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Mitglieder in der Projektgruppe "Refugees of Revolution" mit der Fragestellung "Inwiefern beeinflussen sich die politische und die mediale Agenda gegenseitig? Was sind die politisch-medialen Wechselwirkungen
in Bezug auf die deutsche Asylpolitik?" waren:
| Ole Fischer
| Marius Gardt
| Daisy Green
| Johanna Janßen
| Lea Léwitan
| Anna Müller
| Jan Wasserziehr
Die Studierenden lernen im Rahmen dieser Projektarbeit bereits in den ersten zwei Semestern ihres Bachelor-Studiums (Zeppelin-Jahr), welche Möglichkeiten Wissenschaft und Forschung bieten. Dabei setzen sie sich mit fachlichen Impulsen auseinander, die durch Professoren der verschiedenen Disziplinen gegeben werden, und entwickeln in interdisziplinärer Gruppenarbeit eine eigenständige Forschungsfrage. Bei der Bearbeitung dieser Forschungsfrage steht ihnen dann ein Professor zur Seite, mit dem gemeinsam Antworten, Problemlösungen und Anschlussfragen gesucht werden.
Oktober 2013: Als hunderte Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea beim Versuch, in einem Kutter nach Lampedusa zu flüchten, im Meer ertrinken, ist der mediale Aufschrei groß. Seitdem vergeht kaum ein Tag ohne neue Schreckensnachrichten an den Grenzen Europas. Doch wirkliche Handlungsmaßnahmen von Seiten der Politik gibt es bisher nicht. Die Diskrepanz zwischen medialer Berichterstattung und politischer Handlung in der Asylpolitik nahmen Johanna Janßen, Marius Gardt, Jan Wasserziehr, Anna Müller, Ole Fischer, Lea Léwitan und Daily Green als Ausgangspunkt für ihre Forschung. Kann die öffentliche Meinung und die Medienberichterstattung das Handeln der Politik beeinflussen? Für die Beantwortung dieser Frage sei das Thema Asylpolitik von besonderer Brisanz, betont Marius Gardt: „Die Flüchtlingsdebatte ist hochaktuell und allgegenwärtig. Ihren Höhepunkt findet die Debatte mit der Katastrophe von Lampedusa. Sie spaltet die politischen Lager der EU-Mitgliedstaaten, spaltet Europa. Nachhaltige Lösungen gibt es nicht. Je höher man die Mauer um Europa auch zieht, ohne wirksame Entscheidungen wird Lampedusa erst der Anfang sein und die Flüchtlingsdebatte wird Europa und ihre Bürger auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen.“ Davon ausgehend zielte das Projekt darauf ab, die Verflechtung von Medien und Politik mit besonderem Augenmerk auf deren Wechselwirkungen im Kontext der medialen Berichterstattung und den parlamentarischen Strukturen in Deutschland treffend und beispielhaft darzustellen.
Kann die öffentliche Meinung und die Medienberichterstattung das Handeln der Politik beeinflussen? Um dieser Frage nachzugehen, erhob die Gruppe die Daten per „Inhaltsanalyse“, antwortet Jan Wasserziehr. Und erklärt: „Um zu sehen, wie sich zwei oder mehrere Institutionen beeinflussen, muss man betrachten, wie sie miteinander und übereinander kommunizieren. Reagiert der eine auf das, was der andere sagt? Oder konkret: Wie reagiert die Politik, wenn es den Medien gelingt, öffentlichen Druck aufzubauen? Um in diese Prozesse und Wirkungsweisen einzutauschen, bedarf es einen genaueren Blick auf das, was gesagt und geschrieben wird. Diesen genaueren Blick verkörpert die Inhaltsanalyse: Systematisch und intersubjektiv nachvollziehbar dringt sie in den Diskurs ein und erlaubt es, durch Kategorisierungen Korrelationen und Zusammenhänge aufzudecken.“
In einem ersten Schritt machten die Nachwuchs-Forscher mittels Frequenzanalyse sichtbar, in welchen Zeiträumen von 2008 bis 2013 die Stichwörter „Flüchtling“ und „Asyl“ in der medialen sowie der politischen Berichterstattung am häufigsten auftauchten. Um in einem zweiten Schritt die standardisierte Inhaltsanalyse durchführen zu können, erstellten sie zunächst ein Codebuch und untersuchten dann die Leitmedien „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Süddeutsche Zeitung“ sowie das Wochenmagazin „Der Spiegel“. Neben der Nennung von bestimmten Stichwörtern, stand die Evaluierung verschiedener qualitativer Inhalte im Vordergrund. Auch Zitate aus den verschiedenen Artikeln nahmen die Studierenden in ihre Datentabelle auf.
Ausgehend von den erhobenen Daten stellte die Gruppe fest, dass die Medien Einfluss auf die deutsche Asylpolitik nehmen, doch ihre Wirkungsmacht aufgrund der Europäisierung dieses Politikfeldes zunehmend begrenzt erscheint. Ein Paradigmenwechsel in der Asylpolitik sei zeitnah nicht zu erwarten, schreiben die „Refugees of Revolution“ auf ihren Plakaten für ihren Stand auf der Forschungsmesse. Dazu fehlt es an einer starken europäischen Öffentlichkeit, diagnostiziert die Jungforscher-Gruppe. Und auch die Frage eines gerechten Verteilungsschlüssels der Flüchtlinge auf die verschiedenen Länder der Europäischen Union sei bisher einer Antwort nicht näher gekommen.
Etwas pessimistisch und vielleicht auch resigniert wagen die Studierenden, zu prognostizieren, dass ein Wandel der Asylpolitik vermutlich erst dann eintreten wird, wenn sich exogene Schocks wie die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa wiederholen und verdichten.
Nicht nur die Schokoladenkekse, die die sieben Studierenden für die Besucher ihres Standes bereithielten, sondern die stringente Durchführung der Inhaltsanalyse sowie die Schlussfolgerungen der Studierenden ziehen während der Präsentation Ende April viele Interessierte an. Unter ihnen auch ZU-Präsident Prof. Dr. Stefan A. Jansen, der offensichtlich inspiriert Stellung zum Projekt bezieht: „Die Gruppe hat eine komplexe Analyse zur Asylpolitik in Deutschland durchgeführt. Sie hat dann einen kleinen Aspekt aufgegriffen und diesen im Hinblick auf die Frage, wie die Thematik mediatisiert wird, untersucht.“ Jansen sprudelt. Und entwickelt ein wenig kritisch sofort Ideen für die Möglichkeiten der Forschung: „Meines Erachtens nach müsste man am Ende beides wieder zusammenführen und fragen, welche anderen Einflussfaktoren außer der medialen Berichterstattung in der Politik eine Rolle spielen. Wie werden Asylprobleme in Deutschland und in Europa verhandelt? Wie wird das institutionalisiert, was sind zivilgesellschaftliche Fragestellungen, wer ist für das Problem letzten Endes zuständig? Aber auf jeden Fall ein super Anfang für eine komplexe Fragestellungen und ein toller kämpferischer Einsatz der Gruppe.“
Den kämpferischen und engagierten Einsatz der studentischen Forscher zeigt auch ihr Resümee zu ihrem ersten wissenschaftlichen Projekt. Für Anna Müller glich die Forschungsarbeit rückblickend einer permanenten Achterbahnfahrt: „Zu Beginn hätten wir nicht ansatzweise erahnen können, wie komplex und vielschichtig das von uns gewählte Themenfeld in der Forschungspraxis ist. Der theoretische Rahmen gab uns glücklicherweise immer wieder die nötige Orientierung und Rückbesinnung auf unser eigentliches Forschungsinteresse.“ Das Durchhaltevermögen und das Überstehen diverser Herausforderungen hat sich ausgezahlt, resümiert Lea Léwitan: „Es war eine intensive Zeit, die verlangte, stets die Disziplin zu bewahren, niemals aufzugeben und als Team bis zum Ende zusammenzuhalten, um am Schluss gemeinsam und erleichtert durch das Ziel zu laufen.“ Die Gruppe „Refugees of Revolution“ hat Geschmack am Forschen gefunden und blickt mit Vorfreude auf den Beginn des dritten Semesters.
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Titelbild: txmx2 / Flickr.com
Bilder im Text: Projektgruppe