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Die Halb-Iranerin versteht sich als politische Künstlerin. Geboren 1981, wächst sie in Deutschland auf. 2001 beginnt sie das Studium der Mediengestaltung an der Bauhaus-Universität in Weimar und wechselte dann an die Akademie für Bildende Kunst in Stuttgart um „Freie Kunst“ zu studieren. In ihren Arbeiten setzt sich Razmi, die für ihre Kunst mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit der politischen Situation im Iran auseinander und wählt meist Video oder Fotografie als Medium.
Razmis Projekt ist eine Adaption von Trisha Brown, die im Jahr 1971 das Tranzprojekt „Roof Piece“ in New York inszenierte. 2011 fand es erneut auf der New Yorker High Line statt. Die ehemalige Zugstrecke ist heutzutage ein öffentlicher Park über und zwischen den Dächern von New York.
Universitäten und Wissenschaft im Allgemeinen verschreiben sich der Suche nach Wahrheit, wie würden Sie in Relation dazu Ihre Tätigkeit als Künstlerin beschreiben?
Anahita Razmi: Die Suche nach Wahrheit klingt paradox und absolut, weil es ja immer viele verschiedene Wahrheiten gibt. Kunst ist für mich nicht unbedingt eine Suche nach Antworten. Meine Kunst zeichnet sich durch eine starke Beschäftigung mit politischen Themen, mit Kunstwissenschaft und Kunsthistorie aus. Ich beziehe mich oft auf andere Künstler und setze diese Themenfelder in neue Zusammenhänge. Insofern suche ich nicht so sehr nach neuen Antworten, sondern setze verschiedene Felder in Beziehung und schaue mir an, was dabei herauskommt.
Streben Sie dabei die Erfüllung einer Funktion an?
Razmi: Kunst hat für mich erstmal nicht den Anspruch, sinnvoll zu sein. Zum Beispiel habe ich in meinen letzten Arbeiten den Iran zu unserer westlichen Kultur in Beziehung gesetzt und schaffe so Verbindungen, die teilweise absurd und gar nicht wahr sind. Dabei entstehen unter Umständen neue Fragen, die man sich vorher vielleicht nicht gestellt hätte.
Aber betrachten wir Ihr Projekt White Wall Tehran, bei dem Sie iranische Revolutionsgarden filmen. Dabei werden Sie mit auf die Wache genommen und die Revolutionsgarden überblenden Ihre Aufnahme mit dem Bild einer weißen Wand. Hier wird eine Wahrheit ans Licht gebracht, die ohne Ihre Aktion nicht sichtbar geworden wäre!
Razmi: Aber das, was du siehst, ist zunächst eine weiße Wand, also eine reine Projektionsfläche, sozusagen das Gegenteil eines dokumentarischen Bildes. Letztlich nutze ich ja nur die von den Revolutionsgarden überspielte Sequenz. Diese weiße Wand wird erst in dem Moment mit Bildern und Kontext aufgeladen, wenn im Abspann die Entstehungsgeschichte als Text eingespielt wird.
Wie kam es zu dem Tanzprojekt auf den Dächern Teherans, das Sie am 8. September 2012 als Videoinstallation an der Zeppelin Universität ausstellen?
Razmi: Sie ist vor genau einem Jahr entstanden und bezieht sich auf eine Performance der New Yorker Choreographin Trisha Brown aus dem Jahr 1971. Im Grunde habe ich ihre Arbeit nach Teheran verlagert. Zwölf Tänzer auf zwölf Dächern, die Bewegungen übertragen, die aber eine Improvisation vom beginnenden Tänzer sind. Das Spannende ist, das sich die Bewegungen durch Übertragungsfehler verändern.
Im Iran ist der Tanz seit der Revolution 1979 verboten. Was löst dieses gesellschaftliche Verbot innerhalb der Bevölkerung aus?
Razmi: Im Iran ist sehr vieles verboten. Kunst an sich nicht, auch Theater gibt es. Aber alles muss durch ein politisches Komitee abgesegnet werden. Tanzaufführungen sind allerdings komplett verboten und auch Diskotheken gibt es im Iran nicht. Für mich hat es etwas Schizophrenes, weil die Leute vor Ort natürlich nicht aufhören zu tanzen. Sie tanzen auf privaten Partys, die unter sehr seltsamen Voraussetzungen stattfinden. Das ist mit Risiken verbunden, die uns hier vollkommen absurd vorkommen würden.
Bei der Inszenierung des Tanzprojektes waren Sie demnach auch diesen Risiken ausgesetzt.
Razmi: Ja, offiziell wäre dieses Projekt natürlich nicht möglich gewesen. Die Dächer bilden einen interessanten Ort zwischen privatem und öffentlichem Raum, der durch die Proteste auf den Dächern im Jahr 2009 auch politisch stark aufgeladen ist. Wir haben dieses Projekt also vor allen offiziellen Stellen geheim gehalten und erst beim dritten Versuch hat es wirklich geklappt. Beim zweiten Anlauf hat ein Bewohner, der uns erst sein Dach zur Verfügung gestellt hatte, gedroht, die Polizei zu rufen. Da mussten wir natürlich abbrechen, bevor es richtig losging. In so einer Situation darf man kein weiteres Risiko eingehen, weil man die Folgen absolut nicht abschätzen kann.
Wie beeinflusste die Illegalität, in der Sie sich befanden, die Performance an sich?
Razmi: Das Interessante ist, dass die Tänzer und das Filmteam, das aus Iranern bestand, sehr daran gewöhnt sind, an der Illegalität zu kratzen. Denn es gibt zum Beispiel Alkohol und Partys, obwohl es verboten ist. Mit dieser Schizophrenie - dass es ein offizielles Leben nach außen und ein hiervon komplett unterschiedliches Leben im Privaten gibt - gehen die Menschen dort tagtäglich um. Das ist ja auch im Politischen so. Es gibt keine offizielle Opposition mehr, weil man als Oppositioneller im Gefängnis landet.
Liegt in dieser Diskrepanz zwischen offiziellem und tatsächlichem Leben, von der man annehmen könnte, dass sie das System destabilisiert, eine gewisse Stabilität? Verbote werden offenbar verlässlich umgangen , um das Funktionieren der Gesellschaft aufrecht zu erhalten.
Razmi: Aber
was heißt verlässlich? Natürlich werden sie ständig umgangen. Aber es
gibt eben sehr viele Beispiele, bei denen dieses verlässliche Umgehen
von Verboten überhaupt nicht funktioniert. Menschen landen im Iran im
Knast wegen Nichtigkeiten. So verlässlich ist das alles nicht. Zum
Beispiel wird in der Kunst im Iran stark mit Symbolen und Metaphern
gearbeitet, um Kritik nicht direkt zu äußern. Aber dabei bewegt man sich
immer auf einem schmalen Grad der Konformität.
Wie stark identifizieren Sie sich mit dem Iran, der ja Teil Ihrer Herkunft ist ?
Razmi: In erster Linie bin ich Europäerin und Deutsche, ich habe auch eine sehr deutsche Arbeitsweise. Aber ich habe mich natürlich lang mit dem Land auseinandergesetzt. Dennoch reise ich in dieses Land immer mit einer Position von außen. Und an diesem Punkt entsteht sehr viel. Bei der Tanzperformance entstehen Spannungen auch dadurch, dass ich mit dieser New Yorker Choreographie nach Teheran komme, die durch diese andere Umgebung vollkommen auf den Kopf gestellt wird.
Würden Sie sich als politische Künstlerin bezeichnen?
Razmi: Ein schwierig zu definierender Begriff. Dennoch würde ich dem definitiv zustimmen. Nicht mit dem agitatorischen Anspruch, etwas zu verändern, das fände ich aufgezwungen. Aber in dem Sinne, dass man gesellschaftspolitische Themen aufnimmt und auf künstlerische Weise hinterfragt.
Muss es Ihrer Meinung nach eine klare Trennung zwischen Kunst und Politik geben?
Razmi: Nein, finde ich überhaupt nicht. Es ist spannend, wenn ich durch meine Kunst Sichtweisen verändern kann. Aber Kunst hat in diesem System erstmal keine Funktion und deswegen kann sie einen ganzen anderen Blick auf die Dinge eröffnen.
Bild: Bertram Rusch; Anahita Razmi, Roof Piece Tehran, 2011, Commissioned and Produced by Frieze Foundation, Courtesy the artist