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Dr. Nadine Meidert war seit September 2015 akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Soziologie an der Zeppelin Universität. Seit 2018 leitet sie das Planspielzentrum der Zeppelin Universität. Von 2003 bis 2008 studierte sie – mit Auslandsaufenthalten in Belgien und Australien – in Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Ebenfalls in Konstanz wurde sie im Jahr 2013 mit der Dissertation „Selektion oder Einfluss? Dynamische Analyse der Wirkungsmechanismen von politischen Einstellungen und Partizipation in studentischen Freundschaftsnetzwerken“ promoviert. Sie ist neben ihrer Tätigkeit an der Zeppelin Universität als Beraterin bei der Durchführung von Evaluations- und sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekten tätig.
Was macht es mit den Einstellungen einer Bevölkerung, wenn ein Innen- und Heimatminister in seiner Migrationspolitik vor allem auf die zentrale Unterbringung und die schnellstmögliche Rückführung der Geflüchteten fokussiert und die Abschiebung von 69 Geflüchteten mit seinem Geburtstag – einem Tag, an dem es üblicherweise Geschenke gibt – in Verbindung bringt?
Zahlreiche theoretische Beiträge und empirische Studien legen nahe, dass solche sprachlichen Verknüpfungen die Einstellungen von Empfängern dahingehend beeinflussen, dass sie zunehmend die Rücksendung von Geflüchteten – im weiteren Schritt auch die Schließung von Grenzen – befürworten. Solche Verknüpfungen nennen sich Framing (zu Deutsch: Rahmung), das heißt Informationen werden in bestimmte Kontexte eingebettet. Beim Empfänger der Nachricht werden damit zwei oder mehrere – vorher vielleicht gar nicht miteinander verbundene – Konzepte in Beziehung zueinander gesetzt. Diese Konzepte sind wiederum mit anderen Konzepten, Informationen oder Wissen assoziiert. Auf das obige Beispiel angewendet: Zu Migration hat man vielleicht Informationen zu Formen von Migration, Herkunftsländern, Flucht, Fluchtursachen oder Abschiebung im Kopf. Beim Thema Geburtstag denkt man an Kuchen, Geschenke oder Feiern. Was Horst Seehofers Aussage tut: Sie verbindet nun Abschiebungen mit einem Geburtstag. Warum feiern wir Menschen? Weil wir etwas erreicht haben, weil wir etwas überstanden haben. Wenn jemand abgeschoben wird, haben wir also etwas Schlimmes überstanden?
Das ist ohne Zweifel sehr vereinfacht formuliert. Und es ist auch kein deterministischer Zusammenhang. Zum einen hat jeder von uns andere Konzepte mit anderen Assoziationen im Kopf, und zum anderen ist es definitiv auch nicht so, dass ein einzelner Frame beziehungsweise Rahmen, der uns begegnet, unser ganzes Denken beeinflusst. Es gibt aber ausreichend wissenschaftliche Evidenz, die belegt, dass solche – wie oben beschriebenen – Prozesse in unserem Kopf zu großen Teilen unbewusst stattfinden.
Framing wurde und wird meist im Zusammenhang mit medialer Berichterstattung untersucht. Aber auch Politik und Gesetze können als Frames wirken. So definieren Gesetze Probleme und bieten Lösungen für formulierte Ursachen. Abgesehen davon, dass alleine schon die Feststellung einer Sache als regelungsnotwendiges Problem im Grunde Framing ist, ist es vor allem die Verbindung mit konkreten Lösungen und Ursachen, die das Denken beeinflussen können. Diese Verbindung funktioniert besonders gut, wenn Emotionen – vor allem negative – mit ins Spiel kommen oder wenn Frames an Meinungen oder Einstellungen anknüpfen, die eine Person ohnehin schon hat. Somit sind insbesondere Bedrohungsszenarien, die Angst auslösen, als Frames wirksam – vor allem bei Menschen, die bereits Meinungen in sich tragen, die mit dem Weltbild der Frames übereinstimmen.
In mehreren Forschungsprojekten haben wir onlinebasierte Umfrageexperimente durchgeführt und die Befragungsteilnehmern zufällig unterschiedlichen Gruppen zugeteilt. Einige Gruppen haben unterschiedliche Pressemitteilungen zu Gesetzesentwürfen der Bundesregierung gelesen, während einer anderen Gruppe diese Informationen vorenthalten wurde. Alle Befragungsteilnehmer wurden dazu befragt, ob sie denken, dass die Zahl an Asylbewerbern reduziert oder erhöht werden sollte.
In allen Gesetzesentwürfen ging es um das Thema Asyl, das jeweils mit einem anderen Problem assoziiert wurde. Einmal ging es um Asylbewerber als Bedrohung für die innere Sicherheit, ein anderes Mal um Asylbewerber als Opfer von Menschenrechtsverletzungen und beim dritten und letzten Fallum Asylbewerber als Potential für die deutsche Wirtschaft. In zwei von drei Studien können wir zeigen, dass in der Gruppe mit dem Gesetzesentwurf zur Wahrung der inneren Sicherheit die Befragungsteilnehmer im Durchschnitt eher einer Reduktion der Anzahl von Asylbewerbern zustimmen im Gegensatz zur Gruppe, die keine Information zu irgendeinem Gesetzesentwurf erhalten hat. Der Effekt ist klein, aber wie oben schon beschrieben: Es wäre erstaunlich, wenn ein Frame unser ganzes Denken vollständig verändern könnte. Dennoch: Der Effekt ist da. Vor allem auch im Vergleich zu den Gruppen mit den anderen Gesetzesentwürfen, in denen Asylsuchende positiv dargestellt werden. Hier gibt es zwar auch Einstellungsunterschiede (das heißt einer Ausweitung der Anzahl von Asylbewerbern wird zugestimmt), aber diese sind im statistischen Sinne nicht bedeutsam. Das heißt, dass der Frame, in dem Asylbewerber mit einer Sicherheitsbedrohung in Zusammenhang gebracht werden, das meiste Potential hat, Meinungen zu beeinflussen.
Eines ist damit klar: Framing verändert unser Denken. Natürlich nicht von heute auf morgen. Aber schließlich sind wir nicht nur einem Frame ausgesetzt – so wie die Befragungsteilnehmer in unseren Experimenten –, sondern tagtäglich einer Vielzahl von verschiedenen Informationen, die Realitäten schaffen, weil sie gewisse Dinge rahmen. Der Alltag ist definitiv komplexer als das Labor. Denn nicht nur Framing alleine eine Veränderung unseres Denkens bewirkt. Da wir bereits ein bestimmtes Vorwissen haben, können schon einzelne Begriffe ganze Gedankenabläufe auslösen. Hinzu kommt, dass alle Informationen jeweils im Kontext beziehungsweise Rahmen mit anderen Informationen kommuniziert werden. Framing findet somit im Grunde (fast) immer statt.
Das bedeutet, dass das Reden über Migration, Asyl und Flüchtlinge ausreicht, dass latente Meinungen aktiviert werden können. Thomas Walde hat in seinem ZDF-Sommerinterview mit AfD-Chef Alexander Gauland (auch) in diesem Sinne genau das Richtige getan, als er das Thema Flüchtlinge vollständig ausgespart hat, um über andere drängende Probleme zu reden. Denn wie es Elisabeth Wehling auf den Punkt bringt: „Versuchen Sie es mal: Denken Sie nicht an einen Flüchtlingstsunami! Es geht nicht.“
Titelbild:
| wilhei / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| Michael Lucan / Pixeldost.com (CC-BY-SA 3.0 de) | Link
| Haeferl / Eigenes Werk (CC BY-SA 3.0) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Nadine Meidert und Valentina Consiglio
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm