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Streit braucht Prinzipien
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Demokratie

Streit braucht Prinzipien

Interview: Florian Gehm | Redaktion
21.09.2012
Unter Prinzipien verstehe ich übergeordnete Regeln, wie der Streit über Inhalte zu verlaufen hat. Man kann sehr wohl dieselben Prinzipien des programmatischen Wettbewerbs anerkennen und dennoch inhaltlich klar unterschiedliche Positionen vertreten.

Professor Dr. Joachim Behnke
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Joachim Behnke

    Joachim Behnke ist Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Politikwissenschaften. Er hat Theaterwissenschaft, Philosophie, Kommunikationswissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert. Sein Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem bei Wahlsystem und Wählerverhalten. Außerhalb der Universität engagiert sich Behnke als Sprecher verschiedener Arbeitskreise in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und ist als Stiftungsberater tätig.

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    Dossier
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    Das Bundesverfassungsgericht hat erneut eine Reform des Wahlrechts verlangt. Die von den Richtern wie von der Koalition favorisierten Varianten enthalten neue Ungerechtigkeiten. Unter Umständen wäre „eine mehrheitsverändernde Wirkung noch dramatischer“, warnt ZU-Politikprofessor Joachim Behnke.
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Streit über Inhalte - mit Prinzipien?
Streit über Inhalte - mit Prinzipien?

Lassen sich Prinzipien und Parteiprogramme so miteinander verbinden, dass der Bürger noch die „Wahl“ hat? Eine Gleichmacherei steht doch wohl dem Sinn der Demokratie entgegen.

Professor Dr. Joachim Behnke: Dies würde keineswegs eine Gleichmacherei bedeuten beziehungsweise zu einer programmatischen Ununterscheidbarkeit der Parteien führen. Unter Prinzipien verstehe ich übergeordnete Regeln, wie der Streit über Inhalte zu verlaufen hat. Man kann hier also sehr wohl dieselben Prinzipien des programmatischen Wettbewerbs anerkennen und dennoch inhaltlich klar unterschiedliche Positionen vertreten. Solche Prinzipien sind beispielsweise die Verlässlichkeit von informalen Vereinbarungen, allgemeine Fairnessgebote, die im Wahlkampf angewandt werden oder die Bereitschaft, sich an vereinbarte Regeln zu halten – auch dann, wenn es unpopulär wird.

Wo lässt sich die erschwerte Trennbarkeit denn besonders stark erkennen?

Behnke: Mir fallen zwei Fälle ein, in denen die Parteien sich vor allem von ihren Interessen und nicht von Argumenten leiten lassen. Der eine ist offensichtlich das Problem des Wahlgesetzes. Hier liegen Vorschläge einiger Parteien vor, die eindeutig nur den eigenen Interessen dienen sollen, die sich aber in keiner Weise mit Argumenten verteidigen lassen. Genau für dieses Verhalten haben die CDU und die FDP vor dem Verfassungsgericht eine empfindliche Niederlage als Quittung kassieren müssen. Der zweite Fall ist der Länderfinanzausgleich: Diesen kann man mit Sicherheit mit guten Gründen kritisieren, aber diese Kritik sollte nicht darauf beruhen, ob man als Land einen Schaden hat, sondern auf einer Kritik der Prinzipien, nach denen der Finanzausgleich gestaltet wird. Es gibt einen automatischen Reflex, Regeln als „ungerecht“ abzulehnen, nur weil sie einem große Lasten auferlegen. Dies ist zwar subjektiv nachvollziehbar, also aus Sicht der betroffenen Subjekte, es heißt aber noch keineswegs, dass die Regel auch objektiv ungerecht ist.

Professor Dr. Joachim Behnke im Spiegel zur Wahlrechtsreform


Gibt es hier eine Lösung, die alle zufrieden stellen könnte?

Behnke: Selbst die objektiv bestmögliche und gerechteste Regel würde wahrscheinlich nicht vermeiden können, dass sich einige subjektiv immer noch ungerecht behandelt fühlen. Die subjektive Wahrnehmung von Ungerechtigkeit ist also nicht hinreichend, man muss auch einen Grund nennen können, warum das Prinzip, das durch diese Regel verkörpert wird, ungerechte Ergebnisse hervorbringen soll.

Die Erfolge der Piraten zeigen, dass man Interessen vertreten muss, um überhaupt Fuß zu fassen: Haben Ziele wie Liquid Democracy genügend Gewicht als wünschenswerte Prinzipien?

Behnke: Der Erfolg der Piraten hat sicherlich zum Teil damit zu tun, dass sie bestimmte Interessen vertreten, die bei den anderen Parteien zu kurz gekommen sind. Ein wesentlicher Teil des Erfolgs ist aber unabhängig von konkreten Interessen, sondern bezieht sich auf den Politikstil beziehungsweise stellt einen Protest am Politikstil der etablierten Parteien dar. Die Wähler der Piraten lehnen das herkömmliche Parteiensystem und vor allem die Regeln, nach denen innerhalb der Parteien der Prozess der Meinungsbildung stattfindet, ab. Sie finden, dass die Parteien zu einer Art von „Politikmaschine“ verkommen sind, in der die politische Willensbildung „top-down“ statt „bottom-up“ verläuft. Symptomatisch für die Naivität und mangelnde Sensibilität der etablierten Parteien war in dieser Hinsicht zum Beispiel der Versuch, parteiinternen Kritikern im Parlament das Rederecht zu beschränken. Bei Liquid Democracy handelt es sich tatsächlich um einen bestimmten Politikstil, also um die Art und Weise, wie ein idealer politischer Meinungsbildungsprozess verlaufen soll. Das Problem besteht hier aber darin, dass die Rückbindung einer Partei an einen basisdemokratisch verlaufenden Meinungsbildungsprozess ihr die Möglichkeit nimmt, bei Verhandlungssituationen Angebote zu machen. Wenn aber im Prinzip jeder einzelne Politikvorschlag von der Basis gewissermaßen zurückgenommen werden kann, dann kann man Politikangebote nicht als Paket gestalten. Parteien, die dazu nicht in der Lage sind, sind aber strukturell koalitionsunfähig.


Bild: US National Archives / Flickr

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