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Die Wurzel allen Übels?
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Preisspekulation mit Nahrungsmitteln

Die Wurzel allen Übels?

Nils Metzger | Redaktion
11.02.2014
Weitere Regulation der Tätigkeit von Investoren ist mit Blick auf die Bildung von Preisblasen wahrscheinlich unnötig.

Prof. Dr. Marcel Prokopczuk
Lehrstuhlinhaber für Empirische Kapitalmarktforschung & Ökonometrie
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Marcel Prokopczuk

    Seit Mitte 2012 ist Prokopczuk Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Empirische Kapitalmarktforschung & Ökonometrie. Marcel Prokopczuk beschäftigt sich in seiner Forschung hauptsächlich mit der Analyse und Bewertung von Rohstoffderivaten. Zuvor war er an der Henley Business School der University of Reading (UK) tätig.


    Er hat Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe sowie der University of California in Santa Barbara studiert und an der Universität Mannheim promoviert.

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    Dossier
    FINANZSPEKULATION UND NAHRUNGSMITTELPREISE: ANMERKUNGEN ZUM STAND DER FORSCHUNG
    Bass 2013
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An Hunger zu sterben ist eines der grausamsten Schicksale, das Menschen in den wenigen verbliebenen Entwicklungsländern weltweit ereilen kann. Durch technische Innovation stiegen die Ertragsquoten im vergangenen Jahrhundert rasant: Von rund zwei Tonnen Weizen je Hektar Anbaufläche zu Beginn des Jahrhunderts bis auf rund 7,5 Tonnen je Hektar heute, gibt das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel an. Schwer wiegt daher der in verschiedenen Kontexten immer wieder geäußerte Vorwurf, westliche Industriestaaten würden den Hunger in der Welt bewusst in Kauf nehmen, um ökonomische Interessen zu befriedigen. Historisch standen stets die Agrarsubventionen der Europäischen Union im Zentrum der Kritik - sie machten es für europäische Bauern attraktiv, deutlich über dem Bedarf des Marktes zu produzieren und die überschüssigen Produkte anschließend zu exportieren. Lokale Agrarmärkte in Schwellen- und Entwicklungsländern konnten mit diesen künstlich vergünstigten Produkten kaum konkurrieren. Das Land begab sich in die Abhängigkeit von Europa.

Heute sind diese Subventionszahlungen - auch nach anhaltender Kritik von Aktivistengruppen - nahezu vollständig zurückgefahren. Zuletzt hatte die EU nur noch 150 Millionen Euro für das Jahr 2014 eingeplant, um den Export zu fördern - in den 1980ern lagen die jährlichen Ausgaben noch in zweistelliger Milliardenhöhe. Globalisierungskritische Netzwerke legen den Fokus ihrer Arbeit daher seit einigen Jahren mehr und mehr auf einen anderen Aspekt des globalen Agrarmarktes: Handel und Spekulation mit Lebensmitteln.

Ein Gemälde aus der Zeit, als Agrarökonomen noch Bauern waren.
Ein Gemälde aus der Zeit, als Agrarökonomen noch Bauern waren.

Grundsätzlich unterscheidet man dabei zwei Typen von Transaktionen: Den Handel mit den Rohstoffen selbst (aus dem sich mehr und mehr Finanzinstitute wegen der geringen Rentabilität zurückziehen, zuletzt die Deutsche Bank im Dezember 2013), sowie verschiedene Formen von Indexspekulation (woran die wichtigsten Finanzinstitute weiterhin festhalten möchten). Beides sind keine neuen Phänomene. Seit Jahrzehnten ist es üblich, dass sogenannte Futures, also Anrechte auf zukünftige Lieferungen, von Investoren auf Kapitalmärkten gehandelt werden. Auf diesem Wege können sich Agrarunternehmen mit frischem Kapital versorgen und sich in diesem sehr von äußeren Umwelteinflüssen und den Jahreszeiten abhängigen Industriezweig unternehmerisch absichern.

In den vergangenen Jahren haben mehrere Entwicklungen den weltweiten Markt für Lebensmittel umstrukturiert. Zunächst nahm der Bedarf nach Fleischprodukten in Schwellenländern radikal zu, im gleichen Zeitraum nahmen immer mehr Energiekonzerne Biokraftstoffe in ihr Sortiment auf. Beide Trends binden große Mengen an Anbauflächen. Eine Studie, die sich derzeit an der Technischen Universität Darmstadt in Entwicklung befindet, rechnet nach Angaben des Fachmagazins "Erneuerbare Energien" mit einem zusätzlichen Flächenbedarf von 2,5 bis 3,5 Millionen Hektar für die Umsetzung der aktuellen Version der EU-Biokraftstoffgesetzgebung bis 2020 allein in Deutschland - bei einer Gesamtackerfläche von 11,9 Millionen Hektar im Herbst 2013.

Das hat zur Folge, dass obwohl mehr als ausreichend Nahrungsmittel für die derzeitige Weltbevölkerung produziert werden, die Preise für Lebensmittel auf dem Weltmarkt tendenziell ansteigen, was wiederum die Attraktivität solcher Güter für Investoren steigert. Aus einem Markt, der zunächst dafür sorgen soll, dass Landwirte in aller Welt ihrer Arbeit nachgehen können und Volkswirtschaften mit ausreichend Lebensmitteln versorgt werden, wurde in den vergangenen zehn Jahren auch ein Markt, der vermehrt Spekulanten anzog - das Preisniveau stieg insbesondere im Zeitraum von 2004 bis 2008 und nach einem schmerzhaften Absturz des Marktes abermals ab 2011 rasant an.

Wie haben sich Lebensmittelpreise zwischen 2000 und 2012 durchschnittlich entwickelt? Der FAO-Lebensmittelindex gibt Antworten.
Wie haben sich Lebensmittelpreise zwischen 2000 und 2012 durchschnittlich entwickelt? Der FAO-Lebensmittelindex gibt Antworten.

"Diese Entwicklungen stellen ärmere Nationen vor enorme Probleme mit Blick auf ihre Versorgungssicherheit. Sie sind von Importen abhängig", schreibt der ZU-Ökonom Prof. Dr. Marcel Prokopczuk im Vorwort zu seiner im Januar 2013 veröffentlichten Studie "Rising and Volatile Food Prices: Are Index Fund Investors to Blame?". Prokopczuk untersuchte dabei zunächst, ob ein direkter Zusammenhang zwischen Investitionstätigkeit bereits genannter Indexfonds und dem steigenden, bzw. fallenden Preisniveau von verschiedenen Agrargütern existieren. In einer weiterführenden Studie vom Januar 2014 weitet er seine Untersuchungen schließlich auch auf andere Bereiche der indexbasierten Rohstoffspekulation aus - mit weitgehend deckungsgleichen Ergebnissen.

Prokopczuk kommt in seinen Untersuchungen zu Ergebnissen, die sich nicht mit der landläufigen Meinung decken: Tatsächlich trage seine Forschung "zur wachsenden Faktenlage bei, wonach Rohstoffindexhandel und andere Spekulation das Aufkommen von Spekulationsblasen während des vergangenen Jahrzehnts nicht unterstützt haben". Aufsichtsbehörden und Politikern rate er daher dringend von einer weiteren Regulation des Marktes ab - andernfalls könne dieser seiner Aufgabe, für ausreichend Liquidität zu sorgen, nicht mehr ausreichend nachkommen.

Zentral ist die Erkenntnis, dass Indexinvestoren tendenziell nicht dazu in der Lage sind, mit ihrer Investorentätigkeit große Entwicklungen am Markt hervorzurufen. Stattdessen seien sie vor allem daran interessiert, vorhandene Entwicklungen aufzugreifen und von ihnen zu profitieren. Marcel Prokopczuk kommt auf Basis der ihm vorliegenden Daten, insbesondere zweier Statistiken der US-Behörde "Commodity Futures Trading Commission" zu dem Ergebnis, dass Investitionstätigkeit die Stabilität von Marktpreisen erhöhe, die Volatilität senke.

Brasilien ist eines der wichtigsten Exportländer für Nahrungsmittel. Hier ein Blick in die Börse von Sao Paulo.
Brasilien ist eines der wichtigsten Exportländer für Nahrungsmittel. Hier ein Blick in die Börse von Sao Paulo.

Diese Position ist wissenschaftlich noch umstritten: Prof. Dr. Hans-Heinrich Bass, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen, der 2013 im Auftrag der Aktivistengruppe Foodwatch eine Studie zum Thema herausgegeben hat, kritisiert:

"Indexorientierte Anleger hoffen im Normalfall auf im Zeitverlauf steigende Preise und halten daher typischerweise nur Terminkontrakte, die ihnen das Recht geben, einen Rohstoff in der Zukunft zu einem bereits vorher festgelegten, niedrigeren Preis zu kaufen. Indexfonds halten ihre Kontrakte an Weizen, Erdöl, Kupfer usw. entsprechend eines vorher festgelegten Schlüssels. Sie halten mithin verhältnismäßig konstante Mengen an Kontrakten, die sich auf einen bestimmten Rohstoff beziehen. Kurz vor Fälligkeit eines Kontraktes wird dieser gegen einen länger laufenden Kontrakt ausgetauscht. Dieser Prozess wird 'Rollieren' genannt. Indexorientierte Anleger reagieren wegen der Vorfestlegung auf bestimmte Proportionen im Allgemeinen nur geringfügig auf allfällige Preisveränderungen.

Dadurch ermöglichen sie Getreidehändlern, Großfarmern und Großverbrauchern, die an der versicherungsähnlichen Absicherung ihrer physischen Geschäfte gegen aus ihrer Sicht ungewünschte Preisentwicklungen interessiert sind, auch Absicherungen, die sonst wegen der Forderung eines zu hohen Garantiepreises nicht zu Stande kämen. Dies hat den Verdacht aufkommen lassen, dass Indexfonds den bestehenden, auf Fundamentalfaktoren zurückzuführenden Aufwärtstrend der Rohstoffpreise verstärken und zusätzlich Einfluss auf die Entstehung von Preisspitzen haben könnten. Zudem besteht der Verdacht, dass spekulatives Verhalten der Finanzmarktakteure das Auf und Ab der Preise (die Volatilität) verschärft."


Endgültig und eindeutig sind die Forschungsergebnisse bislang noch nicht. Beide Seiten des Disputs sind eifrig dabei, selbst Forschung zu finanzieren und beteiligte Wissenschaftler für ihre Kampagnen einzuspannen. Das wirkt sich insbesondere auf die mediale Wahrnehmung der Forschung aus. Insbesondere eine sich stetig verbessernde Datenlage zur Investitionstätigkeit der Indexfonds wird die Qualität der Forschung in den kommenden Jahren deutlich verbessern. So wird sich zeigen, ob sich der wissenschaftliche Trend, keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Indexinvestitionen und Preisblasen belegen zu können, fortsetzen wird.

Foodwatch-Studie zum Stand der Forschung zu Preisspekulationen


Titelbild: Lotus Head via Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Bilder im Text: Grigorij Grigorjewitsch Mjassojedow / Wikimedia Commons (public domain), Marcel Prokopczuk / ZU, Rafael Matsunaga / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

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