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Öffentlicher Dienst

Mehr Vielfalt bitte

von Professor Dr. Eckhard Schröter | Zeppelin Universität
24.10.2012
Geht es um eine aufrichtige Wertschätzung von ‚Vielfalt‘ und Teilhabe von Minderheiten in öffentlicher Beschäftigung oder bleibt es bei einer ‚passiven Öffnung‘ zum Beispiel für Migranten, da andere Arbeitskräfte nicht mehr in bestimmter Zahl oder zu bestimmtem Preis verfügbar sind?

Professor Dr. Eckhard Schröter
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Eckhard Schröter

    Professor Dr. Eckhard Schröter ist Inhaber des Stadt-Friedrichshafen-Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft (insbesondere Verwaltungsmodernisierung) an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und ständiger Gastwissenschaftler am Institute of European Studies der University of California, Berkeley. Schröter studierte und arbeitete an der Freien Universität sowie Humbold-Universität Berlin. Von 2000 bis 2005 lehrte er am Department of Political Science sowie am Institute of European Studies der University of California, Berkeley. Seine Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre liegen auf den Gebieten der vergleichenden Verwaltungswissenschaft, des Public Management, der vergleichenden Metropolenforschung, der modernen Verwaltungs- und Staatstheorien sowie der internationalen Wissenschafts- und Hochschulpolitik.

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    Factbox
    16 Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund

    In Deutschland leben rund 16 Millionen Personen mit Migrationshintergrund. Dies entspricht etwa 19,6 Prozent der hier lebenden Bevölkerung. Davon sind 8,8 Millionen deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und 7,2 Millionen Ausländerinnen und Ausländer. Knapp jede zehnte, 9,4 Prozent, Erwerbsperson der Altersgruppe 15 bis 64 Jahre hat eine ausländische Staatsbürgerschaft.

    Quelle: Statistisches Bundesamt. 2010. Mikrozensus 2009. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Fachserie 1, Reihe 2.2.

    Beispiel: Bundesagentur für Arbeit

    Gemäß einer anonymen und freiwilligen, nicht-repräsentativen Mitarbeiterbefragung der Bundesagentur für Arbeit haben 8 Prozent der Beschäftigten der Institution einen Migrationshintergrund. Zum Vergleich: 19,3 Prozent der Bevölkerung besitzt Migrationshintergrund. Insgesamt arbeiteten in der Bundesagentur Menschen aus rund 70 Nationen, heißt es 2011. Im Rahmen ihrer Personalentwicklungspolitik verfolge die Bundesagentur jedoch eine konsequente Diversity-Strategie und fördere die Entwicklung einer kulturell vielfältig zusammengesetzten Belegschaft.

    Charta der Vielfalt

    2006 schlossen sich BP Europe SE, Daimler, Deutsche Bank und Deutsche Telekom zusammen und initiierten die Charta der Vielfalt in Deutschland nach ihrem französischen Vorbild „Charte de la diversité“. Diversity, so wird propagiert, werde hier als ganzheitlicher Ansatz verstanden. Jede Form von sichtbarer und unsichtbarer Vielfalt werde berücksichtigt. Bis heute ist die Gruppe der Unterzeichner auf mehr als 1250 gewachsen. Nur wenige öffentliche Einrichtungen sind dabei, den Löwenanteil machen Unternehmen aus. Von Seiten der Bundesministerien beispielsweise sind nur das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter den Unterzeichnern.

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    Sinn oder Unsinn
    Der Bundesrat hat ihre Einführung befürwortet, in der Regierungskoalition tobt über sie ein heftiger Streit: die Frauenquote. Wie sinnvoll aber wäre ihre Einführung tatsächlich? Zunächst müsse ein Kulturwandel in Gang gesetzt werden, sagt Professor Dr. Christian Opitz.
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Der öffentliche Dienst erfüllt in modernen Gesellschaften vielfältige Funktionen: wichtige soziale Dienstleistungen werden erbracht, die öffentliche Ordnung und Sicherheit soll aufrechterhalten werden und die Führungskräfte sind zudem wesentlich an langfristigen Planungs- und politischen Richtungsentscheidungen beteiligt. Zugleich ist der öffentliche Dienst von höchstem arbeitsmarktpolitischem Interesse und der Zugang zu diesem Arbeitsmarkt entscheidet über wichtige Fragen des sozialen Aufstiegs und gesellschaftlicher Teilhabe. Und schließlich erfüllt der öffentliche Dienst – auch in den modernen Marktgesellschaften – eine wichtige repräsentative Funktion für die Staatlichkeit: Die Beschäftigten werden als Repräsentanten des Gemeinwesens und seiner politischen Ordnung gesehen. Bei der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst geht es damit nicht nur um Fragen der Aufgabenerfüllung, sondern auch um gesellschaftliche Machtverteilung und politische Legitimation.

Damit stellt sich zunehmend die Frage, ob nicht auch und gerade öffentliche Behörden im Sinne eines „Modernen Staates“ zu ‚repräsentativen Institutionen‘ werden müssen, welche die gesellschaftliche Vielfalt in den Reihen ihres Personals widerspiegeln. Auf diesem Wege könnte die Zusammensetzung des Verwaltungspersonals in soziodemographischer Hinsicht zum Spiegel der Gesellschaft werden – eine ‚repräsentative Bürokratie‘ also, die der Gesellschaft, der sie dient, dadurch besonders nahe ist, dass sie – zum Beispiel mit Blick auf Klassen-, Geschlechts-, Religions-, Sprach- oder Rassenzugehörigkeit – diese Vielfalt nicht nur abbildet (passive Repräsentation), sondern diese möglichen gesellschaftlichen Konfliktlinien auch artikuliert und sich durch die jeweiligen Vertreter unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für die legitimen Interessen dieser vielfältigen Gruppen auch einsetzt (aktive Repräsentation). Spätestens mit diesem Gedankengang wird das Konzept der repräsentativen Bürokratie zu einem zentralen Reform- und Modernisierungsthema der Verwaltungswissenschaft und -politik.

16 Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund


Doch wie verhält sich die Personalpolitik im öffentlichen Dienst zur zunehmend multikulturellen Gesellschaft? Welche ethnischen Minderheiten sind integriert und welche Bevölkerungsgruppen können sich nicht vertreten fühlen? Welche Auswirkungen haben solche möglichen Ungleichgewichte und Missverhältnisse auf die Aufgabenerfüllung und – in einer umfassenderen Perspektive – auf die Stabilität und Legitimität der politischen Ordnung in europäischen Gesellschaften? Diese Fragen entfalten ihre besondere Relevanz vor allem dann, wenn man sich den möglichen Kollisionskurs zweier Entwicklungen vor Augen hält.

Beispiel: Bundesagentur für Arbeit


Auf der einen Seite sehen wir eine seit langem überlieferte und relative stabile Personalstruktur im öffentlichen Dienst, die oft an die Staatsbürgerschaft geknüpft ist und vor allem durch das Bildungssystem vorgefiltert wurde. Folglich sehen wir bei der Fremd- und der Selbstselektion für den öffentlichen Dienst in vielen europäischen Staaten eine Tendenz zu einer relativ homogenen Zusammensetzung öffentlicher Beschäftigung. Auf der anderen Seite beobachten wir tiefgreifende demographische und politische Veränderungen im Charakter europäischer Nationalstaaten: die stetige Zuwanderung und der wachsende Anteil von Migranten an der Bevölkerung, die vertiefte und erweiterte europäische Integration und nicht zuletzt die steigende Bedeutung von Identitätspolitik und kollektiver Selbstbestimmung. Im Ergebnis zeigt sich damit das Bild zunehmender Vielfalt in europäischen Gesellschaften – und dies vor dem Hintergrund wachsender sozialer Spannungen.

Es ist bereits abzusehen, dass die angerissenen demographischen und politischen Herausforderungen den öffentlichen Dienst zu einem tiefgreifenden personalpolitischen Wandel nötigen werden. Dabei wird der Umgang mit ethnisch, soziokulturell und religiös bestimmter Vielfalt einen zentralen Platz einnehmen. Dieser demographische Wandel, umfassend und tiefgreifend wie er sein wird, ist jedoch auch ein Einfallstor für naive, modisch-kurzsichtige oder allzu durchschaubare instrumentelle Motive, wie sie in der aktuellen Debatte bereits aufscheinen: Geht es um eine aufrichtige Wertschätzung von „Vielfalt“ und Teilhabe von Minderheiten in öffentlicher Beschäftigung oder bleibt es bei einer „passiven Öffnung“ zum Beispiel für Migranten, da andere Arbeitskräfte nicht mehr in bestimmter Zahl oder zu bestimmtem Preis verfügbar sind?

Charta der Vielfalt


Übersieht man beim „Diversity Management“ die Einsicht, dass die eigentliche Arbeit und Mühe für das Personalmanagement gerade erst dann beginnt, wenn unterschiedliche Personalgruppen in einer Organisation zusammengeführt werden – damit also auch ein beachtlicher Aufwand verbunden ist? Und lässt man sich modisch von der Aussicht darauf blenden, dass „repräsentative Bürokratien“ ein Allheilmittel für verbesserte Bürgernähe, vertiefte Integration, mehr Legitimation und erhöhte Leistungsqualität sein könnten?

Nach allem, was wir wissen, hängt ein solcher Mehrwehrt, dieses „Plus der Vielfalt“, sehr von den jeweiligen Aufgabentypen im öffentlichen Dienst ab und muss mit möglichen Risiken und Kosten abgewogen werden. Tatsächlich wissen wir darüber aber noch zu wenig, so dass der bevorstehende Wandel auch die Konturen eines ganzen Forschungsprogramms umreißt – ein Forschungsprogramm, dass schon deshalb anzumahnen ist, da die Fragen nach „Diversity“ und Vielfalt bei öffentlich Beschäftigten, nach einem „repräsentativen“ öffentlichen Dienst, der gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelt, zu den – zweifelsohne: stark umstrittenen – Kernfragen des Verwaltungswandels der kommenden Jahrzehnte gehören wird.


Bild: öda / Photocase

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