieser Unternehmensgründung?
Rea Eldem: Die Gründung kam ein bisschen aus einer Frustration heraus. Mir ist in Cambridge aufgefallen, dass so viel Wissen der Studierenden in der Forschung bleibt und nie den Weg in die Praxis findet. Es gab große Unterschiede zwischen England und Deutschland, was den akademischen Diskurs anging. Themen wie Schwarzer Feminismus und kritische Auseinandersetzung mit kritischer Theorie haben mir in Deutschland gefehlt. Eine noch größere große Lücke gab es zwischen dem akademischen und dem breiten öffentlichen Diskurs. In den letzten fünf Jahren hat sich da ein bisschen was getan, aber zu dem Zeitpunkt wurde Alltagssexismus sehr isoliert betrachtet. Es gab kaum intersektionale Betrachtungen, also welche, die Sexismus auch im Zusammenspiel mit Rassismus und anderen Diskriminierungserfahrungen thematisierten. Mich hat das besorgt und ich wollte das ändern. Als Selbstständige habe ich Workshops gegeben und Vorträge gehalten, und aus dieser Tätigkeit hat sich dann IN-VISIBLE als Unternehmen gegründet.
Wie hat sich Ihr Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren entwickelt?
Rea Eldem: Wir sind total gewachsen. Mittlerweile sind wir drei Festangestellte und zehn Freiberufler:innen, die punktuell an Projekten mitarbeiten. Dadurch sind wir sehr flexibel und können viele verschiedene Perspektiven einbringen. Ich selbst kann und möchte nicht zu allen Themen sprechen, deswegen arbeiten wir mit ganz verschiedenen Leuten aus der Community, die unterschiedliche Sprechsituationen mitbringen. Auch die Aufträge haben sich in den letzten fünf Jahren stark verändert. Früher haben wir Vorträge und Workshops gemacht, mittlerweile begleiten wir unternehmerische Transformationsprozesse über mehrere Jahre hinweg. Da sind Workshops natürlich noch ein Teil von, aber es geht darum, die Strukturen in den Unternehmen nachhaltig zu verändern.
Wo steht die deutsche Unternehmenslandschaft ihrer Einschätzung nach in Sachen „Diversität“ und „Gleichstellung“?
Rea Eldem: Im internationalen Vergleich würde ich sagen: geht so. Wir stehen schlechter da als England oder die USA. Im OECD-Vergleich ist Deutschland in Sachen Gendergerechtigkeit Schlusslicht mit Ländern wie Japan oder Südkorea. Es wird viel über Geschlechtergerechtigkeit geredet, aber wenig über all das, was zu der vorliegenden Geschlechterungerechtigkeit führt. Das liegt auch daran, dass das Thema Sexismus in Deutschland noch etwas tabuisiert ist. Es gab bis heute keine große #metoo Bewegung, wie etwa in den USA. Fälle tauchen immer wieder auf und werden einzeln, individuell analysiert, aber ohne anzuerkennen, dass wir es mit Strukturen zu tun haben. Wir können aber schlecht über Gendergerechtigkeit sprechen, ohne dabei über Sexismus zu reden, da Sexismus ein zentraler Antreiber von Geschlechterungerechtigkeit ist. Auch wenn aktuell etwas verstärkt darüber gesprochen wird, tut sich Deutschland dahingehend immer noch schwer.
Rea Eldem, 1993 in Bergisch-Gladbach geboren, wuchs in Tokio und Hong-Kong auf. 2016 schloss sie ihr Bachelor-Studium in „Communications, Culture and Management“ an der Zeppelin Universität ab. Anschließend studierte sie „Design Thinking“ am Hasso-Plattner-Institut und „Gender Studies“ am ZIFG der TU Berlin. Ihren Master-Abschluss absolvierte sie 2018 in „Multidisciplinary Gender Studies“ an der University of Cambridge. Seit 2018 ist sie Geschäftsführerin des von ihr gegründeten Unternehmens IN-VISIBLE.
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