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Lisa Henke studierte an der Zeppelin Universität Wirtschaftswissenschaften mit dem Nebenfach Kommunikations- und Kulturmanagement. In der Bachelor-Arbeit sah sie die Chance, ihrem Interesse für das deutsche Schul- und Bildungssystem einmal wissenschaftlich nach zu gehen. Die Arbeit mit den Schülern hat sie so motiviert, dass sie ab kommendem Schuljahr an einer Schule als Teach First Deutschland Fellow tätig sein wird.
Die Arbeit orientierte sich an der Grounded Theory nach Glaser und Strauss. Die Theorie sieht ein induktives Vorgehen vor, bei der Hypothesen und Annahmen im Verlauf der Datenerhebung erstellt, kontinuierlich angepasst und revidiert werden. Im Rahmen der Forschungsarbeit wurden qualitative Interviews, Gruppendiskussionen sowie Online-Diskussionen über Facebook geführt.
Die gesamte Arbeit mit Ausführungen zu allen Themengebieten ist im Dossier zu finden.
„Wissenschaft und Politik suchen nach Lösungen, wie Defizite im Schulsystem behoben werden können und übergehen dabei sehr oft die Perspektive der Schüler. Aber wie kann man Schulbildung verbessern und wirksamer machen, ohne die anzuhören, an die sie sich richtet?“ fragt Lisa Henke. „Ich denke, dass Schüler zunächst besser als Bildungspolitiker oder Wissenschaftler wissen, welche Unterstützung sie von der Schule benötigen und wie eine Schule aussieht, in der sie gut lernen und sich wohlfühlen können.“ Daher hat sie für ihre Abschlussarbeit „Bock auf Schule? Wie Jugendliche ihre Schule wahrnehmen“ das Gespräch mit Schülern gesucht.
Für ihre Arbeit hat sie den alltagsnahen und multiperspektivischen ethnografischen Forschungsansatz gewählt. Der Vorteil: er lernt mehr von Menschen, als dass er sie studiert. Es geht weniger um die Überprüfung von Hypothesen, als um deren Generierung, erklärt Henke. „Und so bin ich auch sehr offen und ohne feste Agenda in die Gespräche hineingegangen, denn mich interessierte, welche Akzente die Schüler selbst setzen würden.“ Zwar habe sie eine grobe Struktur bereitgehalten, von der Formulierung konkreter Fragen habe sie jedoch abgesehen, da sie die Schüler in einen Erzähl-Modus bringen wollte.
Henke führte Einzelinterviews mit Neuntklässlern einer Werkrealschule sowie mit Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 17 von Hauptschulen und Gymnasien, die Teil eines Nachhilfeprojekts sind. Die Interviews dauerten zwischen 15 Minuten und anderthalb Stunden.
Anfangs waren viele Schüler aufgeregt, weil eine Erwachsene Interviews mit ihnen führen wollte. „Dabei ist meine eigene Schulzeit ja noch nicht allzu lange her. So erwachsen fühle ich mich auch nicht, aber aus ihrer Perspektive bin ich es natürlich und so war zunächst schon eine gewissen Distanz da.“ Um diese zu überbrücken durften die Schüler den Interviewort selbst bestimmen. Die Gespräche führte sie in Schulen, Cafés und bei Schülern zu Hause.
„Was mich berührt hat, war die Offenheit und Kreativität der Schüler. Die anfängliche Befangenheit haben sie schnell abgelegt und dann engagiert, ziemlich genau und auch begeistert erzählt, wie sie die Schule wahrnehmen und was sie verändern würden. Nur bei zwei der zwölf Interviews musste ich nachbohren, alle anderen haben förmlich gesprudelt.“ Die große Datenmenge, die ihr die Jugendlichen dabei geliefert haben, gliederte Lisa Henke in verschiedene Themengebiete.
Eines dieser Themengebiete behandelt Lehrer, die häufig als bedeutender Einflussfaktor auf die eigene Haltung gegenüber der Schule genannt worden waren.
Neben Humor und Freundlichkeit wünschten sich die Schüler, dass ein Lehrer sie als Gegenüber wahrnimmt.
Natürlich seien auch didaktische Fähigkeiten wichtig. Schüler würden erwarten, dass sich Lehrer aktiv um das Verstehen der Schüler bemühen und auch deutlich spüren, ob dem so ist. Außerdem sei den Schülern die Fairness der Lehrer sehr wichtig gewesen.
Bezüglich der erforderlichen Strenge von Lehrern waren sich die Schüler uneinig. Eine Schülerin sagte beispielsweise, dass sie wegen der Strenge einer Lehrerin Angst vor ihr habe. Ein anderer hingegen wünschte sich strenge Lehrer, denn: „nur durch strenge Lehrer kriegt man was hin“.
Diesen Glauben, dass man nur bei strengen Lehrern etwas lernen kann, schreibt Lisa Henke jedoch auch einem Mangel an positiven Lernerlebnissen zu. Viele Schüler hätten erlebt, dass sie nur bei Lehrern etwas lernen, die frontal unterrichten, für Ruhe sorgen und genau vorgeben, was wann gemacht wird. „Ich hatte das Gefühl, dass sie diese Situation nicht kennen, in der man sich etwas aus Interesse am Thema selbst erarbeitet.“ Doch auch wenn die Erfahrungswerte fehlen – Ideen, wie man Schule besser gestalten könnte, hätten die Jugendlichen durchaus gehabt.
Das Bild der Schüler über ihre Schule deute darauf hin, dass sie diese nicht rein funktionell wahrnehmen, sondern sich einen Erfahrungsort wünschen, an dem sie gerne lernen und sich wohl fühlen. Nach Ansicht der Schüler sei es durchaus wichtig, früh zu vermitteln, wie wichtig es ist, zur Schule zu gehen, zu lernen und sich an die Regeln zu halten. Trotzdem würden sie den Status Quo hinterfragen und auch eigene Konzepte vorstellen. In denen spielen Unterrichtsfächer und -zeiten oft keine Rolle mehr und eigenständiges Gestalten steht im Vordergrund. Auch möchten Schüler den Stundenplan und die inhaltlichen Ausgestaltung von Fächern mitgestalten. Sie wünschen sich, mit Lehrern hin und wieder Rollen zu tauschen. Von Inhalt, Didaktik und Notengebung über sinnvolle Regeln auf dem Pausenhof bis hin zu Sportangeboten und Mensa-Essen – die Schüler hätten unglaublich viele Ideen gehabt, wie man die Schule positiv verändern könnte.
„Dass die Jugendlichen so vor Ideen und Engagement gesprudelt haben, hat mich einerseits sehr gefreut, gleichzeitig auch traurig gemacht. Diese Motivation, die aufkommt wenn Schüler involviert werden und sich beteiligen können, wird kaum berücksichtigt. Schüler werden oft nur als passive Konsumenten von Bildung behandelt“, stellt Lisa Henke fest.
Eine große Rolle spielt, ob Schüler als reine Rezipienten von Unterrichtsstoff gesehen werden, oder ob Ihnen auch die Relevanz des Stoffes vermittelt wird. Die Schüler beschrieben in den Interviews, unter welchen Umständen ihnen ein Unterrichtsfach Spaß bereitet und wann sie es als sinnlos erachten. Das Nutzen des Gelernten in der Zukunft ist dabei zentral. Ein beliebtes Beispiel sei da das Fach Religion gewesen. Ein Schüler drückte seine Zweifel am Fach so aus: "Religion – also ich weiß nicht, was das einem bringt. Wenn man zum Beispiel Zerspannungsmechaniker macht, da find ich Religion halt unnütz. Das brauchste vielleicht, wenn Du Pfarrer machst."
Neben dem greifbaren Nutzen sei die Berührung mit der eigenen Lebenswelt ein Grund für Schülerinteresse am Unterrichtsstoff: Das zeige sich zum Beispiel an Emma, die gerne Ballett tanzt und deshalb den menschlichen Körper faszinierend findet. Oder David, der sich für Geschichte interessiert, vor allem den balkanischen Krieg, weil das Teil seiner persönlichen Geschichte ist. Dass Schüler oft nicht verstehen, warum etwas gelehrt und gelernt wird, findet Lisa Henke sehr problematisch. Denn wenn Schülern nicht vermittelt wird, warum sie etwas lernen, bringen sie kaum Motivation auf. Und das gelte nicht nur für Kirchenlieder im Religionsunterricht, sondern auch für den Deutsch- oder Mathematikunterricht.
Trotz der teils ernüchternden Befunde blickt Henke optimistisch in die Zukunft: „Es gibt unglaublich viele tolle Schulen, die den Schülern einen Erfahrungsraum bieten, in dem sie sich selbst erfahren und entwickeln können. Orte, an die sie gerne gehen und wo sie eigenständig arbeiten. Und ich habe bei meinen Schulbesuchen einige sehr engagierte Lehrer erlebt, die sich für ihre Schüler einsetzen und für ihren Unterrichtsstil Feedback einholen. Ich bin zuversichtlich, dass etwas passieren wird."
Bilder:
flickr (Meral Crifasi)
Simpsons "Kamp Krusty" (Erstausstrahlung am 24.09.1992)