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PAIR-Alumnus Manouchehr Shamsrizi ist u.a. Co-Founder des gamelab.berlin am Exzellenzcluster der Humboldt-Universität (sowie dessen Social-StartUp-SpinOffs RetroBrain R&D), Ariane de Rothschild Fellow der University of Cambridge, Global Justice Fellow der Yale University und gehört zur „Jungen Elite – 40 unter 40“ der CAPITAL. Shamsrizi engagiert sich als Mitglied verschiedener ThinkTanks zu Fragen der Digitalisierung und Gerechtigkeit. Er lehrt zur „Zukunft von Allem: Blockchain, Gamification, Virtual Reality und Künstliche Intelligenz als gesellschaftliche Treiber“ an der Leuphana Universität Lüneburg sowie an der Stockholm School of Economics in Riga, wo er der Faculty der „Digital Transformation Masterclass“ angehört.
Die kürzlich erschienene Studie der Beratungsfirma Alvarez & Marsal stellt den deutschen Aufsichtsräten kein gutes Zeugnis aus: Was sind die Kritikpunkte und wie berechtigt ist diese Kritik?
Shamsrizi: Wohl wahr – das Handelsblatt betitelte seinen dazugehörigen Artikel mit einem drastischen Fazit: Unsere Aufsichtsräte seien „schlecht ausgestattet“, „relativ nutzlos“ und „alles alte Kerle“. Während sich zu manchen Aspekten dieser Studie wenig Substanzielles sagen lässt – auch weil es teilweise schlicht an Empirie fehlt –, scheinen mir hier Phänomene beschrieben worden zu sein, die tatsächlich sehr kritikwürdig sind. Die meiner Einschätzung nach bedeutendste Herausforderung, für die uns in Deutschland noch kluge und skalierbare Ideen fehlen, ist in diesem Sinne tatsächlich das Potential von Diversität, Internationalität und insbesondere auch von Heterogenität der vertretenen Altersgruppen zu nutzen. Die Studienlage zeigt beispielsweise ziemlich eindeutig, dass Unternehmen mit gemischtgeschlechtlicher Führung erfolgreicher sind, bessere Rendite erzielen und seltener Insolvenz anmelden. Während sich diese Erkenntnis allmählich durchsetzt, fällt die Einbindung der vielbeschworenen Digital Natives weiterhin bescheiden aus – auf die wir aber sehr angewiesen sind!
Könntest Du das ein wenig konkretisieren?
Shamsrizi: Eine Studie von Hengeler Mueller und Heiner Thorborg aus dem vergangenen Jahr verdeutlicht, was ich meine: Wenn 70 Prozent der Aufsichtsräte in Deutschland das Thema „Digitale Transformation“ für „sehr wichtig“ oder „wichtig“ halten, die Frage nach der eigenen Kompetenz aber nur 4 Prozent der Befragten als „sehr hoch“ und nur 30 Prozent als „hoch“ einschätzen, dann ist es kaum nachvollziehbar, warum nicht viele gerade mittelständische Unternehmen sich der Ressource ,Gründerinnen und Gründer‘ bedienen, die sich in ihrer Ausbildung und in ihrem Hauptberuf zumeist ja nicht nur passiv mit der digitalen Transformation beschäftigt haben, sondern Erfahrungen aus eigenen Gestaltungsansprüchen mit- und einbringen können.
Vor diesem Hintergrund habe ich mich sehr gefreut, als ich vor einigen Monaten in einem Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland, Peter H. Dehnen, lesen konnte, er sei der Meinung, „Gründer und junge Unternehmer sind die Aufsichtsräte von morgen“. Auch hier scheint also ein Umdenken einzusetzen, an dem mitzuwirken sich betriebs- wie volkswirtschaftlich lohnt. Dafür ist eine engere Vernetzung beispielsweise zwischen den Startup- und den Familienunternehmerszenen, aber auch eine Professionalisierung in der Ausbildung und Heranführung meiner und nachfolgender Generationen an die Theorie und Praxis der Unternehmensaufsicht notwendig. Ich könnte mir auch innovative Formate wie ein „Aufsichtsrat-in-Residence“-Programm vorstellen. Übrigens: Vieles, worüber wir hier sprechen, hat ebenso große Berechtigung für die Suche und Auswahl neuer Stiftungsräte, wie beispielsweise auch der neue Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Felix Oldenburg, kürzlich erst betonte.
Mit einem Alter von 30 Jahren gehörst Du zu den jüngsten Aufsichtsräten in Deutschland: Welche Erfahrungen hast Du bislang gemacht?
Shamsrizi: Es ist als Gründer nicht ganz einfach, sich auf diese Rolle einzulassen: Aufsichtsratsarbeit ist in einem hohen Ausmaß formalisiert, auf die strategierelevanten Informationen hat man keinen permanenten Zugriff, operative Entscheidungen kann man keine treffen – und so soll es ja auch sein! Das ist schon ganz anders, als wenn man im eigenen Unternehmen beispielsweise als Geschäftsführer tätig ist. Im Fall meiner Aufsichtsratstätigkeit für die Inclusify AG in Nürnberg – die als innovatives Tech-Unternehmen an Lösungen an der Schnittstelle der Themen Inklusion und Digitalisierung arbeitet, also digital zur gleichberechtigten Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben beitragen möchte – habe ich auch gemerkt, wie irritierend die Vorstellung eines jungen Aufsichtsrates sein kann, aber auch, wie sehr die eigenen Kompetenzen und Erfahrungen insbesondere zur vorhin genannten digitalen Transformation sowohl vom Vorstand als auch von meinen Aufsichtsratskollegen geschätzt und angehört werden, zu denen immerhin auch ein Bundesverdienstkreuzträger und ein habilitierter Betriebswirt gehören.
Wie hat dich das Studium an der ZU auch auf den Posten im Aufsichtsrat vorbereitet?
Shamsrizi: Das lässt sich wiederum sehr leicht beantworten: Der zwingende Umgang mit Interdisziplinarität, die ermöglichte Internationalität und der curriculare Anspruch, „spezialisierungsfähige Generalisten“ zu entlassen, sind wunderbare Voraussetzungen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass viele Unternehmen des „German Mittelstand“ sich durch die digitale Transformation in der Transsektoralität „zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik“ wiederfinden. Ein solches Studium deckt also viel von dem ab, was notwendig für eine Tätigkeit als junger Aufsichtsrat ist, kann aber trotzdem nicht hinreichend sein. Das wurde mir deutlich, als ich in Vorbereitung auf mein neues Engagement einige Aufsichtsrats-spezifische Veranstaltungen besucht habe, darunter insbesondere einige sehr lehrreiche von Kienbaum Consultants International, die sich – auf Initiative von Fabian Kienbaum und Experten wie Prof. Dr. Bernd Schichold – mit solchen Kamingesprächen intensiv um den generationsübergreifenden Austausch bemühen. Bei diesen Gelegenheiten konnte ich über mein Studium und meine bisherigen Erfahrungen hinaus beobachten, wie die „Altvorderen der Aufsichtsräte“ arbeiten, was ich übernehmen, aber auch, was ich anders machen möchte und muss.
Dabei fand ich spannend zu erleben, dass vor allem Familienunternehmen oft in ihrer Vorstellung von Unternehmertum sehr nah an den langfristigen Horizonten von Universitäten und den Skalierungsansprüchen von Start-ups sind, und diese Paradoxie nachhaltig aufzulösen ihren Beiräten und Aufsichtsräten überlassen wollen. Ein Studium, bei dem Charles Handys „Age of Paradox“, Alfred Kiesers „Moden & Mythen des Organisierens“ oder auch Dirk Baeckers „Postheroische Führung“ als Grundlagentexte dienen, mag ebenfalls helfen, mit solchen Paradoxien umzugehen, die für die betriebswirtschaftlich-operative Tätigkeit von Vorständen nur am Rande relevant sein mögen oder können.
Titelbild:
| Dmitry Ratushny / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| zur Verfügung gestellt von Manouchehr Shamsrizi (alle Rechte vorbehalten)
| Duong Tran Quoc / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm