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Dr. Markus M. Müller hat seit 2009 die Honorarprofessur für Politik- und Verwaltungswissenschaften inne. In seinen Forschungsschwerpunkten befasst sich Müller mit den Regierungssystemen Deutschlands, der USA, Großbritanniens sowie mit Internationaler Politik, insbesondere international vergleichender Wirtschaftspolitik.
Um eines müssen sich amerikanische Präsidenten keine Sorge machen: einen Eintrag in den Geschichtsbüchern. Doch dieser Platz in der niedergeschriebenen Erinnerung der Nation will sorgsam gewählt werden, zumindest soweit man als Präsident das beeinflussen kann. Dabei gilt für alle Präsidenten: eine zweite Amtszeit hilft für den Eintrag als bedeutender Präsident, auch wenn Ausnahmen bekannt sind.
Mit der zweiten Amtszeit ist in der Regel ein wenig schmeichelhaftes Phänomen verbunden, die Tendenz zur „lame duck“, also einer Amtszeit der relativen Untätigkeit oder wenigstens Unfähigkeit, Politik tatsächlich zu gestalten. Angesichts des amerikanischen Verfassungssystems, das die Verfassungsorgane so aneinander kettet, dass sie sich viel besser blockieren als etwas gestalten können, muss es nicht verwundern, dass Präsidenten gerne zur Außenpolitik greifen, um ihre historische Rolle zu definieren. Weniger durch Teilnahme an internationalen Regimen, denn für internationale Rechtssetzungsakte bedürfen sie in der Regel des Senats, als vielmehr durch Reden, Verhandeln, symbolische Handlungen und notfalls, so das Momentum auf ihrer Seite und die Zustimmung des Kongresses unvermeidlich ist, auch mit militärischen Einsätzen.
Präsident Obama hat schon jetzt einen herausragenden Platz in der Geschichte. Er ist der erste „schwarze“ Präsident, er hat im Amt den Friedensnobelpreis erhalten, und er hat das militärische außenpolitische Engagement seines Vorgängers in einer Art und Weise zurück entwickelt, dass wenigstens das zuletzt eher gespannte Verhältnis der USA zu ihren eigenen Verbündeten, zumal in Europa, wieder deutlich besser wurde. Wenn er nun in seiner „inauguration speech“ einen eher innenpolitisch geprägten Schwerpunkt wählte, dann setzt er diese Linie fort. Er inszeniert sich dabei traditionell und neu zugleich. Wie man bei dem American Presidency Projekt nachlesen kann, hielt er eine Rede von durchschnittlicher Länge (die kürzeste gab es 1793 von Washington, die längste 1841 von Harrison). Und auch Obama schwörte auf die Lincoln Bibel. Daneben setzte er allerdings eine von Martin Luther King, ein Symbol, das sicher keiner weiteren Erläuterung bedarf.
Seine Rede lässt das Bemühen um einen geschichtsträchtigen und staats-männischen Auftritt spüren. Er fasst mit wenigen Worten Quintessenzen der „Federalist Papers“ zusammen, er spielt in Anaphern erweitert mit der Eingangsformulierung der Präambel der Amerikanischen Verfassung. Ein echtes Stück literarischer Rhetorik, auch wenn die New York Times meint, allenfalls 40 Prozent der Rede seien lesenswert.
Ob es ihm gelingt, den innenpolitischen Anspruch seiner zweiten Amtszeit gerecht zu werden, hängt freilich nicht alleine von ihm ab. Ein besonders hohes Geschichtsbewusstsein, das bis in Formulierungen hinein Parallelen zu den Grundlagentexten der amerikanischen Verfassungsgeschichte und mittels Symbolik zur Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre nimmt, spricht für einen Präsidenten, der vor allem an seinem Geschichtsbild aktiv arbeitet. Denn: Auch wenn der Platz sicher ist, niemand will wie George W. Bush enden.
Bild: justininsd / flickr.com