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Wenn die Heimat zu teuer wird
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Gentrifizierung

Wenn die Heimat zu teuer wird

von Maike Bechtel | Redaktion
24.09.2012
Wir machen das nicht für den Elfenbeinturm, sondern dafür, dass die Gesellschaft irgendwann besser ist als jetzt.

Dr. Andrej Holm
 
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    Zur Person
    Dr. Andrej Holm

    Der an der Humboldt-Universität zu Berlin im Bereich der Stadt- und Regionalsoziologie forschende und lehrende Dr. Andrej Holm hat seinen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Gentrification, der Wohnungspolitik im internationalen Vergleich und der Europäischen Stadtpolitik gelegt. Er konzentriert sich dabei auf Studien zur Stadterneuerung. Holm interessiert neben dem Sozialstrukturwandel und den administrativ-politischen Steuerungsinstrumenten der Stadterneuerung, insbesondere die Forschung zu Zusammenhängen zwischen (sub-)kulturellen und symbolischen Aufwertungen und immobilienwirtschaftlichen Inwertsetzungen.

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    Factbox
    Gentrification Blog von Andrej Holm

    Andrej Holm schreibt in seinem Gentrification Blog über Themen zur Stärkung von Stadtteilmobilisierungen und über Kämpfe, die Mieterinnen und Mieter ausfechten.

    Mehr zu Gentrifizierung

    Der Begriff Gentrification leitet sich vom englischen „gentry“ (niederer Adel) ab und wird zur Charakterisierung sozialräumlicher Entwicklungsprozesse von Stadtquartieren genutzt. Gentrification bezeichnet die physisch-räumliche Aufwertung eines Quartiers bei gleichzeitigem Zuzug neuer Haushaltstypen, die mit der Veränderung alteingesessener Bevölkerung einhergehen kann (Alisch/Dangschaft, 1996). Die Prozesse der Gentrification verlaufen dabei nicht konfliktfrei ab, sondern lösen unterschiedliche stadtpolitische Protestaktionen, wie beispielsweise Hausbesetzung, organisierte Mietminderung, politische Demonstrationen oder Vandalismus aus.

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Wer seinen Kiez ungewollt verlassen muss, schiebt es heutzutage auf die „Gentrifizierung“. Und häufig hat er damit Recht. Verdrängungsprozesse, die den Wohnraum betreffen, sind auf den Plakaten von Stadtteilinitiativen wie auch in wohnungspolitischen Debatten in Parlamenten wiederzufinden, da mittlerweile immer mehr Menschen davon betroffen sind. Ob Akademiker, Beamte oder Künstler – viele müssen um ihre Wohnungen in angesagten Vierteln bangen. Steigende Mieten, Neubauvorhaben und die Schwierigkeit, eine bezahlbare Wohnung zu finden – sind nur drei Indikatoren, die für einen Gentrifizierungsprozess sprechen. Mit diesem Phänomen setzt sich unter anderem der Soziologe Dr. Andrej Holm am Lehrstuhl für Stadt- und Regionalsoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin auseinander. Im Rahmen des ForschungsClusters Urban & Regional Diversities an der Zeppelin Universität (ZU) arbeitet er auch mit ZU-Forschern zusammen, die sich mit Gentrifizierungsprozessen in Berlin-Neukölln befasst haben. Dabei betrachtet Holm insbesondere die Aufwertungsdynamiken in der Berliner Innenstadt, welche durch einen stufenweisen Prozess gekennzeichnet werden können.

Doch Gentrifizierung ist kein Phänomen dieser Jahre. Erstmals war hiervon in London der 1960er Jahre die Rede. Damals erkannte die britische Soziologin Ruth Glass eine signifikante Veränderung in der Sozialstruktur des vorrangig von Arbeitern bewohnten Londoner Stadtteils Islington durch den Zuzug von Mittelklassefamilien. Eine Aufwertung des Stadtteils war in zweierlei Hinsicht beobachtbar: Einerseits durch die bauliche und physische Veränderung, andererseits durch eine wohnungspolitische Veränderung mit sozialen Folgen. Die damit verbundene Veränderung des gesamten sozialen Charakters wird heute unter dem Begriff „Stimmung von Städten“ zusammengefasst und trägt dazu bei, Gentrifizierung als mulitdimensionalen Begriff aufzufassen.

Mehr zu Gentrifizierung


Steigende Mieten, Neubauvorhaben und wachsende Städte sind auch in Deutschland ein gängiges Thema wohnungspolitischer Debatten. Die Diagnose Gentrifizierung scheint auf viele städtische Kontexte übertragbar zu sein, sodass praktisch auch jede deutsche Metropole ihre eigene Gentrifizierungsdebatte vorweisen kann. Man denke an die Hausbesetzer im Hamburger Schanzenviertel, die Veränderungen des Münchner Glockenbachviertels oder die unterschiedlichen Gentrifizierungsphasen in Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Neukölln. Deutschland diente Master-Studierenden in Begleitung von Professor Dr. Gertraud Koch vom Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft & Wissensanthropologie der Zeppelin Universität als Untersuchungsfeld. Die eigenständige Forschung führte sie nach Berlin. Sie untersuchten den nationalen und internationalen Mediendiskurs zur Rütli Schule, verfolgten Diversitätsfragestellungen zu Gentrifizierungsprozessen oder der Mediennutzung im ehemaligen Problembezirk Berlin-Neukölln.

Neukölln bietet für diese Untersuchungen einen besonderen Reiz. Man bezeichnet sich selbst als einen der spannendsten und buntesten Bezirke Berlins – im Herzen sei jeder Neuköllner, so das Bezirksamt Neukölln. Der Migrantenanteil beträgt laut offizieller Statistik knapp über 40 Prozent. Der Stadtteil wird allseits als Negativbeispiel für die deutsche Einwanderungs- und Integrationsdebatte verwendet. Besonders signifikant ist die Diversität des Bezirkes aufgrund der unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die sich in den vergangenen Jahren in Neukölln niedergelassen haben, zählt man allein die Länder, aus denen die Bewohner stammen, so kommt man auf 147.

Gentrifizierung in Neukölln
 

Im Rahmen der ZU-Forschung betrachtete Teresa Stumpf die Verdrängungs- und Diskriminierungsmechanismen in Berlin-Neukölln, Mithilfe eines qualitativen Forschungsansatzes verfolgte sie das Ziel, potenzielle Handlungsperspektiven abzuleiten. Geleitet von der Verdrängungstypologie nach Peter Marcuse, führte sie offene Leitfrageninterviews mit unterschiedlichen Persönlichkeiten in Neukölln und erhielt somit einen Einblick in vorhandene Verdrängungs- und Diskriminierungsmuster. Sie fand heraus, dass die interviewten Personen der zunehmenden Stadtteilveränderung grundsätzlich positiv gegenüber stünden. Doch die wahrnehmbare Verdrängung sei kritisch zu betrachten.

Um dem Phänomen näher zu kommen, gilt es jedoch auch, das Miteinander und Nebeneinander einzelner ethnischer Gruppen genauer zu betrachten. Die Studierenden Samantha Lutz und Maike Bechtel haben eben dies in den Fokus einer qualitativen Forschungsarbeit gesetzt. Sie beschäftigten sich insbesondere mit dem empirischen Fall des BiOriental-Marktes am Neuköllner Maybachufer.   Der Markt gilt hier als Vehikel für ein Zusammentreffen vielfältiger Gesellschaftsschichten. Sie beobachten, dass hier ein „Orientalismus“ inszeniert und damit eine Vorstellung von der westlich-geprägten Mehrheitsgesellschaft bedient werde. Der Markt sei Anlaufpunkt einerseits für die unmittelbaren Anwohner in Neukölln und des angrenzenden Kreuzberg, andererseits auch für Touristen, die in Reiseführern und im Internet auf den Markt aufmerksam würden. So treffen sich hier ganz unterschiedliche Kundengruppen. Zu finden sind neben den türkischen Obst- und Gemüseständen, mediterranen Spezialitäten und Stoffen auch Obst, Gemüse und Backwaren aus biologischem Anbau. Der BiOriental-Markt ermögliche ein Eintauchen in eine märchenhafte orientalische Welt, so die Beobachtung. Dies kennzeichne auch eine Plattform, die Künstler die Möglichkeit dazu biete, in familiärer Atmosphäre zu musizieren - ergab eine andere Studie. Künstler sind in Neukölln, angezogen von der Diversität des Stadtteils, mittlerweile vermehrt zu finden.

Künstler werden innerhalb des Gentrifizierungsprozesses als Pioniere gesehen, die zu einer „Konstitution besonderer Orte“ beitragen und die mediale Wahrnehmung von Stadtteilen beeinflussen. Die Kunst- und Kulturszene Neuköllns im Gentrifizierungsprozess untersuchte Sophie von Zezschwitz in ihrem Forschungsprojekt. Im Hinblick auf Neukölln haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Kultureinrichtungen und Kunstprojekte etabliert - ihr Anteil zur Imageverbesserung sei unverkennbar. Mithilfe einer Mediendiskursanalyse von Artikeln aus den letzten 13 Jahren stellte Sophie von Zezschwitz die Bedeutung von Künstlern und Medien im Gentrifizierungsprozess in Neukölln heraus. Sie stieß dabei auf Aufbruch, Bürgernähe und Andersartigkeit als bedeutende Merkmale der Kunst- und Kulturszene und fand heraus, dass der Anziehungspunkt Neuköllns im Spannungsverhältnis zwischen kultureller Vielfalt, sozialem Abgrund und der Kunst von „unten“ liege.

Damit spiegelt sich die Vielfalt Neuköllns auch in den unterschiedlichen Herangehensweisen und Forschungsansätzen der Studierenden wider und birgt weitere Potentiale. Denn für die jungen Forscher zählt, was Dr. Andrej Holm mit dem Satz umschreibt: „Wir machen das nicht für den Elfenbeinturm, sondern dafür, dass die Gesellschaft irgendwann besser ist als jetzt."



Bilder: Wolfgang Borrs; Sophie von Zezschwitz; Samatha Lutz & Maike Bechtel

Gentrification Blog von Andrej Holm


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