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Interview mit Matthias Niedenführ

Ist China auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit?

von Sebastian Paul
16.01.2024
Die meisten Ziele der Klimawende sind nur schwer ohne Kooperation mit chinesischen Unternehmen zu bewältigen, da diese oft die günstigsten Anbieter sind bei gleichzeitig sehr akzeptabler Qualität.

Dr. Matthias Niedenführ
Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ
 
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Wie haben sich chinesische Unternehmen in Bezug auf Umwelt- und Klimafragen entwickelt?

 
Dr. Matthias Niedenführ: In der Phase des Superwachstums war auch bei den chinesischen Unternehmen lange nur Umsatz- und Größenwachstum wichtig. Das hat sich im vergangenen Jahrzehnt, vor allem seit der „Airpocalypse“ – dem massiven Smog in Nordchina – geändert, da jede und jeder begriffen hat, dass Umwelt- und Klimafragen nicht ignoriert werden können. Die chinesische Regierung hat ernsthaft begonnen, die Umweltprobleme zu einer Priorität zu machen, und fordert seither sowohl von Staats- als auch von Privatunternehmen, dass diese ihren jeweiligen Beitrag leisten. Messbar bessere Luftqualität und Verbesserungen in Wasser- und Bodenqualität sind einige unmittelbare Ergebnisse dieses Wandels.


Während früher die Gesetzesvorgaben oft unterlaufen werden konnten, ist dieses Problem deutlich geringer geworden. In den von mir seit 2017 untersuchten privaten Unternehmen, die in China als Vorzeigeunternehmen gelten, werden die Standards nicht nur erfüllt, sondern auch große Anstrengungen im Bereich Corporate Social Responsibility geleistet – immer mit Blick auf die Interessen der Stakeholder wie Mitarbeiter:innen, Kund:innen, Zulieferer, aber auch Umwelt und Anwohner:innen. Nachhaltigkeit wird dabei ganzheitlich gedacht, was die Fürsorge für Mitarbeiter:innen, die Sicherheit und Zuverlässigkeit sowie die ökologischen Aspekte der Produktion und Distribution von Produkten und nicht zuletzt der CO2-Fußabdruck des Unternehmens angeht.


Können Sie uns noch weitere Einblicke in Ihre Forschung geben?


Niedenführ: Natürlich. Im Zuge meiner Habilitationsforschung habe ich chinesische Wirtschaftskultur und nachhaltige Managementansätze empirisch untersucht und dabei insbesondere private Unternehmen, die auf traditionelle Werte zurückgreifen und in China als „konfuzianisch“ und damit als Vorbilder gelten, aber auch kontrovers diskutiert werden. In meinen Fallstudien habe ich den Küchenhersteller Fotile aus Ningbo, den Diodenproduzent Goodark aus Suzhou und den Textilzulieferer Sun Hong aus Hangzhou am detailliertesten analysiert, war mehrmals vor Ort und habe zahlreiche Interviews mit Mitarbeiter:innen aller Entscheidungsebenen geführt. Spannend dabei ist, dass diese Unternehmen sich jeweils Spitzenpositionen in ihren Sektoren erkämpft haben und auch während der schwächelnden Wirtschaft in Folge der Corona-Pandemie profitabel blieben.


Wie gehen chinesische Unternehmen vor, um Umweltauswirkungen durch Luft- und Wasserverschmutzung zu reduzieren – auch vor dem Hintergrund steigender Umweltauflagen und Verbrauchererwartungen?


Niedenführ: Das Risiko, Regelungen zu unterlaufen, ist heutzutage erheblich, da die Strafen – darunter auch Haftstrafen – empfindlich geworden sind. Doch noch werden selbst Mindeststandards immer wieder umgangen, weil die Gewinnanreize einfach zu hoch sind. Dagegen wehren sich aber die mittlerweile anspruchsvollen chinesischen Verbraucher:innen, vor allem die junge, gut ausgebildete urbane Kundschaft. Wenn ein Unternehmen durch Skandale auffällt, wird sie häufig boykottiert.


Doch selbst das Einhalten von Mindeststandards ist noch keine Corporate Sustainability. Hier ist noch Luft nach oben. Zu den Umweltmaßnahmen, die ich in meinen Fallstudien aufführe, zählen Energie- und Wassereinsparmaßnahmen, Recycling von Rohstoffen, Säuberung von Abgasen und Abwässern, Abfallmanagement sowie Anpassungen von Prozessen, um Gefahrenstoffe zu reduzieren. Hervorzuheben sind auch Bemühungen im Produktdesign, die dabei helfen, Abfälle in der ganzen Wertschöpfungskette zu minimieren – Stichwort „Circular Economy“.


Unternehmen in China müssen strenge ISO-Richtlinien erfüllen, wenn sie für multinationale Konzerne produzieren, aber auch im Inland setzen sich hohe Standards durch. China ist schon länger kein Land für Billigproduktion mehr, sondern will in allen Industrien Spitzenpositionen besetzen. Auch private Unternehmen werden zunehmend vom Staat in die Pflicht genommen, an diesem anspruchsvollen nationalen Ziel mitzuwirken und dahingehend massiv zu modernisieren.


Inwiefern beeinflusst Chinas Teilnahme an internationalen Umweltabkommen die nachhaltige Entwicklung chinesischer Unternehmen?


Niedenführ: Unter dem Stichwort „Ökologische Gesellschaft“ versucht die chinesische Regierung, Nachhaltigkeit zu einem Kernthema zu machen. Während in Kopenhagen 2009 noch die USA und China sich als „G2“ den Forderungen der Europäer und des globalen Südens entzogen haben, kam 2015 in Paris der Durchbruch. Auch ist China dem Übereinkommen zur biologischen Vielfalt beigetreten.


Die von Peking nach außen gerichtete Kampagne, das Land als globales Zugpferd der Nachhaltigkeitsbewegung darzustellen, wird durch Vorgaben nach innen begleitet. Dabei ist das Einhalten der Umweltziele nicht nur für das weltweite Image wichtig – auch wenn dies sicher ein Teil des geopolitischen Kalküls der Führung ist –, sondern auch unerlässlich, um die Umweltschäden in Folge der rasanten Wirtschaftsentwicklung im Inland zu begrenzen.


Die „Dual Circulation“-Strategie von Staats- und Parteichef Xi Jinping zielt darauf ab, die Binnenwirtschaft von Importen vor allem aus dem entwickelten „Westen“ unabhängiger zu machen, während gleichzeitig der Rest der Welt chinesische Waren und Dienstleistungen importieren soll. In China selbst sehen wir, dass Veränderungen von blindem Konsum hin zu Konsumkritik, die hierzulande Jahrzehnte gedauert haben, in viel kürzerer Zeit durchlaufen werden.


Wie setzen chinesische Unternehmen moderne Ansätze zur Unternehmensführung und relationalen Führung ein, um den steigenden Anforderungen an Umweltschutz und Nachhaltigkeit gerecht zu werden?


Niedenführ: In meinen Fallunternehmen werden Mitarbeiter:innen angeleitet, ihr privates Konsumverhalten zu überdenken. Dies geschieht vor allem durch Wertekampagnen, die auch an den Patriotismus appellieren. Damit steigen für Manager die Anforderungen, mit gutem Beispiel voranzugehen, um die Belegschaft anzuregen, sowie in ihrem privaten Umfeld nachhaltige Konsumpraktiken einzuführen.


Zahlreiche Interviewpartner:innen berichteten mir – teils mit überzeugender Begeisterung –, dass sie stolz darauf sind, für ein Unternehmen zu arbeiten, dass das Thema Nachhaltigkeit lebt. Auch der Abstand zu der Masse an Unternehmen, die sich noch nicht an die Vorgaben halten, war oft Teil des Feedbacks.


Wie werden nachhaltige Praktiken und Umweltschutz in der chinesischen Geschäftswelt gefördert?


Niedenführ: Der Druck der chinesischen Regierung, die hohen Ansprüche von Kund:innen und die harten Forderungen von Geschäftspartner:innen nach nachhaltigen Praktiken sind zwar wichtige Motivatoren, nachhaltige Maßnahmen werden aber nur realisiert, wenn auch die Konkurrenz diese einhalten muss. In der Phase des Niedrigwachstums rutscht die Nachhaltigkeit – und das nicht nur in China – in der Prioritätenliste nach unten. Die Unternehmen wissen, dass Modernisierungen im Umweltbereich zwar höhere Kosten verursachen, sie aber zukunftssicherer machen. Derzeit hat die ökonomische Nachhaltigkeit – die neben der sozialen und ökologischen auch gegeben sein muss – jedenfalls Konjunktur.


Peking versucht unterdessen, durch direkte Subventionen – in Batterieproduktion, Windparks, Solarmodulherstellung, Abfallmanagement und Steigerung der Energieeffizienz – und Investitionen in entsprechende Forschungscluster als Teil des Plans „Made in China 2025“ die Umstellung auf erneuerbare Energien zu unterstützen.


Die chinesische Seite hat bei den langwierigen Verhandlungen beim COP28 in Dubai hinter den Kulissen lange daran gearbeitet, den Kompromiss zu ermöglichen, dass der Abschied von fossilen Brennstoffen als Ziel aufgenommen und eine globale Reduktion der Emissionen um ein Drittel angestrebt wird. Innerhalb des globalen Südens gibt es erhebliche Widerstände, jetzt schon auf Entwicklungspotenziale verzichten zu müssen, die sich die entwickelten Länder geleistet haben. Auch beobachtet man mit Argwohn, wie gerade der globale Norden und dabei insbesondere die USA die Öl- und Gasförderung auf historische Höchststände treibt.


Wo steht China im Bereich erneuerbarer Energien?


Niedenführ: China ist es gelungen, gerade Deutschland Spitzenplätze in den Bereichen Photovoltaik und Windkraft abzuringen, und derzeit ist die Angst der Automobilbranche groß, dass sie von Elektrofahrzeugen aus China „überrollt“ wird. Es stimmt, dass es von Seiten Chinas Wettbewerbsverzerrungen gibt, doch diese allein erklären nicht, warum in manchen Bereichen die deutschen Unternehmen fast fünf bis zehn Jahre Entwicklungsrückstand haben. Die kürzlich genehmigte Förderung für den Bau des Batteriewerks von Northvolt in Schleswig-Holstein zeigt, dass auch hierzulande Subventionen vorkommen.


Die arbeitsintensiven Industrien – wie die Herstellung von Solarmodulen – sind in China auch deswegen so profitabel, weil die chinesische Regierung dort Transferzahlungen an Arbeitslose fürchtet und lieber mit Quersubventionen die Solarindustrie fördert. Das hat machiavellistische Züge, um in Zukunftsindustrien Spitzenplätze zu erreichen, gerade auch im Wettbewerb mit den etablierten Industrienationen. Japan, Korea und vor allem die USA haben ihre Märkte vor besonders stark ansteigenden Importen aus China in den Kategorien Solarmodule, Windkraft und Elektrofahrzeuge abgeschottet. Die Europäische Union dagegen arbeitet derzeit an Regelungen und sucht auch den Dialog mit China, was wiederum auf das Drängen der Deutschen zurückzuführen ist. Das Problem ist, dass die meisten Ziele der Klimawende nur schwer ohne Kooperation mit chinesischen Unternehmen zu bewältigen sind, da diese oft die günstigsten Anbieter sind bei gleichzeitig sehr akzeptabler Qualität.


Welche Initiativen chinesischer Unternehmen, die sich auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz konzentrieren, sollten international Anerkennung finden?


Niedenführ: Eine hierzulande wenig bekannte NGO ist die Graswurzelinitiative „Society of Entrepreneurs and Ecology“ (SEE), die 2004 in Peking durch einen Zusammenschluss von 100 Unternehmern entstand, die erkannt haben, dass die Staubstürme von der Wüstenbildung in der Inneren Mongolei getrieben werden. Seither helfen sie mit Initiativen vor Ort, um Boden- und Winderosion durch Anpflanzung von Saxaul-Büschen zurückzudrängen, die auf sandigen Böden als Pionierpflanze wirken. Vor Ort lebende, auf Weidewirtschaft fokussierte Bauern, deren Lebensgrundlage durch die Wüstenbildung gefährdet ist, werden als Hüter der Projekte eingesetzt. Die SEE umfasst inzwischen 900 Unternehmen und regt als Katalysator andere Umweltinitiativen an. Erfolgreich ist vor allem eine Funktion auf WeChat, die urbane Konsument:innen mit Kampagnen erreicht, die bei digitalen Zahlungen nachhaltige Projekte mit Kleinstbeträgen fördern können.


Ist China Partner, Wettbewerber oder Rivale im Bereich Nachhaltigkeit?


Niedenführ: Diese seit einigen Jahren beliebt gewordene EU-Formulierung beschreibt einen Zustand, der im Verhältnis zu China ohnehin durchwegs bestand. Die Geopolitik ist derzeit von Rivalität geprägt, was durch den Handels- und Technologiekrieg mit den USA und die ambivalente Positionierung Pekings gegenüber dem russischen Aggressor im Ukrainekrieg verstärkt wurde. Im Umweltbereich dagegen betonen Washington, Brüssel und Berlin die Partnerschaft. Doch klar ist, dass gerade in den Zukunftsindustrien der Wettbewerb im Vordergrund stehen wird. Hiesige Unternehmen werden in einigen Bereichen Kooperationspotenziale mit chinesischen Unternehmen ausloten müssen, um an innovativen Lösungen und dem rasanten Tempo in China zu partizipieren.

Titelbild:

| ZU/Jim Papke

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