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Francesca Pick hat an der Zeppelin Universität Kommunikation- und Kulturmanagement studiert. Als Fortführung ihres Bachelorarbeitsthemas verfolgt sie seit ihrem Abschluss im September 2012 als Freiberuflerin ihr Interesse an alternativen und nachhaltigen Geschäftsmodellen weiter. Sie ist aktiv am Aufbau des globalen Netzwerks OuiShare beteiligt und als Autorin bei den online Magazinen Ouishare.net und Kokonsum.org tätig.
Der Begriff Kollaborativer Konsum oder collaborative consumption im Englischen bezieht sich auf das wirtschaftliche Modell des Teilens, Tauschens oder Vermietens von Gegenständen im Gegensatz zum Eigentum an ihnen. Bestehende Geschäftsmodelle, Einkaufsverhalten und der gesamte Lebensstil verändern sich dadurch grundlegend. Das Internet ermöglicht diese Entwicklung. Verschiedene Blogs wollen über diese Entwicklung informieren, sie voranbringen und Interessierte vernetzten:
www.kokonsum.org
www.ouishare.net
www.collaborativeconsumption.com
Kleiderkreisel: Ein Internet-Flohmarkt für Kleider, Schuhe und Accessoires für Nutzer in Deutschland und Österreich.
Foodsharing: Eine Plattform auf der Produzenten, Händler und Verbraucher Lebensmittel kostenlos anbieten und sich zum gemeinsamen Kochen verabreden können.
WhyOwnIt: Hier kann man allerlei Produkte ver- und ausleihen, die gehen von Autos über Bücher und DVDs bis hin zu Bohrmaschinen.
www.autonetzer.de: Eine Peer-to-Peer Carsharing Plattform, auf der Privatpersonen ihre Autos stundenweise an Nachbarn vermieten.
Airbnb: Der Onlinemarkt für einzelne Zimmer oder ganze Wohnungen von und für Privatmenschen in 192 Ländern, die Alternative zum Hotel im 21. Jahrhundert.
Wie bei Startups im Allgemeinen werden auch Peer-to-Peer-Plattformen meist von jungen Leuten gegründet, die Ideen und ein bisschen Idealismus haben, sowie sich vor allem sehr gut mit dem Internet auskennen. Viele haben einen Programmierer-Hintergrund. Es gibt auch etliche Aussteiger, die schon einige Jahre gearbeitet haben und dann keine Lust mehr hatten, sich in einem großen Konzern zu Tode zu arbeiten, die Logik dahinter durchbrechen wollten.
Die Nutzer dieser Plattformen sind im Wesentlichen die gleichen Leute. Wobei man unterscheiden kann zwischen denen, die in erster Linie Geld sparen wollen. Bei Mitfahrgelegenheit zum Beispiel: Den meisten Leuten geht es dabei nicht um Gesellschaft bei langen Auto- oder Bahnfahrten, sondern um Kostenersparnis. Andererseits gibt es viele, die über Peer-to-Peer-Plattformen der Anonymität des schnellen Lebens entfliehen wollen und Kontakte suchen, oder aus ethischen Gründen Überproduktion und -konsum entgegensteuern wollen. So zum Beispiel bei Foodsharing, wo Privatpersonen, Händler und Produzenten die Möglichkeit haben, überschüssiges Essen kostenlos anzubieten oder abzuholen. Darüber hinaus kann man dort sich auch zum gemeinsamen Kochen verabreden und überschüssiges Essen teilen.
Text: Francesca Pick
Sie haben sich in Ihrer Abschlussarbeit mit „Peer-to-Peer-Geschäften“ zwischen Privatleuten beschäftigt. Inwieweit sind diese denn besonders? Denn kleine Geschäfte zwischen Privatpersonen sind ja nichts Neues...
Francesca Pick: In der Tat – Altkleidersammlungen, Schenkungen, Flohmärkte, all das sind Beispiele für Peer-to-Peer-Geschäfte, auch Peer-to-Peer, und es gibt sie schon sehr lange. Das Besondere an den neuen Formen von Peer-to-Peer ist vor allem die Art, wie die Peers sich finden, nämlich über das Internet. Dieses digitale Medium und die sozialen Netzwerke ermöglichen Peer-to-Peer in ganz neuen Dimensionen. Plötzlich können sich Leute unabhängig von Raum und Zeit miteinander verbinden und Ressourcen teilen.
Was bedeutet „Peer-to-Peer“ denn grundsätzlich?
Pick: Hier finden Transaktionen nicht klassisch zwischen Unternehmen und Privatperson statt, sondern unter Konsumenten. Es ist die englische Bezeichnung für Geschäfte, bei denen Privatpersonen untereinander materielle und immaterielle Ressourcen teilen. Dies ist eine Art des kollaborativen Konsums, auch bekannt als Collaborative Consumption.
Passieren diese Geschäfte tatsächlich weltweit oder zentrieren sie sich doch eher auf begrenzte geographische Räume?
Pick: Das hängt in erster Linie vom Service ab. Carsharing zum Beispiel, wobei Privatpersonen Autos untereinander teilen, spielt sich in erster Linie in einer Nachbarschaft oder einem Viertel ab. Dann gibt es aber auch Plattformen wie Kleiderkreisel, in dessen Rahmen man Klamotten verkaufen und verschenken kann. Das läuft in ganz Deutschland und theoretisch auch darüber hinaus, man muss ja nur das Päckchen zur Post bringen. Ein anderes Beispiel ist Airbnb, hier vermieten Privatpersonen ihre Wohnungen an Reisende. Da passiert es schon, dass sich ein deutscher Backpacker bei einer australischen Familie ein Zimmer für eine Nacht mietet.
Entstehen Peer-to-Peer-Geschäfte eher in Städten oder auf dem Land?
Pick: Ganz klar in Städten, da sich dort die kritische Masse von Menschen befindet, die das Funktionieren vieler dieser Plattformen voraussetzt. Zudem leben Menschen in der Stadt oft anonymer und könnten oft viele Ressourcen miteinander teilen, wenn sie nur voneinander wüssten. Hier springen Peer-to-Peer-Plattformen ein und machen es einfacher, sich mit Leuten zu verbinden, die man sonst nicht finden würde.
Welche gesellschaftlichen Veränderungen haben zur Entwicklung solcher Plattformen und dem Wachstum von kollaborativem Konsum beigetragen?
Pick: Zunächst die Finanz- und Wirtschaftskrise. Vor allem in den USA mussten sich viele Menschen nach zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten umsehen. Viele haben in der Zeit Airbnb entdeckt und konnten sich dadurch aus der Krise herausholen, indem sie Räume vermieteten, die sie sowieso schon hatten.
Eine andere Sache ist die Abkehr von Hyperkonsum und Überfluss. Immer mehr Menschen wollen lieber Zugang zu Gütern, anstatt sie zu besitzen. Eng damit verbunden ist auch die Nachhaltigkeitsbewegung, im Zuge derer Menschen der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen immer wichtiger wird.
Welche Rolle spielt Vertrauen bei dem Ganzen?
Pick: Vertrauen ist hier, wie bei allen anderen ökonomischen Transaktionen auch, essentiell. Da bei solchen Geschäften das Internet als Medium dazwischen geschaltet ist, kann Vertrauen nicht wie unter Privatpersonen normalerweise üblich durch Begegnungen aufgebaut werden. Bei Internetgeschäften mit Unternehmen, E-Commerce, bestand zunächst dasselbe Problem, hier wurden allerdings Lösungen wie Siegel, Verkäuferbewertungen oder ähnliches, gefunden, sodass Interneteinkäufe heute selbstverständlich sind. Nur jetzt hat man plötzlich eine Privatperson am anderen Ende.
In Ihrer Arbeit haben Sie Systeme untersucht, die versuchen, Vertrauen ohne persönliche Begegnungen aufzubauen. Wie kann so etwas funktionieren?
Pick: Das Ganze war damals und ist eigentlich noch immer sehr in den Anfängen. Ich habe einige Startups analysiert, die Lösungsansätze für dieses Problem auf den Markt bringen wollten, einige von ihnen sind schon gescheitert. Ein Startup, das es noch gibt, ist TrustCloud. Diese Plattform aggregiert die Daten verschiedener sozialer Medien eines Nutzers und andere transaktionsbasierte Daten und erstellt dadurch ein portables persönliches Profil, das auf verschiedenen Seiten einsetzbar ist. Die Idee dahinter ist, dass man nicht auf jeder neuen Plattform von vorne anfangen und positive Ratings sammeln muss um vertrauenswürdig zu wirken, sondern zum Beispiel positive Feedbacks von eBay auch beim CouchSurfing verwenden kann.
Gibt es auch weniger mathematische Versuche, diesem Vertrauensproblem zu begegnen?
Pick: Ja, ganz banal sind das Gemeinschaften von Menschen, die sich aus einem bestimmten Grund einander zugehörig fühlen. Zum Beispiel wegen gemeinsamer Interessen, Hobbies oder Organisationszugehörigkeit. Mitfahrgelegenheit ist da auch wieder das perfekte Beispiel. Diese Plattform gibt es seit elf Jahren, in den ersten Jahren sogar ohne Bewertungssystem. Der Hauptgrund für das Funktionieren war die aktive Gemeinschaft und die Tatsache, dass jeder wusste, dass viele Nutzer Studierende oder ehemalige Studierende sind. Man ist quasi unter sich und daraus entsteht eine Art Grundvertrauen.
Je vertrauenswürdiger ich werden will, desto mehr Information muss ich über mich preisgeben?
Pick: Genau und eben das ist das Problem. Da es im Internet keine anderen Möglichkeiten gibt, andere Menschen einzuschätzen, wird Vertrauenswürdigkeit gleich Transparenz, wenn man diesen Pfad geht. Natürlich stellt sich aber die Frage, ob völlige Transparenz das ist, was man will.
Bild: mi.la / Photocase