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Jutta Ditfurth gehörte zur ersten Generation der Grünen, 1991 überwarf sie sich mit der damaligen Parteiführung. Seitdem gehört die Vertreterin der ökologischen Linken zu den lautesten Kritikern der grünen Parteipolitik. 2011 erklärte sie "Spiegel Online", warum sie sich damals von ihrer Partei entfremdete.
Noch immer gehören die Grünen zu den jüngsten Parteien Deutschlands - und zu denen mit der reichsten Wählerschaft. Wie gut ergänzen sie sich also mit der immer weniger traditionell konservativ auftretenden CDU unter Angela Merkel? Die bpb-Kurzdossiers geben Antworten.
Es sei eine informelle Diskussion, bei der der intellektuelle Austausch mit den Studierenden im Zentrum stehe. So kündigte Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Nico Stehr sein neues Debattenformat an - ein Diskussionsforum, um den Studierenden jenseits der BürgerUniversität einen direkten Zugang zu Entscheidungsträgern der Republik zu ermöglichen. Den Auftakt machte am 28. Februar der Grünen-Politiker Cem Özdemir.
Sie waren gut informiert, die anwesenden Studenten. Sie kannten sich aus in den Untiefen der EEG-Umlage und anderen Gesetzen zur Regulierung des Marktes für Erneuerbare Energien. Sie gehörten zu der Schicht der Bevölkerung, unter denen die Grünen heute ihre meisten Anhänger haben: jung, gebildet, bürgerlich und politisch interessiert. Und wie gerne hätte Cem Özdemir ausschließlich über politische Inhalte geredet. Darüber, wie Subventionen der Solarenergie in Deutschland zur Marktreife verholfen haben, auch zu den Gentechnik-Plänen der Bundesregierung hätte er, wie er selbst sagte, „sicher noch schärfere Töne gefunden “. Dazu kam es nur zeitweise.
Die Fragen an diesem Nachmittag waren kritisch, bohrten tief in der Seele der Partei. „Heute sehen die Grünen die Zukunft nur noch als leichte Variation der Gegenwart“, warf eine Zuhörerin dem Grünen-Chef vor. Die Partei habe sich unter Özdemir von der Idee verabschiedet, die Gesellschaft von Grund auf umzugestalten. Ein kurzer, emotionaler Schlagabtausch folgte. Es habe schlicht keine Alternative gegeben – inzwischen greife ja selbst die Kanzlerin grüne Themen wie die Energiewende auf. „Wir wollen nicht mit einer kleinen Minderheit im stillen Kämmerlein sitzen“, betonte der aus Baden-Württemberg stammende Politiker.
Die Mitte der Gesellschaft hat eine magische Anziehungskraft auf Politiker, auch auf Özdemir. Sich an ihr zu orientieren, verspricht sowohl demokratische Legitimation wie auch eine statistisch hohe Wahrscheinlichkeit, Wählerstimmen zu erhalten. Die Parteien, die zur politischen Mitte streben, unterscheiden sich als Volksparteien von den Radikalen und den Klientelparteien. Lange Zeit galten die Grünen als eine solche Gruppierung weltfremder, linker „Baumknutscher“. Seit der Wahl Winfried Kretschmanns zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten haben sie diese Vergangenheit endgültig hinter sich gelassen und die Mitte der Gesellschaft erfolgreich ins Auge gefasst. Eine Vielzahl der politischen Ideen ihrer Anfangstage sind heute Mainstream.
Özdemir selbst beschrieb drei Gründe für die gestiegene Attraktivität seiner Partei: ein vorhandenes Bewusstsein für grüne Politik in der Bevölkerung, einen grundsätzlichen Wandel der politischen Kultur Deutschlands und eben auch Veränderungen in seiner eigenen Partei. Dass die Grünen in Hessen seit vergangenem Jahr mit der CDU koalieren, sei für beide Seiten eine Herausforderung. Dennoch kündigte Özdemir für 2014 „mit großer Wahrscheinlichkeit weitere schwarz-grüne Bündnisse“ an. Nachdem man drei Mal mit rot-grün bei Bundestagswahlen gescheitert sei, müsse man sich schlicht nach neuen Optionen umsehen.
Cem Özdemir ist der erste grüne Parteivorsitzende dieser neuen Epoche. Ideologisch scheint nicht er seine Heimat, sondern umgekehrt seine Partei zu ihm gefunden zu haben. Genüsslich erzählte er die Anekdote, wie überrascht so mancher Mittelständler vom seriösen Auftreten und dem politischen Ideen der grünen Parteispitze sei. Mit dem verblichenen Parteiimage der Revoluzzer kokettierte Özdemir nur noch: „Ich dachte, an der Zeppelin Universität käme man ohne Krawatte gar nicht rein. Jetzt sehe ich, ich hätte sie auch daheim lassen können. Sie dachten wohl, da kommt ein Grüner im Jutesack.“
Unter den Studenten, auch jenen, die sich als Anhänger grüner Politik beschrieben, überzeugte das nicht jeden: „Ich bin kein Fan davon, wie sich die Partei verändert hat; ich bin kein Fan Cem Özdemirs“, bekannte der CCM-Student Michael Möstl im Anschluss an die Veranstaltung. Seine Kommilitonin Johanna Reiß fand sich hingegen in zahlreichen Aussagen des Grünen-Chefs wieder: „Cem Özdemir war trotz der ein oder anderen Politfloskel durchaus authentisch. Sein realistischer Idealismus hat mich angesprochen.“ Um bei den kommenden Wahlen erfolgreich zu sein, muss es Özdemir gelingen, sowohl traditionelle als auch neue Wählergruppen einbeziehen. Zumindest sein Terminkalender hat sich das bereits zu Herzen genommen. Im Anschluss an die ZU-Veranstaltung besuchte er einen Biobauernhof.
Titelbild: boellstiftung / flickr.com
Bilder im Text: Nils Metzger / ZU-Daily