ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Martin Meißner studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld. Nach dem Diplomstudium promovierte er am Lehrstuhl für Marketing im Bereich Markt- und Entscheidungsforschung und übernahm anschließend eine Stelle als Akademischer Rat. Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft führte ihn für einen achtmonatigen Forschungsaufenthalt an das Department of Marketing der Monash University in Melbourne. Anschließend arbeitete Meißner als Associate Professor für Marketing am Department of Sociology, Environmental and Business Economics der University of Southern Denmark. Aktuell ist Martin Meißner Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Zeppelin Universität.
Die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen hat sich stark verändert. Die Steuerung von Geräten über Berührung, wie etwa beim Smartphone, ist längst zum Standard geworden. Sind auch Sie schon einmal vergeblich davon ausgegangen, einen Bildschirm mit den Fingern steuern zu können – etwa beim Bankautomaten?
Die technologische Entwicklung wird die Möglichkeiten zur Steuerung von Geräten auch in Zukunft erweitern. Längst arbeiten Unternehmen an der Steuerung mittels Gesten, Mimik und Sprache. Eine interessante Möglichkeit ist auch die Messung der Aufmerksamkeit, die sich an der Blickrichtung ablesen lässt. Zwar ist nicht vollkommen sicher, dass der Blick verrät, womit wir uns gerade mental beschäftigen. Er ist jedoch ein guter Hinweisgeber. Aufgrund der Beschaffenheit unserer Augen sind wir Menschen gezwungen, unsere Umwelt so zu erfassen, dass wir mit den Augen von einem Objekt zu einem anderen springen. Wollen Sie etwa den Gesichtsausdruck einer Person deuten, die sich am Rande ihres Blickfeldes aufhält, so müssen Sie erst den Blick auf diese Person richten. Dieser Umstand ist für die systematische Erfassung des Blickverhaltens ideal, weil sich die Augenbewegungen gut beobachten lassen.
Die Technologie zur Beobachtung des Blickverhaltens hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Das sogenannte Eyetracking ermöglicht die sehr präzise Bestimmung der Position der Augen. Inzwischen gibt es mobile, brillenähnliche Eyetracking-Geräte, welche die Beobachtung der Aufmerksamkeit in nahezu jeder realen Umgebung ermöglichen. Darüber hinaus ist Eyetracking ein fester Bestandteil von Virtual Reality (VR) Brillen. Es lässt sich in virtuellen Umgebungen also recht einfach bestimmen, wohin jemand blickt. Auch mittels Webcams lässt sich mittlerweile die Position der Augen messen, allerdings noch weniger präzise als mit dafür entwickelten Eyetracking-Geräten. Es ist abzusehen, dass die Beobachtung der Aufmerksamkeit in Zukunft immer einfacher und kostengünstiger wird. Und damit stellt sich auch die Frage, wie und in welchem Umfang wir diese Technologie in Zukunft nutzen werden. Unternehmen fragen sich beispielsweise, wie sie Eyetracking anwenden können, um ihren Kunden einen Mehrwert zu bieten. Im Folgenden möchte ich einen kurzen Ausblick wagen.
Interessant für Unternehmen ist zunächst, dass Blickbewegungen in vielen Fällen etwas über die individuellen Vorlieben des Informationssuchenden offenbaren. Vielleicht erinnern Sie sich auch an eine Situation, in der Ihnen die Augen Ihres Gegenübers verraten haben, dass sie oder er noch Hunger hat? Die Messung der Augenbewegungen ermöglicht allerdings noch mehr. So kann etwa die Betrachtungsdauer anzeigen, wie attraktiv ein Produkt im Vergleich zu anderen ist. Ebenso kann erfasst werden, welche Kriterien besonders wichtig im Kaufentscheidungsprozess sind. Beobachtet man etwa die Augen von Supermarktkunden, so zeigen diese beispielsweise, wie sehr sich Kunden mit Sonderangeboten, Preisen oder Nachhaltigkeitskriterien beschäftigen.
Ist eine Kaufentscheidung komplexer, wie etwa beim Kauf eines neuen Smartphones, kann eine Beobachtung der Blickbewegungen unter Umständen signalisieren, dass ein Kunde Hilfe benötigt. In einem Forschungsprojekt haben wir untersucht, inwiefern sich Probanden mit konkreter Kaufabsicht von jenen ohne eine solche unterscheiden. Wir waren in der Lage, die jeweilige Intention mit hoher Wahrscheinlichkeit nur auf Basis der Augenbewegungen vorauszusagen. Entscheidungsunterstützende Systeme können in Zukunft also verstärkt Augenbewegungen nutzen, um Präferenzen zu identifizieren, (Kauf-)Vorschläge zu geben und ihren Service zu verbessern.
Stellt man sich nun vor, dass in Zukunft Augmented Reality (AR) – also die Darstellung virtueller Gegenstände im realen Raum – breit verfügbar ist, so lassen sich diese entscheidungsunterstützenden Systeme auch in reale Einkaufsumgebungen integrieren. Sind Sie vielleicht gegen Nüsse allergisch? Wenn Ihnen eine AR-Brille zur Verfügung steht, könnten Sie (und nur Sie) durch virtuelle Hinweise auf Produktverpackungen vor Nüssen gewarnt werden. Achten Sie aus Gründen der Nachhaltigkeit besonders darauf, lokal produzierte Lebensmittel zu kaufen? Nach Voreinstellung des Systems würde Ihnen virtuell angezeigt, wie viele Kilometer jedes Produkt bis in den Laden zurückgelegt hat. Möchten Sie gerne in einem Geschäft einkaufen, das nur Produkte anbietet, die Ihren Werten oder Vorlieben entsprechen? In der virtuellen Realität wäre das problemlos möglich, denn jeder Ladenraum könnte für den Kunden individuell gestaltet werden.
Die Marketing-Brille absetzend, lassen sich jedoch auch noch viele weitere Potenziale des Eyetrackings identifizieren. Beispielsweise können Menschen mit körperlichen Einschränkungen davon profitieren, Kommunikationshilfen (Talker) und Computer mittels Blickbewegungen steuern zu können. Autos können die Fahrtüchtigkeit anhand des Blickverhaltens feststellen und den Fahrer gegebenenfalls alarmieren. Interaktive Lernsysteme können den Belastungsgrad Lernender anpassen, wenn bei Beobachtung des Blickverhaltens eine Unter- oder Überforderung festgestellt wird.
Kann die Messung der Aufmerksamkeit die Welt also ein bisschen schöner und neuer machen? Es ist jetzt an der Zeit, die Regeln für die Nutzung der Aufmerksamkeitsdaten auszuarbeiten. Unter welchen Umständen ist es Unternehmen erlaubt, diese Daten zu sammeln und Persönlichkeitsprofile zu erstellen? Wie kann die Technologie den menschlichen Bedürfnissen angepasst werden und nicht umgekehrt? Haben wir keine Angst vor der technologischen Veränderung, sondern gestalten wir aktiv die Digitalisierung unserer Gesellschaft.
Titelbild:
| Amanda Dalbjörn / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| Tschneidr / Eigenes Werk (CC BY-SA 4.0) | Link
| Anonym / The Huxley Brothers / LIFE Magazine, 24. 03. 1947 (Gemeinfrei) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Martin Meißner
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm