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Kultur, Kapital, Kooperation
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Ökonomische Theorien

Kultur, Kapital, Kooperation

Interview: Sebastian Paul | Redaktion
04.11.2019
Ich habe versucht, in meinem Konzept transkulturell geteilte Kategorien für die wirtschaftliche Bedeutung von Moralkultur zu entwickeln, also diejenigen moralkulturellen Vorstellungen herauszuarbeiten, die in allen Gesellschaften und auch in kulturübergreifenden Kooperationen ökonomisch relevant sein können.

Dr. Julika Baumann Montecinos
Leiterin Forschungsgruppe „Transcultural Competence“ und Projektmanagerin „Transcultural Caravan“ am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ
 
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    Zur Person
    Dr. Julika Baumann Montecinos

    Dr. Julika Baumann Montecinos ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Institutional Economics – Organizational Governance, Integrity Management & Transcultural Leadership am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ. Sie leitet die Forschungsgruppe „Transkulturelle Kompetenz“ und ist Projektmanagerin der „Transcultural Caravan“, einer Plattform für globalen Austausch und für Lehr-, Forschungs- und Veranstaltungsformate zu den Erfolgsbedingungen transkultureller Führung. Nach ihrem Studium der Sprachen-, Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau war sie für mehrere Jahre in der Automobilbranche tätig, bevor sie 2014 an die Zeppelin Universität wechselte. In ihrer Promotion an der Universität Hohenheim beschäftigte sie sich mit transkulturellen Aspekten einer Ökonomie der Kooperation und veröffentlichte ihre Dissertationsschrift unter dem Titel „Moralkapital und wirtschaftliche Performance. Informelle Institutionen, Kooperation, Transkulturalität“ im Verlag Springer Gabler.  

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    Factbox
    Zum Weiterlesen: Moralkapital und wirtschaftliche Performance

    Dr. Julika Baumann Montecinos beschreibt Moralkultur als relevanten Faktor für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft und behandelt damit ein Themenfeld, das die ökonomische Standardtheorie bisher systematisch ausblendet. Kulturübergreifend identifiziert die Autorin moralkulturelle Aspekte, die ein Zustandekommen vorteilhafter Transaktionen zwischen Wirtschaftsakteuren begünstigen und zieht daraus Konsequenzen für Kooperationsbeziehungen in globalen Ökonomien. Mit der Konzeption von Moralkultur als Kapitalform leistet die Autorin nicht nur einen Beitrag zur Verortung von Kultur in der Ökonomik und damit zu einer metaphysischen, vollständigeren Abbildung komplexer wirtschaftlicher Realitäten, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für ein transkulturelles Management in globalen Wertschöpfungsketten von Unternehmen. 

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Sie entwickeln Ihr Moralkapital-Konzept aus dem Begriff der Moralkultur heraus. Was genau ist unter diesem Begriff zu verstehen?

Dr. Julika Baumann Montecinos: Der Begriff der Moralkultur beschreibt den Kern einer Kultur, auf dem alles andere aufbaut. Dabei lehne ich mich an den Wirtschaftsethiker Michael Schramm an, der unter Moralkultur „alle verhaltensrelevanten Faktoren der informalen Institutionen einer Gesellschaft“ fasst. Nach einem solchen breiten Verständnis umfasst Moralkultur nicht nur die in einer Gesellschaft vorherrschenden moralischen Vorstellungen, sondern auch deren Auswirkungen auf das Denken, Fühlen, Handeln und Schaffen.


In meinem Buch arbeite ich heraus, dass Moralkultur entscheidend für die Erfüllung von zentralen Kulturfunktionen ist, zum Beispiel für die Wahrnehmung und Deutung der Welt, aber auch für die Ordnung und Governance des Handelns. Es ist interessant festzustellen, dass sich viele wissenschaftliche Ansätze zum Verhältnis von Kultur und Ökonomie eigentlich auf Moralkultur beziehen, weil es ihnen eben genau um diese verhaltensrelevanten Bestandteile einer Kultur geht, dabei jedoch meist bei sehr allgemeinen Aussagen bleiben. Vielleicht hilft das hinter dem Begriff der Moralkultur liegende Konzept also, dieses Verhältnis genauer abgrenzen und beschreiben zu können.


Internationale Organisationen sprechen gerne – ausgehend vom Verständnis von einer gemeinsamen Welt – von geteilten Werten: Welche moralkulturellen Vorstellungen sind transkulturell, also kulturübergreifend?

Baumann Montecinos: Es stimmt, die Betonung des Gemeinsamen spielt für internationale Organisationen eine wichtige Rolle, beispielsweise wurde die UN-Resolution zu der „Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung“ mit dem Titel „Transforming our world“ überschrieben, und die darin formulierten Ziele werden als gemeinsame Herausforderungen aller Länder verstanden. Gleichzeitig wird dabei aber auch betont, dass jedes Land diese gemeinsamen Zielvorstellungen mit seinen eigenen, kontextspezifischen Maßnahmen erreichen muss und dass die Umsetzung daher sehr vielfältig ausfallen kann.


Sich auf das Finden bestehender Gemeinsamkeiten und auf die Entwicklung neuer Gemeinsamkeiten zu konzentrieren, ohne die reale Vielfalt in den lokalen Ausprägungen aus den Augen verlieren oder gar überwinden zu müssen, entspricht ja auch dem, was wir am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ der Zeppelin Universität im Rahmen unserer Forschung zu Transkulturalität untersuchen. In Anlehnung an die Unterscheidung zwischen dünner und dichter Beschreibung gehen wir davon aus, dass es transkulturell geteilte Vorstellungen auf einer dünnen, abstrakten Ebene gibt, während die konkrete Umsetzung dann kontextabhängig ist und damit unterschiedlich ausfallen kann.

So sieht eine stolze Buchautorin aus: Die ZU-Wissenschaftlerin Dr. Julika Baumann Montecinos beschreibt in ihrer Dissertation Moralkultur als relevanten Faktor für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft – ein Themenfeld, das die ökonomische Standardtheorie bisher systematisch ausgeblendet hat. Kulturübergreifend identifiziert die LEIZ-Forscherin moralkulturelle Aspekte, die ein Zustandekommen vorteilhafter Transaktionen zwischen Wirtschaftsakteuren begünstigen und zieht daraus Konsequenzen für Kooperationsbeziehungen in globalen Ökonomien. Mit der Konzeption von Moralkultur als Kapitalform leistet sie nicht nur einen Beitrag zur Verortung von Kultur in der Ökonomik und damit zu einer metaphysischen, vollständigeren Abbildung komplexer wirtschaftlicher Realitäten, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für ein transkulturelles Management in globalen Wertschöpfungsketten von Unternehmen.
So sieht eine stolze Buchautorin aus: Die ZU-Wissenschaftlerin Dr. Julika Baumann Montecinos beschreibt in ihrer Dissertation Moralkultur als relevanten Faktor für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft – ein Themenfeld, das die ökonomische Standardtheorie bisher systematisch ausgeblendet hat. Kulturübergreifend identifiziert die LEIZ-Forscherin moralkulturelle Aspekte, die ein Zustandekommen vorteilhafter Transaktionen zwischen Wirtschaftsakteuren begünstigen und zieht daraus Konsequenzen für Kooperationsbeziehungen in globalen Ökonomien. Mit der Konzeption von Moralkultur als Kapitalform leistet sie nicht nur einen Beitrag zur Verortung von Kultur in der Ökonomik und damit zu einer metaphysischen, vollständigeren Abbildung komplexer wirtschaftlicher Realitäten, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für ein transkulturelles Management in globalen Wertschöpfungsketten von Unternehmen.

Das heißt kulturelle Vielfalt und kulturelle Gemeinsamkeiten existieren gleichzeitig, aber auf unterschiedlichen Ebenen? Wie gehen Sie damit in Ihrer Arbeit um?

Baumann Montecinos: Die Erkenntnis, dass Transkulturalität und Diversität in einem Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit und Ermöglichung stehen, ist für meine Arbeit ganz wesentlich. Auf der einen Seite führen Anpassungs- und Weiterentwicklungsprozesse zu vielfältigen lokalen und situativen Ausprägungen der geteilten abstrakten moralkulturellen Vorstellungen, auf der anderen Seite können sich über Kooperationserfahrungen und die damit einhergehenden Lernprozesse neue Gemeinsamkeiten herausbilden. Dies birgt weiterführende Einsichten zu der Frage nach einer gelingenden Relationierung von Gemeinsamkeit und Vielfalt und damit zu einem ganz zentralen Anliegen unserer Transkulturalitätsforschung. Dies ist im Übrigen auch eine wichtige Abgrenzung von interkulturellen Ansätzen, die sich meist auf die mit kulturellen Unterschieden in Verbindung gebrachte Konflikthaftigkeit konzentrieren, während für uns Kooperationspotenziale und das „in Beziehung setzen“ eine zentrale Rolle spielen.


Auf dieser Grundlage habe ich versucht, in meinem Konzept transkulturell geteilte Kategorien für die wirtschaftliche Bedeutung von Moralkultur zu entwickeln, also diejenigen moralkulturellen Vorstellungen herauszuarbeiten, die in allen Gesellschaften und auch in kulturübergreifenden Kooperationen ökonomisch relevant sein können. Bei der Anwendung eines solchen Konzepts auf konkrete Kooperationskonstellationen kommen dann aber spezifische Erscheinungsformen von Moralkultur zum Tragen. Die inhaltliche Füllung der geteilten Kategorien ist also immer kontextabhängig, und die moralkulturelle Welt ist und bleibt bunt. Gleichzeitig halte ich es dann für besonders vielversprechend und interessant, sich in dieser bunten Welt Kooperationsprojekte und Lernprozesse zur Bildung neuer Gemeinsamkeiten anzuschauen – so wie es unser Transkulturalitätsverständnis anregt.


Sie sprechen von Aspekten von Moralkultur, denen eine wirtschaftliche Bedeutung zugeschrieben werden kann: Welche sind das?


Baumann Montecinos: Dabei handelt es sich um Aspekte von Moralkultur, die sich direkt oder indirekt auf die vorherrschende Kooperationsatmosphäre auswirken und so die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinflussen können. Hier habe ich insgesamt sechs Bereiche identifiziert, in denen sich solche Wirkungszusammenhänge beschreiben lassen. Dies sind 1) die institutionenbezogenen, 2) die relationalen, 3) die politisch-kulturellen, 4) die sozialen, 5) die wissensbezogenen und 6) die semantischen Aspekte der moralkulturellen Ausstattung einer Gesellschaft.


Konkrete Beispiele sind die vorherrschende Unterstützung staatlicher Normen, die zu den politisch-kulturellen Aspekten gehört, das verallgemeinerte Vertrauen als ein sozialer Aspekt oder der gleiche Zugang zu Bildung für Mann und Frau als wissensbezogener Aspekt einer Moralkultur. Unter Rückgriff auf bestehende ökonometrische Studien und durch eigene Untersuchungen konnte ich Hinweise auf die ökonomische Relevanz dieser verschiedenen moralkulturellen Faktoren herausarbeiten – und darauf mein Moralkapitalkonzept aufbauen.

Die Erarbeitung eines eigenes Moralkapitalkonzepts ist ein wichtiger Bestandteil Ihrer Untersuchung: Können Sie uns einen Einblick in diese Weiterentwicklung der Kapitaltheorie geben?

Baumann Montecinos: Bestehende Kapitalkonzepte beziehen sich auf materielle oder nicht-materielle Vermögenswerte, die sowohl eine Input- als auch eine Outputseite aufweisen. Auf der Inputseite stehen Investitionen, die zur Bildung eines solchen Kapitals nötig sind. Auf der Outputseite stehen die Erwartung künftiger Erträge durch den Kapitaleinsatz sowie die Akkumulation mit seinem Gebrauch. In meiner Untersuchung zeige ich nun auf, dass Moralkultur im Hinblick auf ihre ökonomisch relevanten Aspekte diese Merkmale erfüllt und somit als Kapitalform klassifiziert werden kann. Zur Bildung von Moralkapital sind Investitionen nötig – zum Beispiel in Form von Lernprozessen –, während auf der Outputseite künftige Erträge in Form von Kooperationsrenten erwartet werden können und sich Moralkapital durch pfadabhängige Entwicklung akkumuliert.


Steht Moralkapital damit in einer Reihe mit bekannten Konzepten wie Sozialkapital 
oder Humankapital?


Baumann Montecinos: Nein, ich konzipiere Moralkapital auf einer Meta-Ebene, indem das Konzept die moralkulturellen Dimensionen von insgesamt sechs Kapitalformen in sich versammelt. Die moralkulturelle Dimension von Sozialkapital ist zum Beispiel ein Baustein von Moralkapital. Humankapital jedoch nicht, da es sich hierbei um eine individuelle Ressource handelt und mit Moralkapital vielmehr kollektive Ressourcen gemeint sind. Das kollektive Pendant zum individuellen Humankapital bezeichne ich als Wissenskapital, damit ist beispielsweise die in einer Gesellschaft herrschende Verbreitung von Bildung gemeint. Die moralkulturelle Dimension von Wissenskapital, die unter anderem in der Haltung zu Bildung und Fortschritt besteht, ist dann wiederum ein Baustein von Moralkapital. Es gibt also – analog zu den sechs vorne bereits beschriebenen Bereichen – insgesamt sechs Erscheinungsformen von Moralkapital. Durch diese Ausdifferenzierung und durch die Verortung des Konzepts auf einer Meta-Ebene möchte ich dem Anspruch gerecht werden, die wirtschaftliche Bedeutung von Moralkultur möglichst umfassend abzubilden.


Ihre zentrale These lautet dann, dass sich moralkulturelle Vorstellungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit niederschlagen und auf diese Weise als Kapital wirken können?

Baumann Montecinos: Ja, genau. Hier argumentiere ich mit den beiden grundlegenden Funktionen von Moralkultur, die ich als konstruktive Funktion und als Governancefunktion bezeichne. Die konstruktive Funktion bezieht sich darauf, dass moralkulturelle Vorstellungen als „Brille“ für die subjektive Wahrnehmung und Deutung der Welt dienen: Durch die moralkulturelle Brille wird die Realität gesehen und interpretiert, und es werden entsprechende Handlungsmuster abgeleitet. Mit der Governancefunktion meine ich, dass eine Moralkultur dem Handeln einen „Rahmen“ vorgibt, welcher aus einem gemeinsamen Verständnis und aus Spielregeln besteht, die zu Ordnung, Struktur und Vorhersagbarkeit sozialer Interaktion beitragen. Anhand dieser beiden Funktionen prägt Moralkultur die vorherrschende Kooperationsatmosphäre und damit die Voraussetzungen zur Erwirtschaftung von Kooperationsrenten ganz entscheidend und wirkt dadurch im Sinne der beschriebenen Kriterien als Kapital, so meine Behauptung.

Einen ganz genauen Blick wirft ZU-Wissenschaftlerin Baumann Montecinos in ihrer Dissertation auf die Moralkapitalausstattung der sogenannten BRICS-Staaten. Hinter der Abkürzung stecken die Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Am Beispiel dieser Auswahl analysiert die LEIZ-Forscherin, wie sich ein Analyseraster zur Betrachung von Moralkapital anwenden lässt. So lassen sich nicht nur die Profile einzelner Länder ermitteln, sondern es können auch Ergebnisse einzelner Länder verglichen werden. Anlass dazu gibt es in dieser Ländergruppe genug: Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung – knapp über drei Milliarden Menschen – leben in den BRICS-Staaten. Ihr Anteil am nominellen weltweiten Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2016 circa 23 Prozent. Beim BIP nach Kaufkraftparität lag er mit 32 Prozent deutlich höher.
Einen ganz genauen Blick wirft ZU-Wissenschaftlerin Baumann Montecinos in ihrer Dissertation auf die Moralkapitalausstattung der sogenannten BRICS-Staaten. Hinter der Abkürzung stecken die Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Am Beispiel dieser Auswahl analysiert die LEIZ-Forscherin, wie sich ein Analyseraster zur Betrachung von Moralkapital anwenden lässt. So lassen sich nicht nur die Profile einzelner Länder ermitteln, sondern es können auch Ergebnisse einzelner Länder verglichen werden. Anlass dazu gibt es in dieser Ländergruppe genug: Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung – knapp über drei Milliarden Menschen – leben in den BRICS-Staaten. Ihr Anteil am nominellen weltweiten Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2016 circa 23 Prozent. Beim BIP nach Kaufkraftparität lag er mit 32 Prozent deutlich höher.

Sie unterscheiden dabei zwischen lokalen und transkulturellen Kooperationsrenten. Was ist damit gemeint?

Baumann Montecinos: Das Potenzial, über eine Steigerung des Moralkapitals die Kooperationsrente zu erhöhen, bezieht sich nicht nur auf das wirtschaftliche Leistungsniveau innerhalb einzelner Gesellschaften – hier spreche ich von lokaler Kooperationsrente –, sondern und gerade auch auf die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gesellschaften – hier führe ich den Begriff der transkulturellen Kooperationsrente ein. Die Perspektiven für wirtschaftliche Besserstellung, die ich anhand des Moralkapitalkonzepts aufzeige, beziehen sich also auch auf globale Kooperationskonstellationen und damit auf einen Kontext, der insbesondere für unternehmenspraktische Zugänge interessant ist – schließlich spannen sich in den allermeisten Branchen die Wertschöpfungsketten über die ganze Welt.


Welche Überlegungen und Potenziale ziehen Sie aus der Analyse der Moralkapitalausstattung der BRICS-Staaten?

Baumann Montecinos: Die Entwicklung eines Analyserasters zur Betrachtung von Moralkapital ist ein wichtiger Bestandteil der Untersuchung, um das beschriebene Konzept operationalisieren zu können. Am Beispiel der BRICS-Staaten illustriere ich, wie sich ein solches Analyseraster anwenden lässt: So lassen sich nicht nur Moralkapitalprofile einzelner Länder ermitteln und graphisch darstellen, sondern es können auch Ergebnisse einzelner Länder übereinandergelegt werden, um Überschneidungen aufzuzeigen – dies veranschauliche ich am Beispiel Brasiliens und Chinas.


An dieser Stelle gilt es aber anzuerkennen, dass eine Interpretation dieser Befunde weder Ziel der Arbeit ist noch anhand des vorliegenden Untersuchungsstandes möglich wäre. Die von mir geleistete Konzeption und Operationalisierung von Moralkapital ist bewusst auf der Ebene einer dünnen – also abstrakten – Beschreibung verortet, während die für eine Einordnung und Bewertung von konkreten Datenlagen und Wirkungszusammenhängen benötigten länderspezifischen Kontextualisierungen dann weiterführenden, auch qualitativen Forschungsbemühungen überlassen werden, die einer dichten Beschreibung der moralkulturellen Realität näher kommen können.

Zum Weiterlesen: Moralkapital und wirtschaftliche Performance


Welche möglichen Perspektiven ergeben sich aus Ihrer Untersuchung für die weitere Forschung?

Baumann Montecinos: Zum einen ist da mein Vorschlag, Moralkapital als Gemeingut zu konzipieren. Hier zeige ich die Überlegung auf, Moralkapital in einem transkulturellen Kontext entsprechend als Global Commons zu entwickeln – das halte ich für einen vielversprechenden Ansatz, der uns in der Transkulturalitätsforschung weiterbringen könnte. Zum anderen ist da die praktische Anwendung des Moralkapitalkonzepts als Perspektive für ein transkulturelles Management in globalen Wertschöpfungsketten von Unternehmen. Hier könnten Case Studies dazu beitragen, die Relevanz moralkultureller Faktoren in globalen Kooperationsnetzwerken noch besser zu verstehen.


Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie sich in Ihrer Dissertation mit dem Verhältnis von Kultur und Ökonomie auseinandersetzen?

Baumann Montecinos: Die Wahl dieses Themas hat tatsächlich sehr viel mit meinem bisherigen Werdegang zu tun. Es handelt sich um ein Thema, das mich seit meinem Studium der Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau, den Kulturworkshops, die ich noch als Studentin bei verschiedenen Unternehmen durchführte, meiner Berufstätigkeit in der Automobilbranche und schließlich als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Professor Josef Wieland am LEIZ mit meinem Schwerpunktprojekt „Transcultural Caravan“ und in Forschung und Lehre beschäftigt – und begeistert. Umso dankbarer bin ich, dass ich diesen Weg gehen durfte und darf und dass ich mit meiner Arbeit einen Vorschlag zur Verortung des Faktors Kultur – und dabei speziell von Moralkultur – in der ökonomischen Theorie einbringen kann. Über Rückmeldungen zu diesem Vorschlag freue ich mich im Übrigen sehr!

Titelbild: 

| Jp Valery / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)

| Agustin Diaz / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm 

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