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Martin R. Herbers über „Fernsehen"
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Martin R. Herbers über „Fernsehen"

von Felix Lennart Hake | Redaktion
16.12.2014
Schließlich greifen heutige Kochshows auch immer gesellschaftspolitische Diskussionen auf wie Veganismus oder die Nutzung von Bioprodukten. Das hätte die Kochshows der 1950er Jahre überhaupt nicht interessiert.

Dr. Martin R. Herbers
Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- & Kommunikationswissenschaft
 
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    Zur Person
    Dr. Martin R. Herbers

    Dr. Martin R. Herbers ist seit September 2012 am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft als Akademischer Mitarbeiter beschäftigt. Zu seinen Arbeits- und Interessensgebieten zählen Phänomene der politischen Öffentlichkeit, politische Unterhaltungskommunikation und visuelle Kommunikation. 2013 schloss er erfolgreich sein Promotionsprojekt zur Produktion politischer Unterhaltungssendungen im deutschen Fernsehen ab.

    In den Jahren 2008 bis August 2012 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster auf verschiedenen Positionen und Projekten tätig.

    Von 2003 bis 2007 studierte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Kommunikationswissenschaft mit den Nebenfächern Psychologie und Deutsche Philologie.  

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    Factbox
    DFG-Projekt: Mediatisierte Medienrezeption

    Wie orientieren sich Nutzer anhand internetbasierter Medien im Programmangebot fiktionaler Unterhaltungssendungen? Wie hat sich die Praktik des Kommentierend durch die Nutzung von Twitter verändert? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft seit Anfang Oktober 2014 in dem Forschungsprojekt „Mediatisierte Medienrezeption am Beispiel fiktionaler Unterhaltungssendungen des deutschen Fernsehens". Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt ist Teil des Schwerpunktprogramms „Mediatisierte Welten" und läuft noch bis Ende September 2016.

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Herr Herbers, wieso haben Sie sich für den Begriff „Fernsehen“ entschieden?

Dr. Martin R. Herbers: Das Thema ist zum einen ein starker Teil meines Forschungsinteresses, wobei ich mich besonders für die Angebote des Unterhaltungsfernsehens interessiere. Zum anderen erfährt das Fernsehen derzeitig einen rasanten Wandel, natürlich durch den Einfluss des Internets, aber auch durch technische Neuerungen wie Smart-TVs oder die Nutzung von „Second Screens“ durch das Publikum. Wir erleben weiterhin eine Verlagerung von Fernsehinhalten in das Internet - die Einführung des Online-Dienstes Netflix ist da ein passendes Beispiel. Diese Entwicklungen machen das Fernsehen, zumindest im Jahr 2014, noch sehr spannend.


Wie beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung genau mit Fernsehen?


Herbers: Für meine Arbeit ist das Fernsehen der Mittelpunkt und das Objekt der Forschung. Egal, ob ich mich mit der Produktion von Unterhaltungsfernsehen oder der Rezeption von Unterhaltungsangeboten beschäftige, das Fernsehen ist immer der erste Anknüpfungspunkt. Allen kulturellen und technischen Wandelphänomenen zum Trotz ist es noch immer das bestimmende Medienangebot - schließlich hat fast jeder von uns einen Fernseher zuhause. In unserem aktuellen DFG-Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft beschäftigen wir uns beispielsweise mit dem Einfluss neuer, internetbasierter Medien auf die Fernsehrezeption.

Egal, ob US-Präsident Barack Obama bei Jay Leno zu Gast ist oder die „heute show" des ZDF Rainer Brüderle, ehemaliger Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, ob seines Pfälzer Akzentes untertitelt: Das Fernsehen ist noch immer ein zentrales Medium der politischen Bildung, auch über Talk- und Satireformate hinaus. Die traditionellen „Kanzlerduelle" vor den Wahlen zum Deutschen Bundestag erzielen durchweg hohe Einschaltquoten und locken in Deutschland alle vier Jahre bis zu 21 Millionen Zuschauer vor die Fernsehapparate.
Egal, ob US-Präsident Barack Obama bei Jay Leno zu Gast ist oder die „heute show" des ZDF Rainer Brüderle, ehemaliger Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, ob seines Pfälzer Akzentes untertitelt: Das Fernsehen ist noch immer ein zentrales Medium der politischen Bildung, auch über Talk- und Satireformate hinaus. Die traditionellen „Kanzlerduelle" vor den Wahlen zum Deutschen Bundestag erzielen durchweg hohe Einschaltquoten und locken in Deutschland alle vier Jahre bis zu 21 Millionen Zuschauer vor die Fernsehapparate.

Worum geht es in diesem Projekt genau?

Herbers: Wir versuchen herauszufinden, wie sich Nutzer in dieser neuen, verschränkten Medienwelt zwischen Fernsehen und internetbezogenen „Second Screens“ etwa im Programmangebot orientieren und wie sie klassische Handlungsmuster, etwa das Kommentieren von Sendungen, die sie schon vor der Nutzung der neuen Technologie angewendet haben, in das Digitale verlagern. Zunächst wollen wir wissen, wie sich die Praktiken des Kommentierens durch die Nutzung von Plattformen wie Twitter verändern, wenn Nutzer während einer Sendung ebendiese in die gesamte Welt hinaus verbreiten können. Im Bereich der Co-Orientierung stellen wir uns die Frage, wie Empfehlungsprozesse im Bereich fiktionaler Unterhaltungssendungen ablaufen. Früher hat man ganz klassisch in die Fernsehzeitung geschaut und ist somit einer eher produzentenseitig vorgegebenen Selektion gefolgt. Heute besteht die Möglichkeit, sich durch Dienste wie Netflix, Twitter oder auch Seiten wie „serienjunkies.de“ über Programminhalte zu informieren und auszutauschen. Angelehnt an den Empfehlungsalgorithmus von Amazon könnte man sagen: „Wenn dir diese Sendung gefallen hat, könnte dir auch diese hier gefallen!“

DFG-Forschungsprojekt: "Mediatisierte Medienrezeption"


Nun bekommt der gute alte Fernseher zusehends Konkurrenz durch das Internet. Warum sollte man heutzutage noch fernsehen?

Herbers: Es gibt, trotz aller Auflösungserscheinungen, noch immer sehr bestimmende soziale Elemente die dem klassischen Fernsehen innewohnen. Etwa, dass sich die Familie am Samstagabend vor den Fernseher setzt und gemeinsam eine Sendung schaut. Oder man verabredet sich mit Freunden zu Fernsehabenden und kommentiert zum Beispiel gemeinsam den „Tatort“. In diesem Zusammenhang könnte das Ende der Sendung „Wetten, dass…?“ vielleicht ein bestimmendes Merkmal des Fernsehjahres 2014 werden. Wenn man sich von der sozialen Sichtweise entfernt, ist es vor allem ein Medium der politischen Information, das dem Rezipienten hilft, seine bürgerliche Rolle auszufüllen. Gleichzeitig bietet es mit seinem Unterhaltungsangebot auch eine Form von Entspannung und Eskapismus. Aus Sicht der Wissenschaft ist es spannend zu sehen, in welcher Form einzelne Programme aktuelle Themen, welche die Gesellschaft bewegen, behandeln. Ich meine hier nicht nur Fernsehserien, in denen etwa bestimmte politische Diskussionen aufbereitet werden, sondern von einem formatübergreifenden Phänomen - besonders in Kochshows lassen sich diese Reflexe auf gesellschaftliche Zustände gut erkennen.

Kochshows als politischer Indikator: In der US-amerikanischen Talkshow „New Day Northwest" kochen zwei „Culinary Specialists" der Armee, nachdem sie eine Auszeichnung für kulinarische Exzellenz auf ihrem Flugzeugträger, der USS John C. Stennis, erhalten hatten. „Man sieht, wie die Akteure in der Küche stehen und dass manchmal auch etwas schiefgehen kann", kommentiert Dr. Martin R. Herbers und hält Kochsendungen für einen wichtigen Spiegel gesellschaftspolitischer Themen. Die Deutschen beschäftigt demnach der Konsum von Bioprodukten und besonders eine Essgewohnheit: der Veganismus.
Kochshows als politischer Indikator: In der US-amerikanischen Talkshow „New Day Northwest" kochen zwei „Culinary Specialists" der Armee, nachdem sie eine Auszeichnung für kulinarische Exzellenz auf ihrem Flugzeugträger, der USS John C. Stennis, erhalten hatten. „Man sieht, wie die Akteure in der Küche stehen und dass manchmal auch etwas schiefgehen kann", kommentiert Dr. Martin R. Herbers und hält Kochsendungen für einen wichtigen Spiegel gesellschaftspolitischer Themen. Die Deutschen beschäftigt demnach der Konsum von Bioprodukten und besonders eine Essgewohnheit: der Veganismus.

Was macht gerade Kochshows wissenschaftlich so interessant?

Herbers: Wir haben bei Kochsendungen in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Wandel des dort inhärenten Dualismus zwischen Information und Unterhaltung erlebt. Zum einen gibt es in diesen Angeboten informatorische, vermitteltende Aspekte wie beispielsweise Anleitungen, wie man einen Toast Hawaii oder ein Weihnachtsmenü zubereitet. Zum anderen gibt es stark unterhaltende Elemente: man sieht, wie die Akteure in der Küche stehen, dass sie gemeinsam etwas zubereiten und dass manchmal auch etwas schiefgehen kann. Darin sieht man auch einen Rückbezug zur sozialen Komponenten des Kochens. Auch die gesellschaftliche Bedeutung der Nahrungsmittelzubereitung wird in diesen unterschiedlichen Angeboten mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten gut deutlich. Schließlich greifen heutige Kochshows auch immer gesellschaftspolitische Diskussionen wie Veganismus oder die Nutzung von Bioprodukten auf. Das hätte die Kochshows (und die Gesellschaft) der 1950er Jahre überhaupt nicht interessiert.



Wo sehen Sie das Fernsehen in den nächsten Jahrzehnten? Wird es weiterhin existieren oder werden wir uns den „Tatort“ oder „How I Met Your Mother“ in Zukunft nur noch in der Online-Mediathek anschauen?

Herbers: Das ist eine gute wie komplexe Frage. Sie schließt an die alte medienkritische Frage an, die immer dann gestellt wird, wenn ein neues Medienangebot eingeführt wird: Wird es das Buch ersetzen? Letzteres existiert ja mittlerweile seit über 500 Jahren und hat sich nie wirklich verdrängen lassen. Die Frage, die man sich jetzt analog stellen müsste, ist, ob ein neues Angebot wie das Internet das Fernsehen ersetzen kann. Da muss man sich überlegen, ob ein Medienangebot so umfassend sein und sich so ins Leben integrieren kann, dass es räumliche und soziale Strukturen bestimmt. Der Fernsehapparat ist ja rein physisch immer noch da. Der „Internet-Apparat“, wenn man ihn so nennen will, wird hingegen immer flüchtiger, kleiner und schmaler. Ich vermute, dass es eine Co-Evolution zwischen der alten Fernseh-Medientechnik und den neuen Medientechnologien geben wird, in denen die Inhalte des Fernsehens unabhängig von ihrer technischen Plattform weiter verbreitet werden. Das Prinzip von Netflix, also die ständige Verfügbarkeit des Programms und die zeitliche Unabhängigkeit der Rezeption, könnte zum Beispiel ausgeweitet werden. Aber ich denke, dass die einzelnen Programmangebote, die über das klassische per Kabel oder Satellit verbreitete Fernsehen erreichbar sind, immer noch ihre Bedeutung haben werden.


Titelbild: Christmas Ball Background / www.vectorbackground.net (CC-BY 3.0) Tyler Rayburn/ flickr.com (CC-BY-NC-ND 2.0) 

Bilder im Text: Barack Obama / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0)

U.S. Navy photo by Mass Communication Specialist Timothy Aguirre 

[Public domain], | via Wikimedia Commons


Redaktionelle Umsetzung: Felix Lennart Hake

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