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Zwischen Gier und Gerechtigkeit
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Managergehälter

Zwischen Gier und Gerechtigkeit

von Florian Gehm | Redaktion
08.04.2013
Ich würde mir wünschen, dass man weniger aufgeregt diskutiert und sich an Tatsachen orientiert. Mit Schnellschüssen schaffen wir nicht unbedingt das Beste für das Gesamtsystem.

Wilfried Porth
Vorstandsmitglied der Daimler AG Personal und Arbeitsdirektor
 
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    Zur Person
    Wilfried Porth

    Wilfried Porth ist seit dem 8. April 2009 Vorstandsmitglied der Daimler AG und verantwortlich für das Ressort Personal, gleichzeitig ist er Arbeitsdirektor des Unternehmens. Zusätzlich steht er dem IT-Bereich, dem Einkauf und dem Dienstleistungs-Sektor vor. Porth, geboren am 2. Februar 1959 in Baden-Baden, studierte Maschinenbau in Stuttgart und trat 1985 als Planungsingenieur im Bereich Zentrale Produktionsplanung in die damalige Daimler-Benz AG ein.

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    Factbox
    Zum Hintergrund: Perspektiven auf einem Podium

    Die Schweiz hat es vorgemacht. Großbritannien stellt sich quer. Der EU-Binnenmarktkommissar Barnier will, dass alle nachziehen: Die Regelung der Management-Vergütungen. Das Thema hat seit Jahren emotionalisiert und wird immer wieder kontrovers diskutiert.
    Unter dem Titel "Gehalts-Exzesse oder globaler Arbeitsmarkt?" diskutierten im März 2013 Wissenschaft und Praxis an der Zeppelin Universität. Zum Meinungsaustausch trafen sich Wilfried Porth, Personalvorstand der Daimler AG, Professorin Anja Achtziger, Honorarprofessor Peer Ederer, Professor Christian Opitz und Professor Marcel Tyrell. ZU|Daily fasst die wichtigsten Positionen der aktuellen Diskussion kurz und prägnant zusammen.

    Zum Urteilen: Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung

    Der Deutsche Bundestag hat in seiner 227. Sitzung am 18. Juni 2009 den von CDU, CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung angenommen. Das Gesetz, kurz VorstAG genannt, zielt darauf ab bei der Festlegung der Vorstandsvergütung die Anreize für das Management stärker auf eine langfristig orientierte und nachhaltige Unternehmensführung auszurichten. Dabei regelt es vor allem drei wesentliche Diskussionspunkte: Ein angemessenes Verhältnis zur Leistung, die sogenannte horizontale Angemessenheit zum Branchen- und Landesdurchschnitt und sowie die vertikale Angemessenheit im Vergleich zur Vergütung der Mitarbeiter und der Lage der Gesellschaft. Insgesamt ist Drucksache 592/09 lediglich vier Seiten und sechs Artikel stark. 

    Zum Nachdenken: Europas Topverdiener

    Deutschlands Top-Manager kassieren einer Studie zufolge 54-mal so viel wie ein durchschnittlicher Angestellter eines Dax-Konzerns. Auch wenn die Trends zur "Bescheidenheit" weisen, sind solche Höhen weiter ein Grund zum Nachdenken. Doch auch 2012 lagen die deutschen Gehälter noch weit über dem Europäischen Durchschnitt von circa 5,7 Millionen Euro. Selbst Daimlerchef Dieter Zetsche, mit 8,64 Millionen Euro Schlusslicht unter den 10 Top-Verdienern der Bundesrepublik liegt weit über dem Durchschnitt. Trotzdem verdient er lediglich knapp 50 Prozent im Vergleich zum Erstplatzierten, VW-Konzernchef Martin Winterkorn mit einem Einkommen von 16,6 Millionen Euro jährlich. Zwischen Spitzenreiter und Schlusslicht platzierten sich unter anderem Siemens-Boss Peter Löscher mit 8,71 Millionen Euro Gehalt oder der ehemalige Vorsitz der Deutschen Bank, Josef Ackermann, mit 9,36 Millionen Euro Entlohnung. Eine eindrucksvolle Galerie für den Europäischen Vergleich zeigt die Financial Times. 

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    Dossier
    Geschäftsjahr 2012 - Der Überblick
    Daimler AG
    Jahresabschluss 2012 - Der Bericht
    Daimler AG
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    Mehr ZU|Daily
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    Das 20. Jahrhundert war eines der hocherregenden hochtechnologischen Innovationen. Das 21. Jahrhundert könnte eines der noch erregenderen Sozialen Innovationen werden, schreibt Professor Dr. Stephan A. Jansen.
    Schluss mit dem Boni-Wettrüsten
    Nach dem Schweizer Volksbegehren und der EU-Initiative zur Begrenzung von Banker-Boni schreit die Finanzbranche auf. Finanzwissenschaftler Marcel Tyrell plädiert für Gelassenheit im Umgang mit ihren Argumenten.
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    Der Ausstieg von Commerzbank und Co aus dem Geschäft mit Nahrungsmitteln wird als Akt der Verantwortung gefeiert. Professor Dr. Marcel Prokopczuk sieht darin primär einen „Marketingschritt“. Die Deutsche Bank hat einen Rückzieher gemacht.
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Zum Hintergrund: Perspektiven auf einem Podium


Wilfried Porth ist Personalvorstand der Daimler AG. Knappe drei Millionen bekam er laut Vergütungsbericht der Aktiengesellschaft im Jahr 2012, sein Chef Dieter Zetsche kassierte mehr als acht Millionen.
Ob Wissenschaft oder Politik, zunächst einmal mahnt Porth zur Vorsicht. Seit vier Jahren kennt Porth als Arbeitsdirektor sein Unternehmen und die Konkurrenz und weiß, dass in Deutschland vor allem die wenigen Ausnahmefälle so stark diskutiert werden. „Im Durchschnitt haben wir Niveaus weit unter der diskutierten Höhe“, erklärt er. „Managergehälter fallen nicht einfach vom Himmel.“ Schließlich gäbe es für alles Gesetze, unter anderem das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung.

Zum Urteilen: Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung


Personalvorstand Porth ist seit 4 Jahren im Vorstand der Daimler AG an Bord.
Personalvorstand Porth ist seit 4 Jahren im Vorstand der Daimler AG an Bord.

Genau deshalb warnt er vor weiterer politischer Regelungswut, die sich nicht an dem amerikanischen Problem der flächendäckend exorbitanten Managergehälter orientieren dürfe. „Es wundert mich, dass die Politik etwas von uns verlangt, was sie selbst verweigert. Wer ist der Aktionär der Politik? Der Wähler! Stimmt der über die Gehälter der Politiker ab? Nein! Warum sollten dann alle Aktionäre über alle Gehälter abstimmen?“, fragt Porth mit Blick auf die aktuellen Überlegungen der politischen Akteure.
Wie komplex sich die Gehälter der deutschen Vorstände zusammensetzten, werde in der Öffentlichkeit oft nicht dargestellt. Bei der Daimler AG ergeben sie sich aus unzähligen Komponenten. Zur Fixkomponente kommen ein Bonus, Nebenleistungen wie ein Auto, längerfristige Vereinbarungen und Altersvorsorge hinzu. Auf typisch amerikanische Aktien-Optionsprogramme würde man dagegen verzichten, erklärt Porth.
Was also erwartet sich ein Praktiker von der weiteren Debatte? „Ich würde mir wünschen, dass man weniger aufgeregt diskutiert und sich an Tatsachen orientiert“, sagt Porth. „Mit Schnellschüssen schaffen wir nicht unbedingt das Beste für das Gesamtsystem.“ Die Deckelung der einzelnen Gehaltskomponenten sei richtig, die Hauptversammlung solle vorrangig darüber entscheiden. „Die Macht den Aktionären zu geben, ist gut. Es ist aber utopisch im Voraus über Einzelgehälter entscheiden zu wollen.“ Insgesamt fällt sein Fazit vor allem leistungsorientiert aus und erinnert an die Hochphase der Liberalen im Jahr 2009: „Leistung muss sich lohnen. Und Nicht-Leistung darf sich nicht lohnen“, sagt Porth energisch.

Zum Überfliegen: Die Daimler AG im Überblick


Fünf Perspektiven prallten auf einem Podium an der Zeppelin Universität aufeinander
 

Christian Opitz ist das wissenschaftliche Pendant zu Porth. Er lehrt Unternehmensführung und Personalmanagement an der Zeppelin Universität und hat in der Debatte seinen Blick vor allem auf Großbritannien gerichtet. Dass Gehälter nicht vom Himmel fielen stimme. Für ihn kommt es dabei vor allem auf die Einflussfaktoren der Vergütungsstruktur an, erklärt Opitz und benennt Unternehmensgröße, Performance, die Eigentümerstruktur und den Branchendurchschnitt als wichtige Kennzahlen.
„Was in der Wissenschaft auffällt, ist, dass die Anpassung der Gehälter häufig asymmetrisch verläuft. Während eine Unterbezahlung im Branchenvergleich umgehend angeglichen wird, gibt es kaum Abstufungen. Dadurch lässt sich ein dauerhafter Anstieg der Vorstandsgehälter beobachten.“ Interessant ist auch, dass insbesondere die verantwortungsvollen Positionen bereit sind, Abstriche beim Gehalt zu machen, erläutert Opitz. „Viele verzichten auf höhere Gehälter, wenn sie das Schiff steuern dürfen. Ein Strategieberater reduziert sein Gehalt um die Hälfte, wenn er Verantwortung in der Geschäftsführung übernehmen darf.“

Zum Nachdenken: Europas Topverdiener


Marcel Tyrell, Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der ZU, beobachtet vor allem zwei Komponenten, von denen die Gehaltsstruktur besonders beeinflusst wird: Wettbewerb und Managermacht. „Die Forschung liefert für beide Thesen empirische Befunde“, erklärt Tyrell und weist gleichzeitig auf eine bedenkliche Tendenz zur Managermacht hin: „Vor allem in den USA versuchen Manager, sich im Unternehmen unentbehrlich zu machen.“ Für Deutschland gäbe es noch wenige Untersuchungen, fügt er hinzu, wobei es gerade in den Top50-Unternehmen der Republik zwischen 1993 und 2007 eine massive Steigerung der Gehälter gab, die erforschenswert sei.
Gerade deshalb habe die Boni-Diskussion an Brisanz gewonnen. Tyrell plädiert: „Für die Berechnung von Boni müssen die Faktoren herangezogen werden, die ich als Mensch bestimmen kann.“ Spekulationen und Prognosen seien gänzlich ungeeignet. Gerade in der internationalen Finanzbranche spricht er sich für eine Deckelung der Boni aus: „Das ist die einzige Branche, in der große internationale Kräfte am Wirken sind.“

Peer Ederer ist Honorarprofessor für Humankapital, Wachstum und Innovation an der Zeppelin Universität. Die Erkenntnisse einer französischen Studie hält er für die Debatte für besonders interessant. Sie untersuchte die Organisation von 65.000 französischen Unternehmen. „Das sind so ziemlich alle“, sagt er grinsend. Daraus ließen sich zwei Naturgesetze ableiten: „Sobald ich drei Leute habe, brauche ich einen Chef.“ Dazu komme eine zweite Erkenntnis: „Jede Managementstufe wird um 65 Prozent höher bezahlt, als die Untere“, sagt Ederer. Auch wenn diese Werte in Frankreich gemessen wären, so ließen sich in Deutschland ähnliche Erkenntnisse gewinnen, vermutet Ederer.
Worauf er in der Diskussion besonders achtet, sei die Verhältnismäßigkeit. Schließlich könne man nicht den obersten Manager mit dem untersten Arbeiter vergleichen. „Zu sagen, es sei unfair, dass der Manager ein Vielfaches mehr als ein Arbeiter verdient, macht keinen Sinn! Wenn wir so denken, überspringen wir unzählige Hierarchie- und Verantwortungsebenen!“ Man müsse immer von unten auf die nächste höhere Ebene blicken: „Das Gehalt legt sich von unten her fest“, ist seine zentrale Aussage des Abends.

„Die Psychologie packt’s auf die individuellen Schiene“, eröffnet Anja Achtziger ihren Standpunkt. Die Gehaltshöhe, die diskutiert wird, sei ein Bereich, in dem es darum ginge, ob man sich ein Luxusprodukt leisten könne oder nicht. „Deshalb spielt eher das Machtmotiv eine Rolle. Das Gehalt drückt die Macht in der Firma aus.“ Eine Deckelung des Gehalts sei deshalb gerade für die Motivation nicht sonderlich förderlich.
In der aktuellen Streitfrage bezieht gerade die Psychologie einen deutlichen Standpunkt: „Studien zeigen durch die Bank weg: Solange es gut läuft, darf der Vorstand gut verdienen“, erklärt Achtziger. Ein kritischer Punkt sei erst gekommen, wenn das Gefühl entsteht, das Unternehmen laufe nicht mehr richtig. „Sobald Arbeitsangst herrscht, wird die Bezahlung der Manager ein massives Thema.“
Selbst wenn es zu einer Deckelung käme, vermutet Achtziger, würden die betroffenen Konzerne wie in den USA beobachtet, diese Maßnahmen umgehen: „Das Thema macht sich gut auf der Tagesordnung und wird von der Politik benutzt, um Stimmung zu machen.“ Doch während Daimlervorstand Porth sich um den weiteren Verlauf der medialen Debatte sorgt, kann ihn die Psychologin bereits beruhigen: „Das Thema ist recht schnell wieder vom Tisch, wenn die Unternehmen die Diskussion aussitzen. Das haben die letzten Jahre gezeigt. Ohne Wirtschaftskrise wäre das Thema gar nicht hochgekocht“, urteilt Achtziger abschließend.


Fotos: Muffet (flickr.com, Titel), Daimler AG & Volkswagen AG (Text), Frauke Fichtner (Galerie)

Zum Weiterlesen: Der Geschäftsbericht der Daimler AG


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