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Aline Wachner studierte internationale Kultur- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Passau. Dort befasste sie sich mit den Schnittstellen von Wirtschaft und Gesellschaft. Für ihre Masterarbeit untersuchte sie das Potenzial für Kooperation zwischen privaten Unternehmen und Sozialunternehmen am unteren Ende der Gesellschaft. Gleichzeitig arbeitete sie für eine CSR-Agentur in Hamburg und München. Nach der Graduierung 2009 forschte sie am Grameen Creative Lab in Wiesbaden, einem Think Tank für Sozialunternehmen. Seit Mai 2011 ist Aline Wachner Research Fellow am Civil Society Center der Zeppelin Universität. Sie befasst sich dort mit der Legitimation und Verantwortung hybrider Organisation.
Nachdem er nicht mehr im Vorstand seiner Bank tätig ist, konzentriert sich Muhammad Yunus auf sein eigenes Forschungsinstitut in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Auch ZU-Expertin Aline Wachner hat dort bereits geforscht.
Was wäre eine aufstrebende Branche ohne Rang- und Bestenlisten? Das US-Wirtschaftsmagazin kürt regelmäßig die Shootingstars der Weltverbesserer. Für die prämierten Unternehmer bedeutet das oft wichtige Finanzspritzen und globale Aufmerksamkeit für ihre Projekte.
Diesen Oktober gastiert das weltweit größte Forum für soziales Unternehmertum in Seoul, Südkorea. Aktivisten und Geschäftsleute aus allen Ecken der Welt tauschen sich über Projektideen aus, diskutieren die Rechtslage in ihren Heimatländern und arbeiten daran, die klassische Entwicklungshilfe ein Stück weit zu reformieren.
„Kapitalismus schafft Armut durch seine Fokussierung auf Profit“, schrieb der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus im Jahr 2007. Mit seiner auf Mikrokrediten basierenden Grameen Bank prägte der bangladescher Ökonom seit den 1980er Jahren den Begriff des „Sozialen Unternehmertums“. Jede Form des Gewinnstrebens würde die Kultur einer Firma durchdringen und vom eigentlichen Zweck einer Unternehmung ablenken: den Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen. Seitdem haben sich soziale Unternehmen auf der ganzen Welt verbreitet – Mercedes-Benz betreibt in Südafrika ein eigenes Betriebskrankenhaus, um den Mitarbeitern ihrer drei Werke und deren Angehörigen Zugang zu einem hochwertigen Gesundheitssystem zu ermöglichen.
Das Konzept ist zu einem der wichtigsten Beobachtungsgegenstände der heutigen Wirtschaftswissenschaft geworden. Auch das Verständnis dessen, was heute als Social Business gilt, hat sich weiterentwickelt und verfolgt nicht mehr zwingend die ursprünglich, radikale Herangehensweise des Muhammad Yunus. „Heute gibt es eine ganze Reihe von Unternehmensformen, die sich im Graubereich zwischen non-profit und profitorientiert, staatlich und privat bewegen“, betont die Kulturwirtin Aline Wachner, die am Civil Society Center der Zeppelin Universität zu nachhaltigem Unternehmertum in Schwellen- und Entwicklungsländern forscht.
Aktuell existieren diverse gleichberechtigte Definitionen, die vom Mäzenentum eines Bill Gates über die Corporate Social Responsibility-Abteilung eines Großkonzerns bis hin zu privat betriebenen Gesundheitsstationen in südafrikanischen Slums reichen. Diese unklare Abgrenzung mache es auch so schwer, verlässliche und vergleichbare Zahlen für den Erfolg solcher Unternehmungen weltweit zu erheben, merkt Wachner an. Der „Development Marketplace“ der Weltbank, die weltweit größte Plattform für sozialorientierte Geschäftsideen, förderte seit 1998 mehr als 1200 Projekte mit mehr als 60 Millionen US-Dollar. Ein verschwindend geringer Betrag, verglichen mit der totalen Zahl der Unternehmungen weltweit und den Investitionsmengen, die etwa in Technologie-Startups im Silicon Valley fließen, oder den Beträgen, die traditionelle Entwicklungshilfe ausmachen.
Ein Problem, das auch Wachner bereits begegnet ist: „Bei meinen Forschungsreisen sehe ich immer wieder - auf Konferenzen und anderswo -, dass große Hoffnungen in solche Projekte gesteckt werden. Noch halten sich die Investoren aber zurück.“ Verantwortlich dafür seien auch mehrere Skandale um prominente Sozialunternehmen in den vergangenen Jahren, aber auch strukturelle Probleme in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Im November 2012 wurde bekannt, dass mehrere der größten privaten Krankenversicherer Kolumbiens rund 4,4 Milliarden US-Dollar veruntreut hatten. Das Verfassungsgericht kam zu dem Schluss, dass keine ausreichende Kontrolle der Branche und der auf dem Markt aktiven Sozialunternehmer durch die Regierung stattgefunden habe.
Im Rahmen ihrer aktuellen Forschungstätigkeit vergleicht Wachner nun die Gesundheitssysteme Mexikos, Kolumbiens, Kenias und Südafrikas und analysiert, welche Rolle sozialen Unternehmen in ihnen zukommen. Während Mexiko und Kolumbien über eine allgemeine Krankenversicherung verfügen, gibt es weder in Südafrika noch in Kenia ein solches System. In Mexiko und Südafrika sei die Attraktivität des Gesundheitssektors für private Investoren aus verschiedenen Gründen hoch, in Kolumbien und Kenia hingegen niedrig.
Zwischen diesen Polen hätten sich in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche Modelle sozialer Unternehmen entwickelt, so Wachner. „In manchen Ländern haben sich gewissermaßen Parallelwelten entwickelt, in denen sowohl staatliche, wirtschaftliche, wie auch zivilgesellschaftliche Akteure am gleichen Problem arbeiten.“ Die mangelhafte Koordination zwischen den Gruppen hätte überaus negative Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung insgesamt. „Sozialunternehmen können dieses Koordinierungsproblem nutzen, da sie in der Lage sind, als Organisation Mikro- und Makroebene zu kombinieren und gewissermaßen als Chamäleon zu agieren. So können sie Legitimation von Seiten verschiedener Akteure erlangen.“ Ihr Forschungsansatz beschäftige sich darum insbesondere mit der Frage, wann ein an Profit orientierter und wann ein Non-Profit Ansatz für ein Land oder eine Region legitimer sei.
Der aktuelle Stand der Forschung zeigt mehrere Tendenzen auf: Bei Sozialunternehmen im Dienstleistungssektor, wie eben privaten Krankenhäusern und Pflegestationen, sei das Entstehen einer sozialen Unternehmenslandschaft oft an bereits bestehende Strukturen gekoppelt. In ländlichen Gebieten, die oft nur schwer erreichbar sind, sei es deutlich schwerer, die arme Bevölkerung infrastrukturell zu erschließen. Ebenso gehe die Forschung aktuell davon aus, dass Großkonzerne, insbesondere solche, die international tätig seien, das größte Potenzial hätten, möglichst viele Menschen aus der Armut zu holen. „Sie können einfacher auf Skaleneffekte zurückgreifen, die ein solches Geschäftsmodell rentabel machen.“ Die Rechnung scheint einfach: niedrige Margen dafür aber Millionen Kunden. Ob Großkonzerne hingegen über die nötigen lokalen und kulturellen Kenntnisse verfügen, um solch ein Projekt erfolgreich umzusetzen, sei fraglich und müsse erforscht werden, ergänzt Wachner.
Oft scheitern internationale Unternehmen jedoch an regionalen Begebenheiten und kulturellen Barrieren, die auf dem Papier, geschweige denn in Gesetzestexten und offiziellen Richtlinien, gar nicht existieren. Diese Faktoren, seien es gesellschaftliche Randgruppen, oder der Ausschluss von Frauen aus dem Wirtschaftsleben, erschweren es, ähnlich wie Korruption oder eine schlechte Sicherheitslage, alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen zu erreichen. „Viel öfter liegt es nicht an allein an fehlendem Geld, dass Menschen der Zugang zu elementaren Dienstleistungen verwehrt bleibt - sondern auch an gesellschaftlichen Konventionen und daran, dass Teile der Gesellschaft und der Wirtschaft schlicht keiner staatlichen Regulation unterworfen sind“, betont Wachner.
Viele Großkonzerne trauen sich noch nicht, diese Märkte zu erschließen. Es ist ein riskantes Unterfangen, auch aus Legitimitätsgründen – etwa beim Angebot von Dienstleistungen, konkurrieren die Firmen sehr schnell mit staatlichen Projekten und Strukturen. Konflikte sind vorprogrammiert. Deswegen sind es aktuell eher kleine Sozialunternehmen oder sogenannte „Corporate Social Responsibility“-Initiativen, die in diesem Markt experimentieren. Der aktuelle Trend des sozialen Unternehmertums liege auch daran, dass global agierende Organisationen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds die wirtschaftliche Liberalisierung von Schwellen- und Entwicklungsländern vorantreiben. Unternehmertum und Privatisierung seien dabei Ecksteine der Politik jener Organisationen und oft auch Vorbedingung für die Zahlung von Geldbeträgen. Allerdings seien diese Maßnahmen nicht zwingend auch die „sozialsten“, ergänzt Wachner.
Wissenschaftliche Erkenntnisse wie die von Wachner könnten nun dabei helfen, die Erwartungen an Sozialunternehmertum und die Zusammenarbeit verschiedener Investoren zu verbessern. Noch sei nicht klar, wann welcher Unternehmenstyp zu bevorzugen ist und wie sehr sich kulturelle Faktoren auf den Erfolg auswirken. „Die Eier legende Wollmilchsau des Sozialunternehmens ist ein Idealbild, das viele Investoren und Organisationen fördern wollen. Zahlreiche Plattformen, auf denen sich Experten und Firmenvertreter austauschen können existieren bereits, der Wissenstransfer ist im Gange. Was es jetzt braucht, ist mutiges Kapital für die Umsetzung“, so das Fazit der ZU-Forscherin.
Titelbild: go vegan go / Wikimedia Commons (Creative Commons CC BY-SA 2.0)
Bilder im Text: World Economic Forum / Wikimedia Commons (Creative Commons CC BY-SA 2.0)
Fotograf unbekannt / Wikimedia Commons (public domain)
UKaid / Flickr (Creative Commons CC BY 3.0)