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Künstliche Intelligenz

Revolution im Schneckentempo

von Said D. Werner und Josefine M. Meibert
29.08.2023
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Ausgerufen wurde die „KI-Revolution“ vor sieben Jahren. Eiskalt erwischt es, wer nicht gerade beim Weltwirtschaftsforum in Davos oder an kalifornischen Knotenpunkten neuronaler Netze arbeitete. Heute reden auch in Europa alle über Künstliche Intelligenz, am lautesten EU-Parlamentarier, die den Standort regulieren wollen. Die Ampel schaut bislang von der Seitenlinie zu. Weiß man dort eigentlich, wo Deutschland im globalen KI-Rennen steht?


Gut die Hälfte der bis 2025 budgetierten 5 Milliarden Euro der KI-Strategie ist nicht abgeflossen. Die freie Wirtschaft hat ebenfalls Investitionsstau. Vergangenes Jahr widmete man Künstlicher Intelligenz 2,35 Milliarden US-Dollar. Laut dem AI Index Report der Stanford University wendeten die USA das 20-fache auf, Großbritannien immerhin das Doppelte.

Said D. Werner ist Wirtschaftswissenschaftler und Visiting Fellow am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er war Politikberater im Deutschen Bundestag und NRW-Wirtschaftsministerium.
Said D. Werner ist Wirtschaftswissenschaftler und Visiting Fellow am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er war Politikberater im Deutschen Bundestag und NRW-Wirtschaftsministerium.

KI-Start-ups haben schweren Stand

Weiter sinken wird die Standortattraktivität durch den EU Artificial Intelligence Act. Während 10 Downing Street vulnerable Branchen reguliert, stuft dieser KI-Systeme in binäre Risikogruppen ein. Foundation Models à la ChatGPT gelten per se als hochriskant, egal ob sie die Gesetzestexte erklären oder geistiges Eigentum kopieren. Haftungsrisiken und Zusatzkosten treffen besonders KI-Start-ups empfindlich. Hinterfragen muss das, wer die Innovationskraft des Staates anpreist.


Ein offenes Geheimnis ist, dass 41 deutsche KI-Neugründungen in 2022 zu wenig sind. Als Herausforderung gilt die Finanzierungslage. Nicht umsonst waren Erfolgsgeschichten wie die des Berliner Start-ups G2K – das für einen hohen dreistelligen Millionenbetrag an den US-Konzern Service Now verkauft wurde – auf Business Angels mit Spürnase und strategische Investoren aus den USA angewiesen. Dort brachte man es zuletzt auf 540 KI-Start-ups.


Hierzulande fehlen diversifizierte Fördertöpfe für Early Stage und Anreizsysteme für private Risikobeteiligungen. Zwar unterstützt die Bundesregierung die Branche der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Bisher profitierten davon allerdings in erster Linie größere Unternehmen, die etwa beim Serverbetrieb ohnehin Kostenvorteile besitzen.


Langfristig begünstigt das die Monopolbildung durch Verdrängung neuer Wettbewerber. Wer bei Innovationen auf den Markt setzt, sollte hier aufhorchen.


Einen effizienteren Hebel liefern regionale Förderlogiken. Bereits 2021 mobilisierten die USA 220 Millionen US-Dollar für elf KI-Institute. Im Euroraum investiert Amsterdam bis 2030 eine Milliarde Euro in KI. Dagegen wirken 50 Millionen Euro jährlich für fünf deutsche KI-Kompetenzzentren mickrig.


In Heilbronn investieren Schwarz-Gruppe und Landesregierung das Doppelte zum Aufbau eines KI-Campus. Derartige Initiativen erleichtern nicht bloß Investoren das Scouting nach Hoffnungsträgern wie den Heidelberger KI-Spezialisten Aleph Alpha, sondern bringen KI-basierte B2B-Services in greifbare Nähe des German Mittelstand. Wer schon mal in Baden-Württemberg war, weiß, gleiches gilt für die öffentliche Verwaltung.

Josefine M. Meibert ist Data Scientist und Wirtschaftsingeneurin der Columbia University. Sie arbeitete als Strategieberaterin in New York und Deutschland.
Josefine M. Meibert ist Data Scientist und Wirtschaftsingeneurin der Columbia University. Sie arbeitete als Strategieberaterin in New York und Deutschland.

KI-Ausbildung muss auf den Prüfstand

Ein Irrglaube ist, dass Hightech-Ökosysteme nur organisch wachsen. Anders als Silicon Valley wurden Greater Boston, Bengaluru oder London strategisch geplant. Gemein haben sie eine hohe Dichte forschungsstarker Universitäten, die weltweit nachgefragte KI-Spezialisten ausbilden.
Obwohl die deutsche KI-Forschung wettbewerbsfähig ist, hat man mit nur 125 KI-Studiengängen schlechte Karten. Mit halb so vielen Universitäten kommt Großbritannien auf das neunfache, Quereinsteigerkurse nicht inbegriffen.


Auffällig im KI-Report der Stanford University ist aber vor allem das Verhältnis von Bachelor- und Masterprogrammen. Hierzulande liegt es bei 15 zu 85. Im angloamerikanischen Studienraum gibt es durchweg mehr Angebote auf Bachelorniveau. Wer in Deutschland KI-Spezialist werden will, muss bis zum Master warten.


Kaum auf die Straße bekommt Deutschland die PS auch beim Technologietransfer. Auf den bedeutendsten KI-Konferenzen NeurIPS und ICML sind Publikationen von Unternehmen in Kooperation mit deutschen akademischen Einrichtungen rar gesät. Ein alter Hut ist, dass deren Forscher sich kaum privatwirtschaftlich engagieren können.


Aufgrund von Besserstellungsverboten ziehen viele die Wissenschaft erst gar nicht in Betracht. Tun sie es doch, besteht nach erfolgreichen Publikationen keine Neuheitsschonfrist bei geistigem Eigentum. Im Ringen um Spitzenkräfte ist das ein Fiasko.


Wer ein Tempolimit bei Innovationen ablehnt, muss Patente als akademischen Kraftstoff zulassen. Andernfalls bestätigen Ausnahmekarrieren von Forscherinnen wie Feiyu Xu – die KI-Chefin bei Lenovo und SAP wurde und jetzt zum Start-up Nyonic wechselt – nur die Regel.


Eine KI-Strategie 2.0 wird Schwächen und Risiken schonungslos identifizieren müssen, um sie in Stärken und Potenziale zu verwandeln. Das kostet Zeit. Doch durch EU und Ampelkoalition steht der deutsche KI-Standort jetzt schon auf Messers Schneide. In Davos hieß es 2016, KI könne der Menschheit Herz und Seele stehlen. Hierzulande stellt es sich eher umgekehrt dar. Es droht ein deutscher KI-Winter.

Dieser Artikel ist am 30. Juli unter dem Titel „Deutschland im KI-Winter – Ausbildung und Technologietransfer hinken global hinterher“ im Handelsblatt erschienen.

Titelbild:
| SanYani_123 / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text:
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