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Christian Roder studiert im Master Politics, Administration and International Relations an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Zuvor war er Trainee in Regulation, Compliance and Anti-Financial Crime bei der Deutsche Bank AG. Während seines Bachelorstudiums war er in der globalen Sanktions-Compliance der Commerzbank AG und in der Exportkontrolle der ZF Friedrichshafen AG beschäftigt.
Mitte Oktober 2019 entschloss sich die US-amerikanische Regierung unter Präsident Donald Trump durch Präsidialdekret drei türkische Minister – den Verteidigungsminister, den Innenminister und den Energieminister – auf die US-amerikanische Sanktionsliste zu setzen, auf der Terroristen, Drogenhändler oder Amtsträger zwielichtiger Regierungen gelistet sind. Ein vorläufiger, aber auch recht überraschender Höhepunkt der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Türkei im Rahmen des Syrien-Konflikts. Die Sanktionen gegenüber den drei Amtsträgern sollten – ungewöhnlicherweise – jedoch nicht lange in Kraft bleiben, sie wurden nach neun Tagen diplomatischen Drucks wieder aufgehoben.
Das Beispiel belegt eindrücklich sowohl Intensivierung als auch Dynamik der Nutzung von Wirtschafts- und Finanzsanktionen vor allem seitens der Vereinigten Staaten unter der Präsidentschaft Trumps. Bereits sein Vorgänger Barack Obama nutzte das „Werkzeug“ der Ausübung wirtschaftlichen Drucks zur Disziplinierung von einzelnen Staaten oder Personengruppen.
Die Vorliebe der US-Regierung für Wirtschafts- und Finanzsanktionen hat sich trotz weitreichender Kritik herausgebildet. Vor allem in wissenschaftlichen Analysen bestehen nämlich erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Effektivität von Wirtschafts- und Finanzsanktionen, da sie häufig Regime-Hardliner stärken oder schlicht nicht dazu beitragen, die gesteckten außen- und sicherheitspolitischen Zielsetzungen zu erreichen. Ferner gibt es spätestens seit dem Totalembargo gegenüber dem Irak in den Jahren 1990/91 Bedenken hinsichtlich ihrer ethischen Legitimität, da sie häufig die Schwächsten der Gesellschaft schädigen. Schließlich herrscht Besorgnis über ihre langfristigen Auswirkungen, insbesondere die Gefahr, dass sie die Abkehr vom Dollar als Reservewährung beschleunigen und eigene Unternehmen zwingen könnten, im Ausland unwiderruflich Marktanteile zu verlieren.
Dennoch: Die bislang schärfste Waffe im Rahmen der diplomatischen Eskalationsdynamik nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern auch der Europäischen Union oder der Vereinten Nationen ist heutzutage das Instrument der Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Sie wirken im Hintergrund, werden über Bürokratie und Systeme gesteuert und treffen nicht nur Einzelpersonen, sondern auch transnationale Unternehmen oder ganze Nationalstaaten. Wer keinen Zugang mehr zum SWIFT-System besitzt, kann kein Geld mehr überweisen, keine Wertpapiergeschäfte mehr tätigen, im Ausland nicht mit Kreditkarten zahlen oder kein Bankkonto mehr unterhalten. Und wer keinen Zugriff mehr auf den US-Dollar als die wichtigste Handelswährung hat oder mit US-Staatsbürgern beziehungsweise in den Vereinigten Staaten nicht mehr geschäftlich tätig sein darf, läuft Gefahr, in einem globalisierten Markt den Anschluss zu verlieren.
Historisch betrachtet wurde das politische Mittel der Wirtschafts- und Finanzsanktionen bereits durch das antike Athen gegen Sparta, durch die Hanse im Mittelalter, aber auch durch das napoleonische Frankreich gegenüber England genutzt. Die ersten internationalen Sanktionen wurden durch den Völkerbund in den 1920er- und 1930er-Jahren gegenüber Paraguay und Italien durchgesetzt. Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs kam es nur gegen Rhodesien und Südafrika zu umfassenden Wirtschaftssanktionen. Danach brach, wie es die Friedensforscher David Cortright und George Lopez beschreiben, eine „Sanctions Decade“ an, in der es zu umfassenden Maßnahmen – erlassen durch die Vereinten Nationen oder die Vereinigten Staaten – gegen den Irak im Rahmen des Zweiten Golfkriegs (1990/91), gegen Jugoslawien oder einige afrikanische Staaten (unter anderem Somalia, Liberia, Angola, Ruanda) kam.
Was die Ausgestaltung betrifft, greifen die gängigen Standardsetzer (Vereinte Nationen, Europäische Union, Vereinigte Staaten) heutzutage weniger auf umfassende restriktive Sanktionsmaßnahmen in Form von Totalembargos zurück. Gerade die Europäische Union verfolgt vor dem Hintergrund humanitärer Aspekte eine Politik der sogenannten „Smart Sanctions“, welche gezielte Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen, Unternehmen oder Eliten vorsieht. Dabei kann eine grobe Einteilung zwischen Finanzsanktionen und güterbezogenen Handelsbeschränkungen gemacht werden. Finanzsanktionen dienen dazu, Personen oder Unternehmen vom Kapitalzufluss abzuschneiden (Zahlungstransaktionen, Investitionsverbote etc.) oder Zugriff auf bereits vorhandenes Kapital auf Bankkonten zu verhindern (Einfrieren von Geldern etc.). Güterbezogene Handelsbeschränkungen haben die Ein-, Ausfuhr und Lieferung von Rüstungs- oder Dual-Use-Gütern im Blick und zielen auf die Verhütung von bewaffneten Konflikten ab.
Mittlerweile haben die Vereinten Nationen mehr als 20, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten 32 länderspezifische Sanktionsprogramme in Kraft gesetzt. Egal ob es um Beschränkungen für von venezolanischen Erdölgesellschaften oder russischen Banken begebene Unternehmensanleihen, von der geopolitischen Großwetterlage abhängige Finanzierungen für Infrastrukturprojekte wie Nord Stream 2 oder Güterlieferungen in den Iran geht: Die Feinheiten der Ausgestaltung der Verbote haben deutlich zugenommen. Umgekehrt haben Wirtschaftsbeteiligte wie Finanz- und Kreditinstitute oder Industrieunternehmen diese restriktiven Maßnahmen im Blick, da sie die Strafverfolgung – vor allem der US-amerikanischen Aufsichtsbehörden – fürchten. Die französische Großbank BNP Paribas zahlte beispielsweise wegen Verstößen gegen diverse US-Sanktionsprogramme im Jahre 2014 eine Strafe von rund 8,9 Milliarden US-Dollar.
Was in Zeiten geopolitischer Herausforderungen bleibt, ist nicht nur die Frage, wie man mit den Grauzonen einiger Sanktionsprogramme geschäftspolitisch umgeht, sondern auch eine Diskussion über die Divergenzen zwischen der Sanktionspolitik der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten hinsichtlich des Irans oder Russlands, da sich hier zunehmend unterschiedliche außen- und sicherheitspolitische Zielsetzungen entgegenstehen.
Titelbild:
| Official White House Photos / D. Myles Cullen (Statements and Releases) | Link
Bild im Text:
| Bair175 / Eigenes Werk (CC BY-SA 3.0) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Christina Roder
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm