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Was wird aus Recht und Gesetz?
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Internet

Was wird aus Recht und Gesetz?

von Professor Dr. Dirk Heckmann | Zeppelin Universität
27.03.2013
Das Internet scheint keine Grenzen zu kennen, ungeachtet der täglichen Konflikte, die sich aus der Digitalisierung und zunehmenden Datenverknüpfung, aus der Anonymität und der Gier nach ständig neuen Anwendungen ergeben.

Professor Dr. Dirk Heckmann
 
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    Factbox
    Warum ist bei eigentlich klaren Rechtslagen deren Durchsetzung so schwierig?

    „Man könnte sagen: Wo kein Angeklagter, da kein Richter. Zur Durchsetzung braucht man mindestens den Klarnamen und die Adresse, was bei anonymer Internetnutzung fehlt.“

    Als im Netz bewanderter Wissenschaftler: Was tun Sie selbst, um sich gegen die Auswüchse zu schützen?

     „Mit offenen Augen ins Netz gehen, manche Nutzungsformen kritisch hinterfragen, sehr persönliche Daten nicht preisgeben.“ Dirk Heckmann

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    Hä...?
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Überschallgeschwindigkeit: Wer diesen Begriff googelt, erhält seit dem 14.10.2012 zumeist Nachrichten zum Sprung des österreichischen Extremsportlers Felix Baumgartner aus der Stratosphäre. Erstmals überschritt ein Mensch damit eine Geschwindigkeitsmarke, die zuvor Maschinen vorbehalten war. Gemeint ist die Concorde, die Königin der Lüfte. Sie steht oder – besser gesagt – stand als Wahrzeichen für die rasante Technologieentwicklung zum Ende des letzten Jahrhunderts. Bei einer Maximalgeschwindigkeit von über 2.400 km/h (Mach 2,23) reduzierte dieses Verkehrsflugzeug die Flugzeit von Paris oder London nach New York auf 3 bis 3,5 Stunden. Damit verbunden war ein Flugzeugboom, der die Flugzeugindustrie in den 90er Jahren hoffen ließ. Dem Aufstieg folgte der Absturz einer Concorde am 26.7.2000 kurz nach dem Start bei Paris. 113 Todesopfer waren stille Zeugen einer „Schubumkehr der technischen Entwicklung“, die ich „Concordisierung“ nennen möchte. Im Gegensatz zu früheren Flugzeugabstürzen erschöpfte sich das „Nachspiel“ nicht in technischen Prüfberichten und (Medien-)Spekulationen zur Unfallursache. Vielmehr wurde die Concorde als solche sofort in Frage gestellt. Der „Spiegel“ titelte in seiner Ausgabe 31/2000: „Die Grenzen der Luftfahrt: Wie schnell ist zu schnell? Wie groß ist zu groß? Wie viel ist zu viel?“ Inwieweit kann und will sich die Gesellschaft ein Wachstum ohne Grenzen leisten? Citius, fortius, altius? Die Concorde hob ein letztes Mal am 26.11.2003 ab und landete im Museum.

Zwölf Jahre später – der vermeintliche Concorde-Nachfolger, der unbemannte „X-51A Waverider“, stürzte nur 31 Sekunden nach seinem Start in den Pazifik – entbrennt eine neue Diskussion um ein Wachstum ohne Grenzen. Im Visier: das Internet. Connected Life – die total vernetzte Zukunft. Die Zahlen sprechen für sich. Innerhalb von 15 Jahren stieg die Zahl der Internetnutzer von knapp 40 Millionen auf rund zwei Milliarden weltweit. Aus dem Web 1.0 der Homepages und Webshops wurde das Web 2.0 der Social Communities mit ihrem user generated content. Wir sind bereits auf dem Weg zum Web 3.0, dem Semantic Web, Collaborative Open Government und dem Internet der Dinge. Inhalte werden kaum mehr auf lokalen Rechnern, sondern in der „Cloud“ gespeichert und abgerufen. Alles verknüpft sich mit jedem. 2012 erscheint das Internet so wichtig wie Essen, Trinken und Bewegung. 77 Prozent der Deutschen würden für ein Jahr eher auf Alkohol, gar 89 Prozent auf Fast Food verzichten als auf das Internet. In Südkorea würden sich 41 Prozent für ein Jahr Internetnutzung ein Zölibat auferlegen, wie die Boston Consulting Group in einer Studie ermittelt hat. Das Internet scheint keine Grenzen zu kennen, ungeachtet der täglichen Konflikte, die sich aus der Digitalisierung und zunehmenden Datenverknüpfung, aus der Anonymität und der Gier nach ständig neuen Anwendungen ergeben. Wie soll das Recht mit diesem Steilflug zwischen Wertschöpfung und Entwertung umgehen? Dies soll an zwei Beispielen erläutert werden:

Ehrverletzungen im Internet nehmen zu. Jeder dritte Jugendliche wurde bereits Opfer des sogenannten Cybermobbings, sei es dass jemand direkt online bedroht oder beleidigt wurde oder üble Gerüchte im Internet verbreitet werden. Zuweilen werden auch Benutzerkonten in sozialen Netzwerken in fremden Namen errichtet, um diffamierende Inhalte einzustellen. Die perfideste Form des Cybermobbings, das Portalisharegossip, verfolgte den Zweck, Beleidigungen und Verleumdungen systematisch an deutschen Schulen zu ermöglichen. Es ist nach langjährig gescheiterten Bemühungen der Sicherheitsbehörden inzwischen vom Netz genommen.

Die Rechtslage ist in all diesen Fällen eigentlich klar. Solche Aktionen erfüllen regelmäßig den Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) und anderer Delikte. Obwohl formal strafbar, werden diese Straftaten de facto kaum verfolgt, wird kaum ein Täter zur Verantwortung gezogen. Dies liegt sicher auch am „Deckmantel“ der Anonymität, durch den viele Täter schlicht unerkannt bleiben. Möglicherweise wandelt sich aber auch der Begriff der persönlichen Ehre. Anzeichen hierfür zeigen die sogenannten Hass-Tweets über den Kurznachrichtendienst Twitter, die gleichermaßen Konjunktur haben (sogenannte Shitstorms). Man mag meinen, dass viele Absender solcher beleidigender Tweets (wie seinerzeit gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff oder Ex-Minister zu Guttenberg) von einer Legitimität ihres Tuns ausgehen: Ich twittere so, weil ich es kann. Oder weil es der Angesprochene verdient habe. Ist Strafrecht insoweit wirkungslos? Auf dem absteigenden Ast, um nicht zu sagen: vor dem Absturz?

Zwischenfrage an Herrn Professor Heckmann


„Kein anderes Produkt hat die Menschheit so schnell so radikal verändert wie das Smartphone. Es macht frei, aber auch abhängig“. So leitete Thomas Tuma im „Spiegel“ 27/2012 seine Zwischenbilanz zum fünften Geburtstag einer Weltrevolution ein: „iPhone, also bin ich“. Die Entwicklung ist so faszinierend wie dramatisch. Wir tappen in die „Plug and Play“-Falle. Damit ist der Umstand gemeint, dass die Nutzung informationstechnischer Systeme auf eine Weise erfolgt, die die Datenherrschaft der Betroffenen zugunsten von Nützlichkeitserwägungen absorbiert. Das wiederum ist Folge einer Verkettung mehrerer Faktoren:

Die Entwicklung leistungsstarker und bezahlbarer (auch mobiler) Endgeräte – insbesondere Smartphones, Laptops und Tablet-Computer – macht diese zum Alltagsgegenstand, vergleichbar mit Fernsehern oder Haushaltsgeräten, auf die kaum jemand verzichten will und verzichten muss (Faktor Verbreitung). In Verbindung mit alltagstauglichen Applikationen (Software, „Apps“) führt dies zu einer „Consumerization of IT“, also der zunehmenden ITNutzung des Verbrauchers (privat und/oder am Arbeitsplatz). Hierzu trägt besonders die Digitalisierung des Alltags bei, wonach fast jeder Alltagsvorgang (Einkaufen, Kochen, Heizen, Gesundheitsvorsorge, Reiseplanung, Parkplatzsuche etc.) durch entsprechende Softwareprogramme als Internet- oder lokale Anwendungen unterstützt und ganz oder teilweise ersetzt werden kann: Smart Life im Sinne von Online Shopping, Smart Metering, E-Health, Smart Traffic etc. Dies kann in verschiedener Hinsicht sehr nützlich sein (Faktor Nutzen). Die Nutzungsdichte erhöht sich durch Geschäftsmodelle der Hard- und Softwarehersteller, wonach die meisten Programme zu niedrigen Preisen, viele sogar kostenlos vertrieben werden (Faktor Preis). Hinzu kommen die sehr einfache, geradezu spielerische Bedienbarkeit (Faktor Software-Ergonomie) und die Attraktivität bestimmter Geräte und Anwendungen, wie etwa bei iPhone und iPad (Kultfaktor).

Zusammen genommen wird auf diese Weise leistungsstarke IT „unter das Volk“ gebracht und ihr nahezu permanenter und flächendeckender Einsatz gewährleistet: Die Menschen nutzen diese Technologien, weil sie nützlich, preiswert, attraktiv und besonders einfach (im Sinne von „Plug and Play“) gestaltet sind. Die Hersteller forcieren die Verbreitung durch ihre Geschäftsmodelle.

Dieses hier nur grob skizzierte Gesamtsystem setzt eine erhebliche, permanente und oft unmerkliche Erhebung, Verarbeitung und Übermittlung personenbezogener Daten voraus: Nur so können nämlich der günstige Preis („Daten als Währung“), der hohe Nutzen („Mehrwert durch Datenverknüpfung“) und damit die starke Verbreitung durch Netzwerkbildung („kritische Masse“) gewährleistet werden. Von einer „Plug and Play“-Falle lässt sich deshalb sprechen, weil diesem System ein hoher Verführungsgrad inne wohnt, der sich auf die Einwilligungsfähigkeit zur Datenverarbeitung auswirkt. Die Datenverknüpfung ist – zum Teil technisch, zum Teil auch durch das Geschäftsmodell bedingt – unmerklich, eine kritische Distanz der Nutzer hierzu weder erwünscht noch praktisch umsetzbar. Die Rechtslage ist eigentlich klar. Die permanente, vielfach unmerkliche und nachhaltige Datenverknüpfung verstößt gegen Datenschutzrecht. Sie wäre (etwa nach § 4 BDSG) nur gerechtfertigt, wenn und soweit der Betroffene in die Datenverarbeitung eingewilligt hat. Das aber scheitert schon daran, dass er Inhalt, Zweck und Reichweite der Datenverknüpfungen nicht versteht, aus Sicht vieler Anbieter auch nicht unbedingt verstehen soll und (aus Bequemlichkeit oder der starken Nutzenorientierung der verknüpften Applikationen) nicht verstehen will. Obwohl formal datenschutzwidrig, wird solches Gebaren de facto kaum unterbunden, weil daran nur derjenige ein Interesse hat, der das große Ganze, den Schutz der Privatheit und die Datenherrschaft an sich, im Blick hat. Möglicherweise wandelt sich aber auch der Begriff der Privatsphäre. Anzeichen hierfür zeigt der grosszügige Umgang mit persönlichen Informationen auf Facebook. Man mag meinen, dass die Anbieter solcher datenfressenden Applikationen von einer Legitimität ihres Tuns ausgehen: Der Datenhunger wird gestillt, weil die Nutzer einfach nicht satt werden. Oder weil es technisch so einfach ist. Ist Datenschutzrecht insoweit wirkungslos? Auf dem absteigenden Ast, um nicht zu sagen: vor dem Absturz?

Das Internet verändert die Kommunikation zwischen den Menschen. Die Kommunikation ist global, direkt, intensiver, schneller und, zumindest in der Wahrnehmung, rauer geworden. Damit ist sie anfälliger für Ehrverletzungen. Außerdem findet Kommunikation im Internet zunehmend durch automatisierte elektronische Prozesse statt. Personenbezogene Informationen werden für eine immer größere Zahl von Anwendungen benötigt; aus permanenten Datenverknüpfungen entstehen umfassende Persönlichkeitsprofile, die zwar auch für den Einzelnen nützlich sind oder zumindest so empfunden werden, die jedoch für ihn kaum mehr beherrschbar sind. Darunter leidet die informationelle Selbstbestimmung.

Solche Risiken sind unterdessen mit konventionellen rechtlichen Mitteln nicht hinreichend zu steuern. Ge- und Verbote, Befehl und Zwang sowie gerichtlicher Rechtsschutz allein reichen nicht aus. Wollte der Gesetzgeber dieser Entwicklung wenigstens teilweise entgegenwirken, müsste er die Internetkommunikation stärker regulieren (Vorratsdatenspeicherung, strikte Regelemtierung der Geschäftsmodelle von Internetdiensten). Dies dürfte derzeit aber kaum Akzeptanz bei den Betroffenen finden. Überdies bestehen auch verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Zwecktauglichkeit und Angemessenheit solcher gesetzlichen Restriktionen. Schließlich bedürfte es eines international abgestimmten Vorgehens, ist solche Internetkommunikation doch allein aufgrund der Rechner- und Serverstandorte nicht selten grenzüberschreitend.

Zwischenfrage an Herrn Professor Heckmann


Bewirkt die rasante Entwicklung des Internet damit – zumindest in Teilbereichen – ein faktisches Außerkrafttreten geltenden (Straf-, Datenschutz- oder auch Urheber) Rechts? Oder kommt es, weil die Gesellschaft diese Entwicklung irgendwann nicht mehr hinnimmt, zu einer Schubkraftumkehr der IT-Entwicklung, der Abschaffung oder Einschränkung freier Internetkommunikation?
Um dies zu verhindern, bietet es sich an, gemeinsam mit allen Akteuren der Internetkommunikation, also sowohl mit den Anbietern, als auch mit den Nutzern, Modelle des technischen Datenschutzes und einer gewissen Kompensation der unvermeidbaren Folgen für Opfer freier Internetnutzung zu entwickeln, vielleicht auch im Sinne einer Selbstregulierung. Parallel dazu bedarf es einer politisch hochrangig begleiteten Richtungsdebatte: In welchem Umfang soll die Freiheit der Internetnutzung durch Aspekte der Fairness, zum Beispiel dem Gebot der Rücksichtnahme oder der freiwilligen Selbstbeschränkung, begrenzt werden? In welchem Umfang soll die Nützlichkeit von Internetanwendungen durch Aspekte der Aufrechterhaltung von Datenherrschaft (Transparenz, Smart Privacy Management, etc.) begrenzt werden?

Das Internet verändert die Gesellschaft. Ob und inwieweit dies zu ihrem Wohl geschieht, sollte sie selbst entscheiden. Der freie (und freiwillige) Fall des Felix Baumgartner endete glücklich. Er war wagemutig, aber kontrolliert.


Erschienen in der 4. Ausgabe des AUF-Magazins zum Thema „Stabilie Fragilität. Fragile Stabilität."


Bild: photocase/user:fasserhaus/titel:lichtbild

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