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Gisela Erler wurde am 9. Mai 1946 in Biberach an der Riß geboren und studierte in Bonn und München Germanistik und Soziologie. Am Deutschen Jugendinstitut München beschäftigte sie sich mit dem Thema Frau/Geschlechtsrollen/Familie/Beruf. 2012 publizierte sie ihr Buch „Schluss mit der Umerziehung“, in dem sie zu dem Schluss, kommt die bisherige Gleichstellungspolitik müsse scheitern, weil sie von Frauen erwartet, in von Männern vorgeformte Positionen aufzusteigen. Erlers Vater ist der bekannte sozialdemokratische Politiker Fritz Erler, ihre Mutter politisch engagierte Hausfrau, von Beruf Verwaltungsbeamtin.
Professor Dr. Eckhard Schröter ist Inhaber des Stadt-Friedrichshafen-Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft (insbesondere Verwaltungsmodernisierung) an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und ständiger Gastwissenschaftler am Institute of European Studies der University of California, Berkeley. Schröter studierte und arbeitete an der Freien Universität sowie Humbold-Universität Berlin. Von 2000 bis 2005 lehrte er am Department of Political Science sowie am Institute of European Studies der University of California, Berkeley. Seine Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre liegen auf den Gebieten der vergleichenden Verwaltungswissenschaft, des Public Management, der vergleichenden Metropolenforschung, der modernen Verwaltungs- und Staatstheorien sowie der internationalen Wissenschafts- und Hochschulpolitik.
Lediglich 30 Prozent der Führungspositionen in der Öffentlichen Verwaltung wurden 2009 von Frauen besetzt, stellte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in seinem zweiten Erfahrungsbericht zur Umsetzung des Bundesgleichstellungsgesetztes 2011 fest. Tatsächlich sinkt die Anzahl an Frauen in der Öffentlichen Verwaltung mit steigender Hierarchieebene. Das ließ das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit schon auf Basis des Mikrozensus 2007 verlauten. Und auch 2012 sind Frauen in den Führungsebenen der Öffentlichen Verwaltung nicht nur unterrepräsentiert, sie verdienen auch fast zehn Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Trotz Gleichstellungsgesetz, trotz Beamtenbesoldung, trotz regelmäßigen Evaluationen und darauf folgenden Vorsätzen. Im Vergleich mit den Zahlen aus der Privatwirtschaft, die im Schnitt auf einen Gehälterunterschied von 22,4 Prozent kommen, mag der Unterschied marginal erscheinen, dennoch provoziert er eine Debatte: Müsste nicht gerade die Öffentliche Verwaltung eine Vorreiterrolle in der Debatte um Gleichstellung einnehmen? Und woran liegt es und was bedeutet es, wenn sie nicht einmal in der Öffentlichen Verwaltung gelingt?
In Baden-Württemberg wurde im Mai 2011 Gisela Erler auf den Posten der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung berufen. Doch als Soziologin und ehrgeizige Verfechterin von Frauenrechten beschränkt sich dieses Amt in ihrem Verständnis keineswegs auf Volksentscheide und Ehrenamtsunterstützung: „Ich bin zwar nicht Staatsrätin für Gleichstellung, aber wer mich holt, weiß, dass ich das Thema Frauen immer mitdenke“, sagt Erler im Dezember. Und so habe sie die Nachricht über die niedrige Frauenquote im Stuttgarter Landtag – gerade einmal 18 Prozent – getroffen wie der Blitz.
Im Gespräch betont Erler, eine Ursache des Gleichstellungsproblems der Öffentlichen Verwaltung (ÖV) liege darin, dass „Politik und Verwaltung dazu tendieren, dem Trivialen aber wichtigen Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu wenig Raum zu geben. Dort werden enorme Zeitbelastungen verlangt, die man auch anders schneiden könnte.“ Ein unpersönlicher Kommunikationsstil in den Führungsebenen verstärke das Problem noch: „Für die meisten Frauen ist es zwar wichtig, fachlich engagiert zu sein, auch konträre Positionen zu haben, aber gleichzeitig noch persönliche Bezüge und Kontakte in diesen Arbeitszusammenhängen zu haben. Und davon sind wir in der Öffentlichen Verwaltung noch weit entfernt“, sagt sie.
Zudem haben Frauen laut Erler häufig andere Motive für ihr Verhalten als Männer: Laut Erler haben sie seltener den Wunsch, sich sichtbar zu machen, sind eher fachorientiert als ehrgeizig und suchen in der Regel auch weniger Konflikte, sondern kooperative dialogische Lösungen. Somit fordert Erler: „Wir müssen unsere Strukturen diesen Bedürfnissen anpassen. Und deswegen bin ich inzwischen für die Quote, obwohl ich sie sonst nicht schätze. Andererseits glaube ich, dass man hinter den Quoten und mit den Quoten Haltungen ändern muss." Aber das gehe eben erst, wenn genug Frauen dort oben in den Führungsspitzen angekommen seien, betont sie.
Dabei drückt, so ZU-Professor Dr. Eckhard Schröter, der Ruf nach der Quote nicht zuletzt die Enttäuschung darüber aus, dass auf anderen Wegen die Repräsentation von Frauen in Spitzenpositionen nur langsam erhöht wurde. Der Inhaber des Stadt-Friedrichshafen-Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft mit Schwerpunkt Verwaltungsmodernisierung sieht die Chance der Quote aber vor allem in einem anderen Bereich: „Eine Quotenregelung kann helfen, einen ‚Kulturwandel‘ zu beschleunigen, dabei steht in erster Linie die gesellschaftspolitische Bedeutung der Frauenförderung im Vordergrund, nicht unbedingt die Einzelfallgerechtigkeit oder das sachliche Erfordernis mit Blick auf die Verwaltungsleistung.“
Diesen Kulturwandel hält er auch in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für wichtig: „Dass es so schwierig ist, private und berufliche Ansprüche in Einklang zu bringen, hat viel mit den etablierten Rollenverteilungen im Privatleben und den fehlenden Angeboten an Betreuungsleistungen zu tun“, so Schröter. Verursacher dieses Problems sind laut dem Wissenschaftler weniger die Strukturen in der Öffentlichen Verwaltung, die er als „Vorreiter bei der formalen Frauenförderung“ lobt – nicht zuletzt dank der Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung.
Reiner Strukturwandel und Quotenregelungen, so die Meinung der beiden Experten, nützen auch in der Öffentlichen Verwaltung wenig. Wo traditionelle Frauenbilder nicht nur in den Führungsetagen gläserne Decken schaffen, sondern gleichzeitig in der individuellen Rollenverteilung Gleichstellung verhindern, muss noch etwas anderes geschehen – Erler spricht davon, dass Haltungen geändert werden müssen, Schröter von einem notwendigen Kulturwandel. Die Hoffnung ist, dass die Quote in Kombination mit frauenfreundlicheren Strukturen eine derartige Entwicklung vorantreiben könnte. Für eine nachhaltige, langfristige Gleichstellung wird es aber mehr als einen aufoktroyierten guten Willen brauchen.
Bild: Bertram Rusch