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Die eidgenössische Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" ist eine von der Schweizerischen Volkspartei eingeforderte Volksinitiative. Sie soll die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz durch Höchstzahlen und Kontingente beschränken, die auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz ausgerichtet sind.
Zudem fordert die Initiative die Änderung widersprechender Staatsverträge, wie Bilateralen Abkommen mit der EU zur Personenfreizügigkeit. Unterstützt wurde die Initiative lediglich von der SVP. Alle anderen großen, Schweizer Parteien empfahlen die Ablehnung. Auch der Nationalrat (mit 140 zu 54 Stimmen) und der Ständerat (mit 37 zu 5 Stimmen) sprachen sich gegen das Vorhaben aus. Am 9. Februar 2014 nahmen Volk und Stände die Initiative an. Bei einer außergewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von 55,8 Prozent erzielte das Begehren eine knappe Mehrheit von 50,3 Prozent und ein Ständemehr von 17 Kantonen.
Die Schweiz sagt „Fuck the EU“, liest man nach dem Volksentscheid der Eidgenossen in der ZEIT. Worüber genau ist eigentlich am Wochenende bei unseren Nachbarn abgestimmt worden?
Prof. Dr. Georg Jochum: Die Schweizer haben sicher nicht "Fuck the EU" gesagt. Sie haben für eine generelle Beschränkung der Zuwanderung abgestimmt. Dies soll kontingentiert werden. Der Konflikt mit der EU ergibt sich aus dem Freizügigkeitsabkommen, welches generelle Freizügigkeit für EU-Bürger in die Schweiz und umgekehrt für Schweizer Bürger in die EU vorsieht. Die Zuwanderungsinitiative kann daher nur durch eine Neuverhandlung des Abkommens umgesetzt werden.
Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung zunächst einmal auf die Schweiz selbst?
Jochum: Kurzfristig hat die Entscheidung keine, mittel- und langfristig gravierende Auswirkungen für das Land. Die Schweiz stellt damit ihre gesamten Beziehungen zu Europa in Frage und gefährdet damit auch ihren Wohlstand.
„Die Schweiz riskiert den Bruch mit Europa“ - schlussfolgern andere Medien: Welche rechtlichen Konsequenzen zieht die Abstimmung für die Eidgenossenschaft denn überhaupt nach sich?
Jochum: Die Schweiz kann die EU nicht zur Neuverhandlung des Freizügigkeitsabkommens zwingen. Sie kann das Abkommen aber kündigen. Dann verlieren aber automatisch auch alle anderen sogenannten bilateralen Abkommen mit der Schweiz ihre Wirkung. Dies sind die zum Beispiel Abkommen zum Waren- und Luftverkehr oder zur Landwirtschaft. Die Schweiz wird dann keinen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt mehr haben. Schweizer Industriestandards werden dann nicht mehr als gleichwertig anerkannt, landwirtschaftliche Produkte aus der Schweiz könnten sogar ganz vom Markt verschwinden.
Wie kann man solche Maßnahmen gegen „Massenzuwanderung“ überhaupt durchsetzen?
Jochum: Die Durchsetzung ist kein Problem und würde über eine Form der Überwachung funktionieren. Die Frage ist, ob man dies ökonomisch durchhält. Die Schweizer müssen nun die Frage klären, wie sie ihre Jobs, beispielsweise im Pflege- und Gesundheitswesen, besetzen wollen.
Herr Jochum, vielen Dank für das Interview!
Titelbild: Seren Dipity / flickr.com
Bilder im Text: Werbematerial der Volksinitiative, Airflore / flickr.com