Der lächerliche Tyrann
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Gaddafi

Der lächerliche Tyrann

von Anna Staab | Redaktion
17.05.2013
Gaddafis Selbstinszenierung ist so plakativ und abstrus, dass uns, ähnlich wie beim Kitsch in der Kunsttheorie, die Deutungsoffenheit fehlt.

Eva Katharina Zepp
ZU-Bachelorabsolventin
 
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    Zur Person
    Eva Katharina Zepp

    Eva Katharina Zepp studierte an der Zeppelin Universität Communication and Cultural Management sowie Public Management and Governance im Minor. Sie ist Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung und arbeitet derzeit als Junior Consultant bei einer Strategieberatung in Hamburg.

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    Factbox
    Die Methodik

    Die Images des „ausstaffierten Gala-Generals“ und des „panafrikanischen Landesemirs“, die von Gaddafi gleichermaßen bedient wurden, untersuchte Eva Katharina Zepp im Rahmen einer ikonographischen Analyse des Bildprogramms Gaddafis. Als Grundlage dienten ihr dabei ausgewählte Medienbilder des ehemaligen Staatsoberhaupts aus dem Zeitraum 1999-2011. Sie nutzte Bildvergleiche, sowie kunsthistorische und ethnologische Literaturrecherchen zu anderen gleichzeitigen und historischen Herrscherbildern aus Afrika, ebenso wie Experteninterviews, mit denen sie Fragen der Landestrachten, Uniformen und der Tragweise von Orden klärte. Auf dieser Basis zeigte sie schließlich, auf welche Traditionen Gaddafi verweist, wie er mit ihnen bricht und wie er jene traditionsreiche Ikonographien als Mixtur ethnologischer Bezüge in völlig neue Formen bringt.

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Charlie Chaplins beißende Hitler-Groteske „Der große Diktator“ war zu Hochzeiten des Nationalsozialismus für fünf Oskars nominiert. Kim Jong-Il war auch Unpolitischen durch die Website kimjongillookingatthings bekannt, auf der Propagandafotografien des ehemaligen Diktators Nordkoreas zur Belustigung dienten. Und der ehemalige libysche Diktator Muammar al-Gaddafi wurde vor seinem Tod nicht nur von der Zeit als „der Clown unter den Diktatoren“ bezeichnet, sondern diente Regisseur Sascha Baron Cohen zudem als Vorlage für seinen Satire-Blockbuster „Der Diktator“.

Richtig ernst zu nehmen, so scheint es, sind die großen Diktatoren des 20. und 21. Jahrhunderts nicht. Dabei könnte einem das Lachen im Halse stecken bleiben angesichts von sechs Millionen ermordeten Juden, Hunger, Folter und Verfolgung in Nordkorea und den vielen Toten, die der Bürgerkrieg in Libyen forderte. Stattdessen wird gerade der nächste Diktator zum Clown stilisiert: Zwischen „Baby-Diktator“ (BILD) und „Kim Jong Bumm“ (Spiegel) tritt der nordkoreanische Staatsführer nicht nur in Sachen atomarer Aufrüstung die Nachfolge seines Vaters an.
Warum gehen Tyrannei und Folter so oft Hand in Hand mit karikaturistischer öffentlicher Wahrnehmung? ZU-Absolventin Eva Katharina Zepp vermutet, dass zumindest im Falle Gaddafis die Selbstdarstellung die Möglichkeit birgt, sie als „präzises Kalkül eines Herrschaftsprinzips zu verstehen womit Gaddafi, ob bewusst einkalkuliert oder nicht, von einer düsteren Realität ablenken konnte.“ Diese Leseweise bietet sich, so Zepp, insbesondere aufgrund seines Bildprogramms an, welches sie in ihrer Abschlussarbeit ikonographisch analysiert hat.

Muammar al-Gaddafi fiel bei öffentlichen Auftritten häufig durch unkonventionelle Kleidung auf.
Muammar al-Gaddafi fiel bei öffentlichen Auftritten häufig durch unkonventionelle Kleidung auf.
Die Methodik


Doch wie kann diese Rechnung angesichts von weltweiten kritisierten Menschenrechtsverletzungen und einem blutigen Bürgerkrieg aufgehen? Aus kunstwissenschaftlicher Perspektive, so Zepp, ist unser Lachen plausibel: „Gaddafis Selbstinszenierung ist so plakativ und abstrus, dass uns, ähnlich wie beim Kitsch in der Kunsttheorie, die Deutungsoffenheit fehlt. Wir sehen ihn und fragen uns: ‚Ist das ein Scherz oder meint er das wirklich ernst?‘ Weil wir diese Frage nie ganz beantworten können, befinden wir uns in einem Dilemma: Wir wissen nicht, ob wir weinen oder lachen sollen. Beides stellt laut Helmuth Plessner eine ‚Krisenantwort des Körpers’ dar. Im Falle Gaddafis reagieren wir schließlich mit einem Lachen. Gleichzeitig kann diese Form des Lachens aber auch schnell in ein Weinen umkippen – man sieht daran, wie nah Tragik und Komik beieinanderliegen.“

Teil des Wahrnehmungsphänomens Gaddafis sei es, dass die Inszenierung seiner Persönlichkeit unseren Erwartungen an einen Politiker entgegensteht: „Das demokratische System beruht auf der Austauschbarkeit seiner Machthaber, und genau so stellen sich hiesige Politiker dar. Gaddafis Darstellung aber zeichnet sich durch das demonstrative Zeigen von Machtsymboliken in Verbindung mit seiner Person aus – und diese Exponiertheit eines Politikers empfinden wir als peinlich“. Bei Gaddafi werde diese Reaktion beispielsweise durch Ordensdekorationen mit „dilettantisch anmutender Kaugummi-Automaten-Ästhetik“ hervorgerufen, so Zepp: „Er kombiniert Machtsymboliken zwischen üppigem Prunk und billigem Fake. Da ist zum Beispiel der fassadenhafte Pomp seiner Uniformen, der mit der auffälligen Ordensdekoration regelrecht um Aufmerksamkeit wetteifert – zumal beide jede protokollarische Akkuratesse vermissen lassen.“ Sie würden bei Gaddafi quasi zu Fashion-Accessoires.

Hoher Wiedererkennungswert: Gaddafi ganz typisch mit Sonnenbrille und in übertriebener Uniform mit Ordensschlaufen.
Hoher Wiedererkennungswert: Gaddafi ganz typisch mit Sonnenbrille und in übertriebener Uniform mit Ordensschlaufen.

Der Diktator zwischen lächerlichem Exzentriker und mörderischem Tyrann? Zepp warnt: das Belächeln Gaddafis habe auch die Wahrnehmung des Diktators jenseits der modischen Stilbrüche beeinflusst: „Gaddafi wurde eine gewisse Narrenfreiheit zugesprochen. Auch während der Zeit, in der er als Pausenclown salonfähig wurde, führte er ein schonungsloses Terrorregime“, so die ZU-Absolventin. „Das Zerrbild Gaddafis kann in seiner kippenden Dramaturgie als Ausdruck einer Groteske der Macht mit tragischem Potential verstanden werden.“

Die Inszenierung der politischen Persönlichkeit lässt sich aus westlicher Perspektive leicht als diktatorische Strategie abtun. Dabei fördert und fordert die mediale Bühne gerade auch in demokratischen Staaten die Inszenierung, so Zepp. Je stärker hierzulande allerdings die Persönlichkeit eines Politikers im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, umso mehr rückt sein politisches Handeln in den Hintergrund. Die Darstellungsform westlicher Politiker zeichnet sich daher eher durch die Zurücknahme der Person aus. So drückt sich „in den profanen Businessoutfits demokratischer Machthaber“ laut Zepp die Zufälligkeit eines temporären Geschäfts aus, bei dem sie als Non-Personality austauschbar sind: „Diese beinahe demütige Diskretion ist eine Art Nicht-Inszenierung, die aber nichtsdestoweniger immer noch eine Form von Inszenierung ist“. Es wird deutlich: Die Kunst der Inszenierung wird nicht nur von Diktatoren beherrscht. Und in dieser Hinsicht steht die überzogene Uniform dem maßgeschneiderten Anzug in nichts nach. 



Karikatur (Titel): Frauke Fichtner; Bilder: flickr/dionisos-bacus, flickr/Joelk75

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