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Seit 2000 Associate Fellow des Centre for the Study of Globalisation and Regionalisation of the World Economy, University of Warwick.
1998-2001: wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Entwicklung und Frieden, Gerhard-Mercator-Universität Duisburg.
Seit 2006 Privatdozent an der Freien Universität Berlin.
2005-2011: Mitglied des Europäischen Exzellenznetzwerks GARNET.
2009: Ko-Direktor der "Warwick Commission on International Financial Reform"
Mitglied in den Beiräten der Zeitschriften Global Governance (USA), Pacific Review (Großbritannien) und Business and Politics (USA).
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Forschungsgruppe "Globale Fragen".
Die Forschungsgruppe "Globale Fragen" befasst sich mit Prozessen der Globalisierung, Transnationalisierung und Internationalisierung. Welche Risiken und Chancen ergeben sich aus diesen Entwicklungen? Welche Strategien bieten sich der deutschen und europäischen Politik im Umgang mit den weltweiten Veränderungen?
Von vielen Beobachtern wird die russische Regierung für ihr Verhalten auf der Krim heftig gescholten. Amerikanische, aber auch europäische Politiker und Journalisten kritisieren das Säbelrasseln Moskaus. Die USA fordern den Ausschluss Russlands aus der G-8 und wollen dem geplanten G-8 Gipfel im russischen Sotschi fernbleiben. Die Berliner Tageszeitung, Hauspostille des links-alternativen Milieus, kritisierte Russland als „protofaschistischen Unrechtsstaat“ und geißelt die „Berliner Kuschel-Diplomatie“ gegenüber Moskau. Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater Präsident Carters in den späten 1970er Jahren, fordert dazu auf, die NATO-Truppen in Alarmbereitschaft zu versetzen und setzt auf einen entschlossene Reaktion der westlichen Staaten. Doch bei all der Empörung bleibt eine Frage offen: Wer hat den Konflikt eigentlich angefacht? Und welche Maßnahmen haben dazu geführt, dass es zu einer Zerreißprobe zwischen Kiew und Moskau gekommen ist?
In der öffentlichen Debatte in Westeuropa konnte man den Eindruck gewinnen, als ob interne Zerfallsprozesse in der Ukraine die wichtigste Rolle bei der Zuspitzung der Situation spielten. Wenig diskutiert wird indes der unheilvolle Beitrag der EU zur Eskalation der Situation. Die Europäische Union hat aber durch ihre Nachbarschaftspolitik die Saat der heutigen Krise gesät. Kiew wurde ein Assoziierungsabkommen angeboten, aber dieser Vorschlag war ein Danaergeschenk. Hauptelement war ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Für die EU ist ein solches Verfahren standardisierte Außenwirtschaftspolitik. Gegenwärtig nimmt die EU an 36 Freihandelszonen teil, und mit der aktuell verhandelten transatlantischen Freihandelszone, neuerdings als TTIP bezeichnet, wird ein weiteres großes Vorhaben hinzugefügt. Was war also problematisch am Vorschlag eines Abkommens mit Kiew?
Zu bedenken ist, dass Russland seit einiger Zeit das Projekt einer Eurasischen Union vorantreibt. Ein erster Schritt ist die Etablierung einer Zollunion. Aktuell nehmen an der Zollunion Russland, Weißrussland und Kasachstan teil. Die Ukraine war eingeladen worden, sich an diesem Integrationsprojekt zu beteiligen. Der eingeschlagene Weg lässt sich durchaus mit dem Integrationspfad der EU vergleichen. Auch die EU begann den Integrationsprozess mit der Schaffung einer Zollunion, die 1968 vollendet wurde.
Häufig glauben Beobachter, eine Freihandelszone stelle gegenüber einer Zollunion eine weitere reichende Form der handelspolitischen Zusammenarbeit dar. Das Gegenteil trifft zu: Eine Zollunion bedeutet, dass die teilnehmenden Staaten eine gemeinsame Handelspolitik betrieben. Ein Land kann also nur einer Zollunion, aber beliebig vielen Freihandelszonen beitreten.
Das erste Beispiel hierfür war der von Preußen geführte Deutsche Zollverein, der 1834 geschaffen wurde und 1871 zur Gründung des Deutschen Reiches führte. Auch das europäische Integrationsprojekt folgte diesem Modell. Die an einer Zollunion teilnehmenden Staaten verzichten auf eine eigenständige Handelspolitik, und damit üben sie einen beachtlichen Souveränitätsverzicht aus. Seit 1968 gibt es demnach keine eigenständige deutsche oder französische Handelspolitik mehr, sondern ausschließlich Brüssel entscheidet – nach Konsultationen mit den Mitgliedsstaaten – über die Handelspolitik der EU.
Nicht anders wäre es im Fall der Ukraine gewesen. Wäre das Land der russisch-kasachisch-weißrussischen Zollunion beigetreten, hätte es keine Freihandelsabkommen mehr – etwa mit der EU – abschließen können. Möglich gewesen wäre allenfalls ein Abkommen zwischen der EU und der Zollunion unter Einschluss Russlands.
Vor diesem Hintergrund ist es sachlich unzutreffend, dass der Präsident der Europäischen Rates, Herman van Rompuy, und der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, ihre Hände in Unschuld waschen. In einer gemeinsamen Erklärung vom 25. November 2013 haben die beiden europäischen Spitzenpolitiker behauptet, die EU würde die Ukraine nicht zu einer Entscheidung zwingen. Vielmehr könne die Ukraine frei entscheiden, welche Form der Anbindung an die EU sie wünsche. Aber dies ist eine scheinheilige Position: Die Ukraine musste wählen zwischen einer Freihandelszone mit Brüssel und einer Zollunion mit Moskau.
Alt-Kanzler Gerhard Schröder bezeichnet die Brüsseler Offerte folgerichtig als „Anfangsfehler“ der ganzen Krise. Der Brüsseler Vorschlag habe Kiew gezwungen, zwischen West und Ost zu wählen – zwischen einem Abkommen mit Brüssel oder einer Zollunion mit Moskau (Süddeutsche Zeitung, 4.3.2014, S. 3). Die Europäische Union, im Jahr 2012 für sechs Jahrzehnte erfolgreiche Aussöhnungspolitik mit dem Friedensnobelpreis geehrt, hat in Osteuropa entweder extrem naiv oder bewusst den Konflikt schürend agiert. Bei der Suche nach angemessenen Reaktionen auf die russische Politik sollte der verhängnisvolle Beitrag Brüssels zur Eskalation der Lage in der Ukraine bedacht werden.
Der Artikel ist in einer ausführlicheren Version am 11.03.2014 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.
Titelbild: Magnus Manske Wikimedia Commons
Bilder im Text: European Council flickr.com; Russavia Wikimedia Commons