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Der 51-jährige Palästinenser stammt aus einer der alteingesessenen palästinensischen Familien in Nablus. Er studierte, lebte und heiratete in den USA und ist mit seiner Baufirma Massar International weltweit tätig. Mit dem Projekt Rawabi will er den Aufbau des Staates Palästina unterstützen. Für die Finanzierung eines Großteil des Projektes Rawabi konnte er das Emirat Katar gewinnen. Der Aufbau Palästinas ist ihm schon lang sein Anliegen. In den 1990er Jahren kehrte er aus den USA zurück und gründete die Zeitung Al-Ayyam, die als Stimme der Fatah-Regierung gilt.
Zu Beginn des Baus von Rawabi kam es zu Sabotage auf der Baustelle durch israelische Siedler. Sie hielten den Bau der Stadt für nicht rechtmäßig, obwohl Rawabi im palästinensischen Autonomiegebiet liegt (A-Gebiet).
Das Westjordanland ist in die Bereiche A, B und C aufgeteilt. Der A-Bereich ist formal palästinensisches Autonomiegebiet, der B-Bereich wird zivil von Palästinensern verwaltet, aber militärisch von Israel kontrolliert. Der C-Bereich untersteht militärisch und zivil der israelischen Kontrolle. Das C-Gebiet macht den flächenmäßig größten Teil Palästinas aus und beinhaltet Verbindungsstraßen und strategisch wichtige Bereiche wie Siedlungen, Grenzen, Wasser, Gipfel.
Die israelische Siedlungspolitik gerät immer wieder international in dei Kritik, weil sie die Friedensverhandlungen verzögert. Erst kürzlich genehmigte die Regierung unter Benjamin Netanjahu den Bau von rund 300 Wohnungen in der Nähe von Ramallah.
Rawabi - eine in jeglicher Hinsicht innovative Stadt für die Mittelschicht entsteht in der Nähe von Ramallah. Hier sollen es die Menschen besser haben, schnelles Internet, keine überlasteten Stromnetze, und effiziente Wasserversorgung soll es geben. Bereits zu Beginn des nächsten Jahres werden die ersten Einwohner in Rawabi erwartet. Doch in der neuen Stadt müssen nicht nur Häuser gebaut, auch eine öffentliche Verwaltung und eine Gemeindeordnung muss konzipiert werden. Den Grundstein dafür legt ZU-Student Sadi Al-Dari. Al-Daris Familie stammt aus Palästina, und seit einigen Monaten begleitet er den Bau der Stadt vor Ort. Eine große Herausforderung für den angehenden Verwaltungswissenschaftler, dessen Kollegen ausschließlich Landschafts- und Stadtplaner, Architekten, Ingenieure und Betriebswirtschaftler waren. „Das war am Anfang eine relativ schwere Last, weil von mir erwartet wurde, dass ich im Alleingang den Aufbau der Verwaltung vorantreibe“, erinnert sich Al-Dari.
Ursprünglich bildete die Baufirma und die palästinensische Autonomiebehörde eine Public-Private-Partnership für den Aufbau der öffentlichen Infrastruktur. Schulen, Moscheen, Wasser- und Stromversorgung sollten von der Regierung bereitgestellt und bezahlt werden. Doch kurzfristig zog sie ihre Unterstützung aufgrund finanzieller Engpässe zurück. „Der Bauherr kann aber seine Stadt und die Wohnungen nicht ohne Schulen, Kindergärten und Straßen verkaufen. Das ist alles an ihm hängen geblieben und auf einmal muss sich diese private Firma darum kümmern, öffentliche Einrichtungen bereitzustellen“, sagt Al-Dari. Zusätzlich muss sie die politische Verwaltung aufbauen.
Nach wochenlanger Recherche über örtliche Gegebenheiten, das politische System, die Verwaltung und die verschiedenen Rechtsgrundlagen, erarbeitete Al-Dari ein Dokument, dass die verschiedensten Dinge, die es in einer Stadt zu regeln gilt, enthält. Die erste Schwierigkeit bestand in den verschiedenen Rechtsgrundlagen, denn dieses Stück Land hatte in der Vergangenheit mehrfach den Besitzer gewechselt: „Es gibt hier Eigentums- und Erbrecht, das noch aus osmanischer Zeit stammt. Das Baurecht ist jordanisch und das Wasserrecht israelisch. Das Wahlrecht wiederum ist palästinensisch“, so Al-Dari.
Obwohl der Student seine Tätigkeit als Pionierarbeit beschreibt, will er das Rad nicht an jeder Ecke neu erfinden. Er orientierte sich an Gemeindeordnungen aus Kanada, den USA und Großbritannien. Ihnen hat er Regeln zur Müllentsorgung, zum Lärmschutz, zum Umgang mit Tieren, und zur Straßen - und Bauordnung entnommen. Seine Regelvorschläge bieten meist mehrere verschiedene Varianten, denn letztlich muss der spätere Gemeinderat Rawabis darüber entscheiden.
Eine grundsätzliche Frage ist, wie groß der öffentliche Sektor sein soll. Welche Dienstleistungen soll die Verwaltung erbringen, welche private Anbieter? Sadi Al-Dari weiß aus eigener Erfahrung, dass in Palästina der öffentliche Sektor sehr ineffizient und aufgebläht ist: „Als größter Arbeitgeber ernährt er ungefähr ein Drittel aller Menschen. Man kann ihn daher nicht einfach verkleinern, weil die Wirtschaft das nicht kompensieren kann.“
In Rawabi will man deswegen von vornherein einen anderen Weg gehen. Es soll möglichst viel in private Hände gelegt werden. Wahrscheinlich ist, dass die jetzige Baufirma zum Beispiel die Wartung der Wasser- und Strominfrastruktur sowie die Müllentsorgung übernimmt. Aber auch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer soll so gestaltet werden, dass sie sich für den Aufbau und die Instandhaltung der Infrastruktur verantwortlich fühlen.
Da die Stadt vorläufig Platz für 25.000 Menschen bieten, und erst später weiter wachsen wird, ist sie in 23 Bezirke mit je circa 1000 Einwohnern aufgeteilt. Jeder Bezirk hat eine eigene Kasse und ein kleines Komitee, welches über neue Spielplätze oder Parkplätze mitentscheidet und sich auch um Reparaturen kümmert, so die Idee. So will Sadi Al-Dari die Verwaltung möglichst schlank halten. Das Positive daran sei, dass es sich um eine Art Privatisierung auf gesellschaftlicher Ebene handelt.
Bisher ist all das noch Zukunftsmusik. Zu kämpfen hat das Bauprojekt immer wieder mit politischen und logistischen Schwierigkeiten. Denn Bauarbeiter, Bauverwaltung und Lieferfahrzeuge müssen auf dem Weg nach Rawabi stets israelisch-kontrolliertes Gebiet passieren. Schon der Baugenehmigung für die knapp drei Kilometer lange Zufahrtsstraße war ein jahrelanger Kampf mit Israel vorausgegangen. Außerdem muss die Genehmigung der Straße jedes Jahr von Israel erneuert werden - ein politisches Druckmittel.
Ebenso problematisch ist die Wasserversorgung, die von der staatlichen Monopolgesellschaft in Israel geregelt wird. Der Baustelle stehen pro Tag 1.000 Kubikmeter zur Verfügung, was laut Al-Dari extrem wenig ist, wenn man bedenkt, dass hauptsächlich mit Beton und Zement gebaut wird. Zusätzliches Wasser muss teuer per Tanklaster herangeschafft werden und auch das Baumaterial kommt zum großen Teil aus Israel. Nebenan leide die benachbarte illegale israelische Siedlung Ateret hingegen nie an Wassermangel, so Al-Daris Beobachtung. Auch das Bauen von Brunnen sei Palästinensern quasi verboten, weil eine Genehmigung von der israelischen Regierung nur schwer zu bekommen sei.
Wie bedrohlich man auf der Baustelle die Abhängigkeit von Israel nicht nur hinsichtlich des Nachschubs von Gütern sondern auch bezüglich der zuverlässigen Passierbarkeit der Grenzen einschätzt, zeigt der Bau eines riesigen Lagers. Darin ist alles enthalten, was man bräuchte, um den Bau der Stadt für einen Monat autark weiterzuführen - sollten die für Palästina so wichtigen Checkpoints von Israel geschlossen werden. Für Al-Dari ist dies eine Art Versicherung dafür, dass Rawabi auf jeden Fall weitergebaut werden kann.
Fotos: Sadi Al-Dari (Titel & Text)