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Benedikt Paulowitsch ist Master-Absolvent im Fach Politics and Public Management. Zuvor studierte er Politik- und Verwaltungswissenschaften an den Universitäten Konstanz und Prag. Er ist seit 2009 Mitglied der SPD und seit 2010 Stipendiat der Friedrich-Ebert Stiftung, wobei er sich zum pragmatischen Flügel innerhalb der deutschen Sozialdemokratie zählt. Neben der Verwaltungsmodernisierung waren politische Parteien sowie gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse in Deutschland sowie in Zentral- und Osteuropa seine Schwerpunktthemen.
Die Mitglieder und Anhänger der SPD können stolz sein auf diese Partei, die in 150 Jahren Geschichte nie ihren Namen ändern musste. Und auch ihre Nicht-Anhänger dürfen durchaus dankbar sein für das Engagement von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. So war es die SPD, die sich zu Zeiten der Industrialisierung als erste organisiert gegen das Elend der Arbeiterschaft wehrte und der letzten Endes feste Arbeitszeiten und Sozialfürsorge zu verdanken sind. Das Frauenwahlrecht und der Zugang zu Bildung für alle Bevölkerungsschichten wären ohne sie nicht denkbar gewesen und die Sozialdemokratin Marie Juchacz gründete bereits 1919 die Arbeiterwohlfahrt.
Die Partei überstand die Sozialistengesetze Bismarcks, rief durch Phillip Scheidemann die erste deutsche Republik aus und wehrte sich als einzige gegen die Machtergreifung Adolf Hitlers. Mehr als symbolisch hierfür stehen die mutige Rede von Otto Wels im Reichstag („Freiheit und Leben kann man uns nehmen. Die Ehre nicht.“) sowie tausende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die ihre Überzeugung am Ende tatsächlich mit Freiheit und Leben bezahlten. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges stand die Sozialdemokratie wieder bereit, das Land mit aufzubauen. Kurt Schumacher lehnte den Zusammenschluss mit den Kommunisten ab und im Godesberger Programm von 1959 bekannte sich die Partei zur sozialen Marktwirtschaft. Sigmar Gabriel brachte es in seiner Geburtstagsrede auf den Punkt: „Sie [Anm. die SPD] ist die demokratische Konstante in der deutschen Geschichte.“
Nicht selten wurde und wird der Sozialdemokratie Wunschdenken oder Sozialromantik vorgeworfen. Jedoch waren es gerade die drei sozialdemokratischen Bundeskanzler, welche mutig und zugleich besonnen fundamentale Kurswechsel in die Wege leiteten. Willy Brandts Ostpolitik sowie sein historischer Kniefall beim Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto söhnte die Bundesrepublik mit ihren östlichen Nachbarn aus. In der Heimat wurde der bislang letzte deutsche Friedensnobelpreisträger und Hitlergegner dafür von vielen als Vaterlandsverräter verunglimpft.
Helmut Schmidt führte das Land entschlossen durch die Öl- und Wirtschaftskrise und zeigte Stärke und Standhaftigkeit im Angesicht des Terrors des deutschen Herbstes. Gerhard Schröder riskierte seine Kanzlerschaft zugunsten schmerzhafter aber notwendiger Reformen, welche der Garant für die aktuelle wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik sind und bewahrte das Land gleichzeitig vor einem verheerenden Kriegsabenteuer im Irak.
Was ist der Kern der Sozialdemokratie? Im Zentrum steht die Idee, welche von ihrer Gründung durch Ferdinand Lassalle bis heute die gleiche geblieben ist und nie an Aktualität verloren hat. Es ist die Idee der Freiheit. Manch einer mag sich darüber zunächst wundern, warum es Freiheit und nicht Solidarität oder Gleichheit ist. Es ist das Ziel der Sozialdemokratie, jeden Menschen unabhängig von Herkunft und Geschlecht, von Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Religion in die Lage zu versetzen, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen. Es ist das Ziel der sozialen Emanzipation durch Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Sie sichert jedem Menschen ein bedingungslos würdevolles Leben zu.
Dennoch bleibt es auch für die Sozialdemokratie dabei, dass darüber hinaus jede und jeder selbst für sein Leben verantwortlich ist. Doch ist eine solche Ansicht auch nur dann gerecht, wenn von tatsächlicher Chancengleichheit gesprochen werden kann. Von Freiheit kann keine Rede sein, wenn persönlicher Erfolg und Zugang zu guter Bildung von Elternhaus und Abstammung abhängen. Gleichheit und Solidarität sind daher Instrumente, um die Türen zur individuellen und sozialen Freiheit aufzustoßen.
Die SPD steht vor zwei großen Herausforderungen. Sie muss Antworten liefern auf die Probleme unserer Zeit. Sie muss sich zur Agenda 2010 bekennen und dies klar kommunizieren sowie gleichzeitig und glaubwürdig ihre negativen Folgen wie das Ausnutzen von Niedriglöhnen und Zeitarbeit durch teils menschenverachtende Geschäftsmodelle bekämpfen. Sie muss sich an die Menschen richten, die aufgrund von Herkunft und Abstammung benachteiligt werden und geringe bis keine Aufstiegschancen haben und den mittel- bis langfristigen Nutzen einer solchen Politik auch für bürgerliche Schichten klar artikulieren.
Darüber hinaus muss sie den Blick auch auf internationale Entwicklungen richten. Über eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Und wir leben auf Kosten ausbeuterischer Geschäftsmodelle im Ausland, wie beispielsweise die der Textilindustrie in Bangladesch. In einer globalisierten Welt steht auch unser Land und Europa dabei in der Pflicht. Soziale Emanzipation ist auch das Recht für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Die zweite Herausforderung ist die, dass die SPD Menschen wieder für parteipolitisches Engagement begeistern muss. Dafür bedarf es einer Parteireform, welche die Anzahl an Hierarchieebenen verringert und den Mitgliedern mehr Mitspracherecht abseits von Parteigremien und -tagen auch auf Landes- und Bundesebene ermöglicht. Hierzu gehört u.a. die Wahl des Kanzler- oder Spitzenkandidaten im Bund. Außerdem muss sich die parteiinterne Kultur wandeln und an die Schnelllebigkeit der modernen Welt anpassen. Eine SPD-Karriere ist noch allzu häufig mit der berühmten Ochsentour verbunden.
Viele Menschen, und besonders die junge Generation, sind in weiten Teilen noch immer an Politik interessiert – dennoch haben sie sich von den Parteien abgewendet. Zu starr sind die Strukturen in Ortsvereinen und Kreisverbänden, in denen man sich hochzudienen hat. Die Nachwuchsorganisation der JUSOS ist ein wichtiger Bestandteil der Sozialdemokratie und bedeutend für die Nachwuchsrekrutierung. Aber worin liegt der Sinn, wenn bereits auf dem Spielplatz der Politik mit Intrigen, Absprachen im Hinterzimmer und aufgesetzt wirkender Professionalisierung gearbeitet wird? All dies schreckt Menschen ab, die sich einbringen wollen und eine Perspektive von außen mitbringen.
Parteien sind Orte, wo politische Meinungsbildung entsteht. Gerade die SPD als Partei des Streites um die Sache sollte dies bedenken und klar artikulieren, dass eine Mitgliedschaft nicht das Überstülpen einer Meinung bedeutet, sondern ein Angebot darstellt, mitzuwirken und die Meinung der Partei zu entwickeln.
Trotz vieler Fehler, Probleme und Unsicherheiten in Hinblick auf die Zukunft sind wir Genossinnen und Genossen stolz, Mitglied der Partei von Ferdinand Lassalle, Marie Juchacz, Friedrich Ebert, Kurt Schumacher, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Anne-Marie Wenger und tausenden anderen zu sein, die sich gestern wie heute im Großen wie im Kleinen für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Die SPD hat in 150 Jahre bewiesen, dass sie sich wandeln kann und es ist geboten, diese Tradition fortzuführen.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Fotos: SPD Schleswig-Holstein | Bundesarchiv, B 145 Bild-F039405-0019 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA (Text)