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Prof. Dr. Heribert Dieter ist seit 2021 Gastprofessor für internationale politische Ökonomie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee, nachdem er diese Gastprofessur bereits von 2013 bis 2019 bekleidet hatte. Seit 2017 ist er zudem außerplanmäßiger Professor an der Universität Potsdam. Zuvor war er Gastprofessor an der University of Hong Kong. Dieter wurde 1961 geboren und forscht zu internationalen Wirtschaftsbeziehungen an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er studierte von 1983 bis 1989 Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin, wo er 2005 auch seine Habilitation ablegte. Zu seinen aktuellen Forschungsvorhaben zählen die Untersuchung von Reformoptionen für die internationalen Finanzmärkte, die Analyse der Perspektiven der Europäischen Währungsunion und monetärer Kooperation in Asien sowie die Betrachtung der Position Deutschlands in der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts.
In seinen ersten Interviews und Reden als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz betonte Robert Habeck die Dringlichkeit der Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft. Überraschenderweise verwies er mehrfach auf den vermeintlichen Vorteil einer deutschen Teilautarkie. Sowohl bei der Einfuhr von Rohstoffen als auch bei der Finanzierung von Windkraftanlagen schlug Habeck neue Töne an. Diese verstörenden Äußerungen mögen der Unerfahrenheit des Ministers geschuldet sein, doch wenn Habeck die deutsche Wirtschaft deutlich unabhängiger von Rohstoffimporten machen will, könnte er eine gefährliche Eskalationsspirale in Gang setzen.
In den vergangenen fünf Jahrzehnten herrschte in der Bundesrepublik Deutschland über Parteigrenzen hinweg Konsens über die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung. Die deutsche Wirtschaft profitiert vom grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Dienstleistungen, aber auch von ungehinderten Kapitalströmen. Habeck stellt diesen Konsens in Frage: Er bezeichnete den „Welthunger“ nach fossilen Energieträgern – Erdgas, Erdöl und Kohle – als Ursache für das derzeitige hohe Energiepreisniveau. Habeck forderte daher, dass Deutschland unabhängiger von (Energie-)Importen werden müsse.
Bei näherer Betrachtung weist dieser Ansatz zwei entscheidende Schwächen auf. Erstens: Eine Energiewende, die auf heimische Rohstoffe setzt, kann nicht gelingen. Sollen zum Beispiel die heutigen Kraftfahrzeuge durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden, muss Deutschland große Mengen an Kobalt importieren. Pro Batterie eines Elektroautos werden etwa zehn Kilogramm des seltenen Metalls benötigt. Hauptlieferanten von Kobalt sind derzeit Minen in der Demokratischen Republik Kongo, die mehrheitlich von chinesischen Unternehmen betrieben werden. Angesichts der steigenden Nachfrage nach Elektroautos ist der Preis für Kobalt bereits von rund 42.000 US-Dollar pro Tonne im Juni 2021 auf 70.500 US-Dollar pro Tonne im Januar 2022 gestiegen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wird sich die Struktur der Rohstoffabhängigkeit Deutschlands zwar verändern, aber nicht verringern – zumindest nicht kurzfristig. Daimler und Tesla arbeiten an kobaltfreien Batterien, deren Großserientauglichkeit aber noch nicht nachgewiesen ist.
Zweitens ist die Aussage des Wirtschaftsministers der größten Volkswirtschaft Europas zu den Nachteilen von Importen alarmierend. Deutschland hat seit Jahrzehnten einen Handelsbilanzüberschuss, das heißt es verkauft mehr an das Ausland als es dort einkauft. So haben deutsche Unternehmen im Jahr vor Beginn der Pandemie (also 2019) Waren im Wert von rund 1.300 Milliarden Euro exportiert und 1.100 Milliarden Euro importiert. Diese Politik wird von Deutschlands Handelspartnern wie den USA seit vielen Jahren kritisiert. Auch die Europäische Kommission hat Deutschland wiederholt aufgefordert, seinen Handelsüberschuss, der den Defiziten anderer Länder entspricht, zu verringern. Ein deutscher Wirtschaftsminister, der die Rohstoffimporte reduzieren will, könnte in anderen Ländern wirtschaftspolitische Reaktionen provozieren: Warum deutsche Industrieprodukte kaufen, wenn Deutschland versucht, weniger im Ausland einzukaufen? Habecks vorsichtiges Streben nach energiepolitischer Autarkie könnte daher eine Büchse der Pandora öffnen.
Ebenso kühn erscheinen Habecks Äußerungen zur Finanzierung von Windparks. Habeck hat erkannt, dass Windräder unpopulär sind. Er will dies überwinden, indem er die Anwohner zu Unternehmern macht und ihnen so den Zugang zu den Gewinnen der Energiewende ermöglicht. In einem Interview im „heute journal“ sagte er, die Landschaft werde zwar immer noch verschandelt, aber es mache „einen großen Unterschied, ob man den Gewinn selber im Portemonnaie hat oder ob der dann auch noch abfließt zu irgendwelchen Fremdkapitalgebern, die ganz woanders sitzen“.
Auch dieser Vorschlag ist nicht überzeugend. Habeck fordert eine lokale Finanzierung von Windparks, die für Anwohner unattraktiv sind, und diskreditiert zugleich Investoren aus anderen Volkswirtschaften. Letztlich steckt in diesem Konzept – lokale Investoren werden gegenüber ausländischen bevorzugt – eine Absage an die Vorteile eines unbeschränkten Kapitalverkehrs. Zwar gab es auch in Deutschland Phasen einer umfassenden Regulierung grenzüberschreitender Kapitalströme. Seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Regimes Anfang der 1970er-Jahre hat jedoch keine Regierungspartei vorgeschlagen, inländisches gegenüber ausländischem Kapital systematisch zu bevorzugen.
Abgesehen davon, dass die Europäische Kommission Einwände gegen die Privilegierung einheimischer Investoren haben dürfte, könnten sich andere Länder ein Beispiel an Deutschland nehmen und deutsche Investitionen gegenüber inländischen diskriminieren. Dies wäre ein Problem. Seit Jahren gehen die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse mit sehr hohen Kapitalexporten einher. Deutsche Investoren legen Jahr für Jahr dreistellige Milliardenbeträge im Ausland an. Der Schaden für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen durch eine von Deutschland in Gang gesetzte Eskalationsspirale wäre erheblich.
Auch die Vorschläge Habecks zur Finanzierung von Windkraftanlagen zeigen, wie weit sich die Grünen von ihren Ursprüngen entfernt haben. Geblieben ist die gering ausgeprägte Bereitschaft zu Kompromissen. Vergessen wurde, dass Geld eine zerstörte Umwelt nicht ersetzen kann. Viele Jahre lang trugen die Grünen diese Erkenntnis wie eine Monstranz vor sich her. Heute ist diese Dimension nachhaltiger Politik aus dem Blickfeld geraten und durch den unbedingten Willen zur Klimaneutralität verdrängt worden.
Nachhaltigkeit beinhaltet selbstverständlich mehr als nur Klimaneutralität, aber in der Energiepolitik der neuen deutschen Bundesregierung werden andere Faktoren weitgehend ausgeblendet. Die Zerstörung der Landschaft durch Windparks, die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Insekten und Vögel und die Auswirkungen einer Politik, die die Importe aus Entwicklungsländern reduzieren möchte, werden nicht hinreichend berücksichtigt. So gesehen ähnelt die heutige Wirtschaftspolitik der früheren, bei der das Wirtschaftswachstum ohne Rücksicht auf die Nebeneffekte im Vordergrund stand. Heute ist die Kohlenstoffneutralität an die Stelle jenes Ziels getreten, aber auch hier werden die gesamten Effekte nicht genügend in Betracht gezogen. Vor allem die Auswirkungen der neuen Energiepolitik auf die internationalen Wirtschaftsbeziehungen werden ausgeblendet. Die Klimaneutralität wird als zu wichtig angesehen, um diese Beziehungen zu berücksichtigen.
Dieser Artikel ist am 1. Februar unter dem Titel „Robert Habeck's Dangerous Flirt with Autarky“ im Online-Magazin Australian Outlook des Australian Institute of International Affairs erschienen.
Titelbild:
| Zoe Schaeffer / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Urban Zintel / BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (alle Rechte vorbehalten) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Heribert Dieter
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm