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Dr. Joachim Landkammer wurde 1962 geboren und studierte in Genua und Turin. Nach seinem dortigen Philosophiestudium, abgeschlossen mit einer Arbeit über den frühen Georg Simmel und einer ebenfalls in Italien durchgeführten Promotion über den Historikerstreit, hat Joachim Landkammer als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. W. Ch. Zimmerli an den Universitäten Bamberg, Marburg und Witten/Herdecke gearbeitet. Seit 2004 ist er Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zeppelin Universität und Verantwortlicher des ZU-artsprogram für den Bereich Musik.
Joachim Landkammer arbeitet neben seiner Lehrtätigkeit und einer gewissen journalistischen Textproduktion an verschiedenen interdisziplinären Themen in
den Anwendungs- und Grenzbereichen der Philosophie, der Ästhetik und der Kulturtheorie. Ein dezidiertes Interesse gilt dem Dilettantismus und der Kunst- und Musikkritik.
Natürlich könnte man sagen: nichts als politics as usual. Da taucht eben eine neue politische Kraft auf, nicht nur „auf der Straße“ und in den Medien, sondern plötzlich auch in den demokratisch gewählten Parlamenten; das ist nichts Besonderes, könnte man sagen, denn damit erweitert sich nur das Spektrum des politisch Denk-, Mach- und Wählbaren, und sobald eine genügende Anzahl von Zeitgenossen dieses neue Denk-, Mach- und Wählbare eben denkt und wählt, ist es damit „demokratisch legitimiert“, verfassungskonform und nicht nur zu tolerieren, sondern sogar zu begrüßen. Denn immer wollen doch alle überall mitreden, mitbestimmen, mitentscheiden und alle begrüßen und betreiben den permanenten „Elitenaustausch“; warum sollte man nicht die Gewinner dieses von allen gewollten Wettbewerbs beglückwünschen und sich über „neue Gesichter“ und „neue Ideen“ im Machtbereich freuen?
Man wird zumindest auf zur Vorsicht ratende historische Präzedenzfälle verweisen. In der Tat wäre es ja nicht das erste Mal, dass eine anfänglich demokratisch legitimierte und verfassungskonform zu Macht und Einfluss gekommene Organisation sich eher undemokratischer Mittel bedient, um gegen Recht und Verfassung diese Macht auf Dauer zu monopolisieren. Dass Demokratien sich qua Demokratien kaum gegen pseudo-demokratische Demokratiefeinde wehren können, ist bis in die Gegenwart weltweit zu konstatieren und lässt daher die formal-demokratische Selbstlegitimation von Parteien, deren zukünftige Demokratiefähigkeit und Verfassungstreue zumindest anzweifelbar ist, als nichts garantierende Beteuerung, ja als gefährliche Ausrede erscheinen. Vor dem historischen Hintergrund erscheint es daher heute vielen aufmerksamen politischen Beobachtern als kurzsichtig, den Aufstieg und den offenbar anhaltenden Massenerfolg der AfD für das normale und weiter unproblematische Erscheinen eines beliebigen „neuen politischen Akteurs“ zu halten, ja es womöglich sogar als unvermeidliche Besetzung einer neuen Leerstelle am „rechten Rand“ zu erklären – einer Leerstelle, die ja durch den „Linksruck“ der bisherigen „rechten“ Parteien provoziert worden sei…
Gegen diese Supermarktlogik der Politik – als ob politisch immer alles im Angebot sein müsse, immer „für jeden etwas dabei“: also auch heute noch, zum Beispiel, eine Partei für Monarchisten oder Sklavereibefürworter – darf man vielleicht darauf bestehen, dass die per Volkswahl etablierte parlamentarische Salonfähigkeit einer Partei noch lange nichts über die politische Seriosität und moralische Tolerierbarkeit ihrer Ziele und Haltungen aussagt. Unvermeidbar wird nur sein, dass man sich jetzt in der parlamentarischen Innen- und Hinterzimmerwelt auf manche unbequeme Nachbar- und Komplizenschaften, auf faule taktische Kompromisse und auf manchen „Applaus von der falschen Seite“ einlässt: Aber die nicht-strategisch kommunizierende Zivilgesellschaft wird ihre prinzipiellen Sorgen und Befürchtungen, die von diesem Rechtsruck in ihrer politischen Gesamtrepräsentation ausgelöst werden, äußern dürfen – und müssen. Und zwar auch und gerade, wenn der Wähleranteil der AfD noch weiter steigen, sie also noch „legitimer“ und noch „normaler“ werden sollte.
Denn das Zivilgesellschaftliche ist ja nur insofern nicht „politisch“, als dass dort die formalen Legitimationsgründe, die Proporz- und Regelkonformitäten, die strategischen Rücksichtnahmen keine Rolle spielen. Sie ist aber dadurch eminent „politisch“, dass die konkreten Formen, Inhalte, Räume und Ziele des alltäglichen Zusammenlebens Ausgangspunkt und Nährboden für das substanzielle politische Selbstverständnis der Gesellschaft bilden. Die politischen Ur- und Existenzfragen – Was für eine Gesellschaft wollen wir sein? Wie wollen wir mit- und übereinander reden? Wen wollen wir wie und wann einschließen, wen wollen wir wie und warum ausgrenzen? usw. – werden implizit und explizit dort, in der zivilgesellschaftlichen Alltagsinteraktion, gestellt und je anders, je neu, aber immer in einem für das Ganze mitentscheidenden Sinn beantwortet.
Darum stellt sich das viel diskutierte Problem des „Umgangs mit der AfD“ auf der lokalen, persönlichen Ebene etwas anders als auf der Ebene der großen Politik und auch auf der Ebene der Frage, wie „mit Rechten“ zu „reden“ sei. Es könnte nämlich sein, dass es – und zwar gerade wegen und gegen die anhaltenden Wahlerfolge der AfD – nur noch zivilgesellschaftlich die Möglichkeit gibt, jene Distanz zu ihr aufrechtzuerhalten, jene moralische Abstandnahme von ihren Zielen, Vertretern und Wählern manifest zu machen, die man sich andernorts gar nicht mehr leisten kann. Es könnte sein, dass man nur noch im Nahverhältnis, im engen persönlichen Kontakt jenen symbolischen Handschlag verweigern kann, den man jedem gewählten „Volksvertreter“ auf dem großen öffentlichen Parkett gewähren muss. Nur im eigensinnigen, selbstbestimmten Bereich der je eigenen persönlichen Umgebung ist es noch möglich, sich aufgrund nur allzu berechtigter ureigener „Berührungsängste“ gegen jene schleichende „Normalisierung“ zu stemmen, mit Hilfe derer AfD-Positionen und -Haltungen zur unreflektierten Allerweltsmeinung („auch nur eine unter anderen“) werden wollen.
Darum ist es wichtig, dass sich Vereine heute fragen, ob sie AfD-Mitglieder und bekennende Anhänger in ihren Reihen dulden wollen. Aus diesen Tagen stammt die Diskussion an der Spitze des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV) über den Rücktritt von dessen Präsidenten Hartmut Zieps, der „vor einer rechtspopulistischen Unterwanderung“ der Feuerwehren gewarnt hatte; vor ein paar Monaten hatten schon Fußballfanvereinigungen (Eintracht Frankfurt, HSV) von sich reden gemacht, als sie den Ausschluss von AfD-Anhängern forderten. Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) will keine AfD-Mitglieder unter ihren Mitarbeitern dulden. Aber muss man nicht weitergehen und sich selbst fragen: Trinke ich noch Kaffee und rede ich noch mit dem Kollegen, der aus seiner AfD-Sympathie keinen Hehl macht? Gehe ich mit ihm noch zum Kicken oder auf ein Bier in die Kneipe? Schnell ist dann die Rede von „Ausgrenzung“ und „Gesinnungsterror“. Aber darf man nicht ausgrenzen, wer andere ausgrenzen will? Muss man nicht Gesinnung zeigen und sie durch klare Distanzierungsmaßnahmen wirksam werden lassen, wenn ein gewisser Minimal-Grundkonsens unserer nach-faschistischen Wertegemeinschaft aufgekündigt wird?
Vielleicht darf ein den Schreibenden persönlich betreffendes Beispiel erzählt werden. Seit 1998 arbeitete ich ehrenamtlich für die zweimal im Jahr erscheinende Zeitschrift „Das Liebhaberorchester“, das der Bund deutscher Liebhaberorchester (BDLO) an die circa 33.000 Mitglieder seiner 855 Mitgliedsorchester verteilt. Vor zwei Jahren hatte es die Redaktion erstmalig für notwendig gehalten, die Frage nach der Haltung zu den Geflüchteten und zum neuen Rechtspopulismus auch als eine Frage des Bundesverbandes zu thematisieren. Ob und wie die Laienmusik und ihre Verbandsvertretung auch eine politische Verantwortung und eine Pflicht zum politischen Bewusstsein hat, wurde kontrovers diskutiert, aber als ich dann in einer Glosse zu verstehen gegeben hatte, dass ich mir doch genau überlegen würde, ob ich in einem Amateurorchester noch neben und mit einem AfD-Wähler oder einer AfD-Wählerin musizieren wollen würde, hagelte es erboste Leserbriefe.
Dabei war da eine für den Verband viel gravierendere Frage noch gar nicht gestellt worden (und sie durfte in der Zeitung bis heute nicht gestellt werden!): Ist es für einen solchen Verband, der dem Deutschen Kulturrat angehört und dessen offizielle progressive Kulturpolitik mitvertritt, angemessen, wenn im Präsidium eine auch als Vizepräsidentin fungierende Dame sitzt, die beim Bezirksverband der AfD in Oberfranken Schatzmeisterin ist? Per angedrohter Unterlassungsklage und Zensur wurde der Redaktion verboten, diesen Sachverhalt in der Zeitschrift auch nur zu erwähnen, so dass es Alexander Strauch auf dem nmz-Bad-Blog vorbehalten war, darüber das erste Mal in der gebotenen Offenheit zu berichten. Die einzige tatsächliche Folge dieses durch Misstrauen und Schreibverbote geschaffenen Zerwürfnisses zwischen Präsidium und Redaktion war, dass man, anstatt sich gewisse, vielleicht ja notwendige Gedanken über die Kompatibilität der politischen Gesinnung dieser Dame mit ihrem Amt zu machen, einfach mich nach mehr als 20 Jahren Ehrenamt als Redakteur gefeuert hat, womit auch der Rücktritt der gesamten Redaktion der Zeitschrift in Kauf genommen wurde.
Abgesehen von einer Reihe von anderen Faktoren (über die ich andernorts etwas ausführlicher berichtet habe), wird man annehmen dürfen, dass der Vorgang exemplarisch ist für das, was derzeit auch von anderen besorgten Beobachtern als „Unterwanderungsstrategie“ der AfD gedeutet und gefürchtet wird: Die dem angeblich „unpolitischen“ Charakter der zivilgesellschaftlichen Vereinigungen entsprechenden Ausblendungen der persönlichen politischen Hintergründe, die gedankenlose Duldung von aus „Diskretionsgründen“ nicht thematisierten politisch extremen und moralisch fragwürdigen Haltungen sowie das einem fragwürdigen Ideal der naiven Kumpelhaftigkeit verpflichtete Verbot konsequenter Distanzierung und Stigmatisierung von (auch mit Blick auf die deutsche Vergangenheit) nicht tragbaren Einstellungen führt einzig und allein dazu, dass die de facto dann „Ausgegrenzten“ immer diejenigen sind, die es gewagt haben, jenen „inneren Frieden“ zu stören, den man willfährig mit jenen machen will, die ihn langfristig massiv bedrohen werden.
Wer heute bestimmte Werte für nicht verhandelbar, bestimmte Positionen für nicht akzeptabel, bestimmte Zeitgenossen für nicht satisfaktionsfähig und eben bestimmte Mitmenschen für nicht in persönlich-privater Nähe duldbar hält, dem wird von den Rechten gern „Intoleranz“, das Hantieren mit „Denkverboten“ und die Bestrebung einer „Spaltung“ der Gesellschaft vorgeworfen. Das darf aber nicht davon abhalten, zurückzufragen, wer denn bitte mit der Intoleranz angefangen, wer denn mit der Diskreditierung eines ethischen Minimalkonsenses begonnen und wer denn das erste Mal die trennende Rede von „uns“ und „ihnen“, von „den Deutschen“ und „den Anderen“ im Munde geführt hat. Und es darf nicht daran hindern, sich – solange das noch erlaubt ist (und es könnte sein, dass es bald nicht mehr erlaubt ist!) – gut zu überlegen, mit wem man seine ach so „apolitische“ Freizeit verbringt – und mit wem eben nicht (mehr).
Titelbild:
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Beitrag (mit Bildunterschriften): Dr. Joachim Landkammer
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm