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Prof. Dr. Dietmar Schirmer ist seit August 2015 Vertretungsprofessor für Empirische Policy-Forschung. Nach dem Studium in München und Berlin sowie der Promotion in Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, lehrte er an der Freien Universität Berlin, der Cornell University, der Universität Wien sowie der University of British Columbia und der University of Florida. Er war außerdem Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington D.C. und ist Mitglied der American Political Science Association und des Council for European Studies.
Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der historisch-institutionalistischen Vergleichenden Politikwissenschaft und der politischen Kulturforschung. Gegenwärtige Forschungsprojekte befassen sich mit dem Verhältnis von Nationalstaatlichkeit und regionalen Minderheitennationalismen in der EU sowie mit der Staatsarchitektur Europas seit der Renaissance.
Bei den Demokraten scheint nun – nach den anfänglich überraschend starken Ergebnissen für Bernie Sanders – alles wie erwartet zu laufen. Dass Hillary Clinton die demokratische Kandidatur gewinnen würde, war immer wahrscheinlich und wird immer wahrscheinlicher. Aber die größere Show wird ohnehin bei den Republikanern geboten – man weiß nur nicht genau, ob man einer Komödie oder einer Tragödie beiwohnt. Stand heute wirkt Donald Trump nicht mehr ganz so unvermeidlich wie nach dem Super-Tuesday vor einer Woche. Für Ted Cruz sieht es nun etwas besser, aber keineswegs gut aus. Marco Rubios Kampagne wirkt frustriert, enttäuscht und ratlos, aber bis Florida am 15. März wird der Floridianer mindestens im Rennen bleiben, ebenso wie John Kasich, dessen letzte Hoffnungen sich auf sein heimatliches Ohio stützen, wo ebenfalls am 15. März abgestimmt wird.
Bei den Republikanern ist noch alles möglich, wenn auch nicht alles wahrscheinlich – einschließlich einer Vertagung der Entscheidung bis zum Nominierungsparteitag. Jedenfalls deutet Trumps Schwächeln am vergangenen Samstag darauf hin, dass eine Diagnose aus der Frühphase des Vorwahlkampfes, die längst obsolet schien, doch richtig gewesen sein könnte: Dass Trump nämlich an einem „high floor, low ceiling“-Problem leide, also, dass er zwar über einen außergewöhnlich hohen Anteil leidenschaftlicher Anhänger verfügt („high floor“), denen aber ein noch größerer Anteil hingebungsvoller Anti-Trumpianer entgegensteht, die für Trumps Kampagne ganz und gar unerreichbar bleiben („low ceiling“).
Gleichwohl: Das mit Abstand wahrscheinlichste Szenario ist, dass sich im Herbst Trump und Clinton gegenüberstehen werden – und dass Clinton deutlich gewinnen wird. Aber genug spekuliert. Amerikanische Wahlkämpfe sind unstete Gesellen, und die beste Analyse von heute ist oft der Irrtum von morgen. Man kann aber am aktuellen Material über Entwicklungen sprechen, die lange im Werden waren und die mächtig genug sind, das ungewöhnlich stabile politische System der USA grundlegend zu verändern. Es ist Zeit für einen Nachruf auf die Grand Old Party (GOP).
Sucht man die Anfänge der Erosion des traditionellen Republikanismus, kann man weit zurückgreifen. Vielleicht liegen sie in der „Southern Strategy“ der 1960er-Jahre, als die Republikanische Partei den Widerstand der weißen Mehrheit gegen die „Civil Rights“-Gesetzgebung der Kennedy- und Johnson-Administrationen für sich zu nutzen wusste. Oder in Newt Gingrich und dem „Contract for America“, als die republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus sich in einen erbarmungslosen Abnutzungskampf gegen Bill Clinton stürzte, der 1995/1996 zweimal zum „Government Shutdown“ führte und 1998 in einem vergeblichen Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten kulminierte. Oder in der Tea Party-Bewegung, die sich 2009 zwar unter dem Banner gängiger konservativer Forderungen nach weniger Staat, ausgeglichenen Budgets und niedrigeren Steuern formierte, aber von Anfang an erkennbare Züge eines Kulturkampfes gegen die Präsidentschaft Obamas trug.
Die Reise der Tea Party vom Rand ins Zentrum der republikanischen Partei markiert die Vollendung der Transformation der GOP von einer Partei des gemäßigten bürgerlichen Konservatismus zur zunehmend schrillen Verteidigerin eines nie gewesenen, idyllisierten Amerika, als die ethnischen Minderheiten klein, die Mittelschicht groß, die Mehrheit weiß, die Macht männlich war und in dem die Autos noch aus Detroit und die Konsumgüter „Made in U.S.A.“ aus dem Sears-Katalog kamen. Aber immerhin: Bis zuletzt war das Partei-Establishment immer noch stark genug gewesen, um für die Präsidentschaftswahlen gemäßigte, zur Mitte offene Bewerber auf den Schild zu heben: Bob Dole, George W. Bush, John McCain, Mitt Romney. Noch zeigte sich die veränderte Tektonik nur in der Selektion der „Running Mates“, als McCain sich 2008 mit Sarah Pailin und Mitt Romney 2012 mit Paul Ryan vor den schrilleren Strömungen der Partei verbeugte. Dieses Jahr ist es anders. Egal, ob es auf Trump, Cruz oder vielleicht doch Rubio hinausläuft – dass am Ende ein Tea Party-kompatibler Kandidat stehen wird, ist sicher.
Kann, wer immer auch die Vorwahl für sich entscheidet, auch das Weiße Haus gewinnen? Gewiss. Aber wahrscheinlich ist es nicht. Wie ein Ted Cruz oder Donald Trump nach überstandener Vorwahl die Hinwendung zur Mitte glaubhaft vermitteln soll, ohne die sich die Wahl nicht gewinnen lässt, ist schwer vorstellbar. Durch ihre Radikalisierung zum rechten Ende des politischen Spektrums reduziert die Partei also ihre Erfolgschancen in Präsidentschaftswahlkämpfen. Nun wäre es allerdings ein Fehler, daraus zu folgern, dass die Partei sich insgesamt irrational verhielte. Vielmehr ist es so, dass der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit im Kampf ums Weiße Haus der nicht intendierte Effekt einer rationalen Machtstrategie an anderer Stelle ist.
Hier ist es nun unvermeidlich, für einen Moment von den Präsidentschaftswahlen abzusehen und auf die Wahlen zum Repräsentantenhaus einzugehen – denn dort hat sich jene Verwandlung vollzogen, deren Echo nun durch die Kandidatenkür für die Präsidentschaftswahl hallt: In den USA werden Abgeordnete durch einfache Mehrheitswahl in einsitzigen Wahlkreisen bestimmt, die jeweiligen Kandidaten – wie auch bei der Präsidentschaftswahl – in Vorwahlen gekürt. In solchen „Winner Take All“-Systemen kommt dem Zuschnitt der Distrikte enorme Bedeutung zu. Je nach demographischem Zuschnitt neigt ein Distrikt entweder mehr zur demokratischen oder mehr zur republikanischen Seite. Der Zuschnitt der Distrikte erfolgt in den Repräsentantenhäusern der Einzelstaaten – und wird damit zu einem eminent politischen Prozess. Während eine Minderheit der Staaten die „Redistricting“-Problematik entpolitisiert, indem sie ihn einer unabhängigen oder überparteilichen Kommission anvertraut, liegt die Macht zur Ziehung von Distriktgrenzen in der Mehrzahl der Staaten de facto bei der Partei, die dort die Mehrheit stellt. In diesem Prozess haben – über das ganze Land betrachtet – die Republikaner mehr Macht als die Demokraten, weil sie die Mehrzahl der Legislativen beherrschen.
Weil Parteien Sicherheit lieber ist als Unsicherheit, besteht die Neigung, Distrikte so zu formen, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit entweder dominant demokratisch oder dominant republikanisch sind (und wie eben aufgezeigt häufiger dominant republikanisch). Auf diese Weise hat sich die Zahl der „Swing-Districts“ – also jener Wahlkreise, die sowohl an die eine wie an die andere Partei gehen können – stetig verringert, während die Zahl der Distrikte mit klaren Mehrheiten wächst und wächst. Nate Silver vom „Political Calculus“-Blog „FiveThirtyEight“ kalkuliert, dass zwischen 1992 und 2012 die Zahl der „Swing Districts“ von 105 auf 35 gesunken, und die der „Landslide Districts“ von 123 auf 242 gestiegen ist – davon 125 republikanische und 117 demokratische.
Dadurch verändert sich der Charakter des politischen Wettbewerbs: In der immer größeren Zahl von „Landslide Districts“ fällt die Entscheidung über Gewinnen und Verlieren nämlich de facto nicht in den eigentlichen Wahlen, sondern in der Vorwahl. Und weil sich an Vorwahlen meist nur ein relativ kleiner, aber parteiaktivistischer Teil der Wahlbevölkerung beteiligt, und weil in beiden Parteien die Aktivisten in der Regel radikaler sind als die nicht-aktivistischen Wähler, liegt hier der Schlüsselmechanismus zur Auswahl radikalerer Kandidaten – vor allem bei Republikanern, die demokratische Partei ist durch ihre größere politische Heterogenität dagegen eher immunisiert.
Die Folgen für das politische System sind erheblich: Die alte Kultur der Zusammenarbeit „across the isle“ – also über Parteigrenzen hinweg – ist dem Repräsentantenhaus längst abhandengekommen, die Neigung zur Blockade im Falle geteilter Macht – also wenn eine Partei das Weiße Haus und die andere den Kongress hält – ist unübersehbar. Als unlängst der erzkonservative Verfassungsrichter Antonin Scalia verstarb, wurde aus Kreisen republikanischer Senatoren sogleich angekündigt, man werde jeden von Obama nominierten Nachfolger ablehnen – eine Position, die nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich ist, sondern auch zeigt, dass selbst der Senat, jahrhundertelang die Kammer der Moderation und des rationalen Abwägens, in Obstruktionismus verfällt. Es spricht viel dafür, dass in dieser neu justierten politischen Mechanik das alte Prinzip der „Checks and Balances“ zur US-amerikanischen Variante der Politikverflechtungsfalle wird.
Titelbild:
| DonkeyHotey / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Bilder im Text:
| jeweils Gage Skidmore / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Text (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Dietmar Schirmer
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann