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Dr. Nadine Meidert war seit September 2015 akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Soziologie an der Zeppelin Universität. Seit 2018 leitet sie das Planspielzentrum der Zeppelin Universität. Von 2003 bis 2008 studierte sie – mit Auslandsaufenthalten in Belgien und Australien – in Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Ebenfalls in Konstanz wurde sie im Jahr 2013 mit der Dissertation „Selektion oder Einfluss? Dynamische Analyse der Wirkungsmechanismen von politischen Einstellungen und Partizipation in studentischen Freundschaftsnetzwerken“ promoviert. Sie ist neben ihrer Tätigkeit an der Zeppelin Universität als Beraterin bei der Durchführung von Evaluations- und sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekten tätig.
Wie treffen Frauen ihre Wahlentscheidungen? Und fallen sie anders aus, als die von Männern?
Dr. Nadine Meidert und Tatjana Jungkunz: Dafür muss zunächst die Frage gestellt werden, ob Frauen ihre Wahlentscheidung überhaupt anders treffen. Viele Menschen, egal ob Mann oder Frau wählen Parteien oder Kandidaten, von denen sie glauben, dass sie ihre Interessen gut vertreten können. Frauen sind einfach oft in anderen sozialen und ökonomischen Situationen und haben daher andere Interessen.
Gibt es diesen Unterschied schon seit 100 Jahren – oder ist er erst kürzlich entstanden?
Meidert und Jungkunz: Früher waren Männer vor allem in Gewerkschaften und Arbeiterverbände eingebunden und wählten deshalb sozialdemokratisch. Frauen hingegen engagierten sich mehr in Gemeinden, lebten traditionelle Rollenbilder und legten daher den Fokus auch eher auf Familien- als auf Arbeitsthemen. Das sieht man deshalb auch in den Wahlergebnissen und begründet den relativ hohen Zuspruch von Frauen an die konservative CDU und CSU. Gleichzeitig erklärt sich dadurch auch die geringe Unterstützung für die Linke, die ebenfalls vor allem Gewerkschaftsthemen vertraten und dadurch eher im männlichen Milieu nach Wählerstimmen fischten.
Hat sich diese Aufteilung in Zeiten der Emanzipation gewandelt?
Meidert und Jungkunz: Mit der Zeit wandelte sich der Schwerpunkt tatsächlich etwas, vor allem da Frauen verstärkt begannen, für feministische Werte einzutreten. Der starke weibliche Zuspruch für konservative Parteien ging zurück. Letztlich trat mit der Grünen dann eine Partei aufs politische Bankett, die soziale Themen mit Umweltschutz zu vereinen scheint und sich erstmals deutlich aus der männlichen Gewerkschaftsecke löst. Der Zuspruch zu den Grünen unter den Wählerinnen fiel anfangs zwar zurückhaltend aus, etablierte sich dann jedoch und hält bis heute an.
Gleichzeitig kommt die These auf, dass Frauen gerne weibliche Spitzenkandidatinnen unterstützen, was wiederum von einigen Parteien bewusst genutzt wird, indem sie Doppelspitzen mit weiblichen und männlichen Kandidaten aufstellen. Aber diese These kann empirisch nicht vollständig bestätigt werden: Frauen kommen nicht automatisch und immer besser bei Frauen an. Da spielen weitere Aspekte eine Rolle, etwa ob die Kandidatin als kompetent wahrgenommen wird und wie sie sich zu konkreten Themen positioniert, die relevant für viele Frauen sind.
Somit scheint – zumindest in der heutigen Zeit - für Frauen ein entscheidender Faktor bei der Wahl die Vertretung von feministischen Interessen zu sein. Dies kann sich sowohl ausdrücken in der Unterstützung von konservativen Parteien, die Familieninteressen stärken, als auch in der Unterstützung der Grünen, die für umweltpolitische Themen eintreten.
Welche Rolle spielen dabei ökonomische Themen und Faktoren?
Meidert und Jungkunz: Es gibt Untersuchungen darüber, warum bestimmte ökonomische Themen bei der Wahlentscheidung für Frauen eine andere Rolle spielen als für Männer. So sehen sich beispielsweise Frauen durch Migranten weniger ökonomisch gefährdet als Männer. Dies liegt vor allem daran, dass Migranten oftmals in die Arbeitssektoren eintreten, die vor allem Männer innehaben, nämlich Handwerksberufe – Stichwort Blue Collar. Da Frauen in diesen Bereichen eher unterrepräsentiert sind, sehen sie sich durch Migranten nicht so stark ökonomisch gefährdet und neigen somit weniger dazu, rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien zu wählen, die dieses Problem augenscheinlich lösen wollen. Der Einfluss von ökonomischen Interessen kann wiederum (wie oben beschrieben) zur Unterstützung konservativer Parteien führen, die Familien unterstützen. Arbeitsschutz, abgesehen etwa von Mutterschutz, scheinen für Frauen eine weniger wichtige Rolle zu spielen, warum sie wiederum eher zurückhaltend in der Unterstützung der SPD und der Linken sind.
Laut repräsentativer Wahlforschung bevorzugen Frauen die CDU und die Grünen, Männer dagegen die FDP, die Linke und neuerdings auch die AfD. Warum ist das so?
Meidert und Jungkunz: Kurz zusammengefasst kann man sagen, dass viele Menschen, egal ob Mann oder Frau, Parteien wählen, die ihre Interessen vertreten. Die CDU steht für viele Familienthemen, was durchaus wichtig ist für viele Frauen. Die Grünen dagegen stehen für soziale Themen ein, ohne dabei einen starken Fokus auf Gewerkschaften zu haben, die immer noch männerdominiert sind – daher ziehen die Grünen auch viele Frauen an.
Es ist nicht so, dass Frauen per se sozialer sind oder sich für soziale Themen interessieren. Vielmehr haben Frauen oft aufgrund anderer sozialer und ökonomischer Lebenssituationen andere Interessen. Es gibt auch Indizien, dass die Erfolge der CDU unter Frauen bei den vergangenen Bundestagswahlen auf einen kleinen Merkel-Effekt zurückzuführen sind. Merkel wird oft zwar als entscheidungsunfreudige, aber kompetente Frau wahrgenommen, womit sie bei vielen Frauen punkten kann.
Warum sind Männer anfälliger für radikales Wählen – gleichermaßen links wie rechts?
Meidert und Jungkunz: Bei Männern wird die Bedrohung ihres Arbeitssektors durch Migranten stärker wahrgenommen, was wiederum zur Unterstützung rechter Parteien führen kann – andererseits organisierten sich Männer schon in der Vergangenheit verstärkt in Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbänden, was wiederum zur Unterstützung linker Parteien führen kann. Es zeigt sich jedoch auch, dass rechte Parteien erfolgreich Frauen für sich gewinnen können, wenn sie beispielsweise feministische Themen mit kultureller Bedrohung verbinden. Wird suggeriert, dass islamische Einwanderer die Gleichstellung der Frau in der westlichen Kultur bedrohen – weil sie fordern könnten, dass Frauen verschleiert sind oder anderweitig ihre Rechte unterdrücken – so lassen sich auch Frauen für die Wahl rechter Parteien finden.
Dies würde dafür sprechen, dass kulturelle Gründe wichtiger sind als ökonomische Gründe, da rechte Parteien – siehe am Beispiel der AfD – ebenso stark Frauenrechte beschränken wollen, wie sie sie angeblich vor Einwanderern zu schützen glauben. Das zeigt sich beispielsweise in ihrer Forderung, das Recht auf Abtreibung abzuschaffen oder der Wiedereinführung der Schuldfrage bei geschiedenen Ehen mit finanziellen Konsequenzen für den oder die „Schuldigen“. Dass der Anteil der Frauen, welche die AfD bei der Bundestagswahl 2017 gewählt haben, mit insgesamt 9,2 Prozentpunkte ganze 7,1 Prozentpunkte unter den Männern lag, zeigt, dass ökonomische Gründe für Frauen doch eine größere Rolle zu spielen scheinen als kulturelle. Selbstverständlich muss das noch weitergehend untersucht werden.
Ein Rückschritt bezüglich Gleichstellung scheint für Frauen jedoch weniger in Frage zu kommen, unabhängig von Migration oder angeblichem Kulturverlust. Vielmehr geht es ihnen wohl um Familien- und Umweltpolitik oder aber doch eine weibliche Bundeskanzlerin.
Titelbild:
| geralt / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| Design: Fritz Gottfried Kirchbach (1888-1942), Druck: Rotophot AG - Friedrich-Ebert-Stiftung: Download-Ausstellung Frauenwahlrecht (Gemeinfrei) | Link
| Sandro Halank / Wikimedia Commons (CC-BY-SA 3.0) | Link
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm