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Clarissa Thelen studierte Communication and Cultural Management an der Friedrichshafener Zeppelin Universität und absolvierte während ihres Bachelorstudiums ein Auslandssemester an der Italienischen Università degli Studi di Cagliari. Praxiserfahrung sammelte Thelen unter anderem als Praktikantin bei markemotion, in der Kulturgold Sichtbar und als freier Mitarbeiterin beim Friedrichshafener Südkurier. Neben ihrem Studium engagierte sich Thelen unter anderem in der Amnesty International Hochschulgruppe und als Coach bei Rock Your Life.
Wie bist du auf das Thema deiner Bachelorarbeit gestoßen?
Clarissa Thelen: Wie bei Bachelorthemen so oft, war auch bei mir die anfängliche Idee für meine Arbeit noch weit entfernt von der eigentlichen, finalen Forschungsfrage. Im Laufe der Suche nach einer präzisen Frage für meine Thesis war es natürlich, Ansätze hinzuzufügen, neu zu strukturieren oder gänzlich zu verwerfen. Anfangs hat mich vor allem das Phänomen der Entgrenzung von Arbeit und Leben interessiert (also das zunehmende Verschwimmen der Grenzen zwischen diesen zwei Bereichen), da ich das Gefühl hatte, dies auch aus meiner eigenen Lebensrealität als ZUler zu kennen: In der see|e zwischen Tür und Angel bringt man sich auf den neuesten Stand von Initiativen, dem studentischen Leben oder gemeinsamen Seminaren und damit verschwimmen die Bereiche des eigenen Privatlebens, und die Distanz zur eigenen „Arbeit“ schwindet. Das eigentliche Thema meiner Arbeit wurde dann aber vor allem in Zusammenarbeit mit meinem Betreuer Dr. Alexander Ruser entwickelt, insbesondere der Genderaspekt geht auf seine Idee zurück.
In welchem Verhältnis stehen Arbeit und Familie und wie hat es sich seit der Industrialisierung entwickelt?
Thelen: Arbeit und Familie waren früher eng miteinander verknüpft, da eine Familie mit einer Arbeitsgemeinschaft gleichzusetzen war – so halfen alle auf dem gemeinsamen Hof oder Betrieb. Dabei hatte jeder seine spezifische Aufgabe, für die er zuständig, welche aber auch eng mit den Aufgaben anderer Familienmitglieder verwoben war. Erst mit Beginn der Industrialisierung bildeten sich die für die Spätmoderne typischen zwei Bereiche heraus: Die private und die öffentliche Sphäre. Der Mann wurde Teil der öffentlichen Sphäre und die Frau wurde auf die private Sphäre verwiesen. Beide Bereiche waren füreinander unerlässlich, denn die Frau war in monetärer Hinsicht von ihrem Partner abhängig und der Mann brauchte eine Hausfrau, die das Eigenheim und die Kinder beaufsichtigte.
Doch da in unserer Gesellschaft Anerkennung in erster Linie mit Geld verbunden ist und war, wurde die Arbeit der Frau – mit den Worten des Soziologen Ulrich Beck – zunehmend zu einer nicht endenden Restarbeit degradiert. Demnach ist Arbeit zunehmend von hoher gesellschaftlicher Relevanz, wohingegen das Kümmern um eine Familie verhältnismäßig als nicht besonders wertvoll betrachtet wird. Auch wenn Familie als Stellenwert immer noch hoch gehalten wird, wird eine nicht arbeitende Frau (denn es sind eben immer noch die Frauen, die sich um Kinder und um das Häusliche im Großen und Ganzen kümmern) gesellschaftlich weniger wertgeschätzt als eine berufstätige Frau. Zusätzlich hat die Relevanz von Arbeit als identitätsstiftendes Moment seit der Industrialisierung zugenommen: Aufgrund von brüchigen und individualisierten Lebensläufen fühlt sich das Subjekt alleine gelassen. Beck nennt es einen Wechsel von Kollektivschicksalen wie der Arbeiterklasse hin zu Einzelschicksalen, wo jeder für seinen Erfolg und Misserfolg selbst verantwortlich ist.
Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf das moderne Individuum?
Thelen: Diese Entwicklungen führen zu einem gesellschaftlich gestiegenen Anspruchsniveau an das einzelne Subjekt beziehungsweise die einzelne Familie, welche sich am besten als Doppelbelastung beschreiben lässt. So soll zum einen ein harmonischer Familienalltag existieren, während zum anderen die jeweiligen Partner noch Vollzeit berufstätig sind. Dieser Anspruch ist in den meisten Fällen nicht realisierbar, sodass vor allem Frauen in Bezug auf ihre Karriere zurückstecken und nach der Familiengründung ihre Wochenarbeitszeit auf eine Halbtagsstelle reduzieren.
Können die Anforderungen der Familie mit den Forderungen des heutigen Arbeitsmarktes nach Mobilität und Flexibilität noch Schritt halten?
Thelen: Naja, was heißt Schritt halten? Anforderungen müssen erfüllt werden, ob sie Schritt halten oder eben auch nicht. Das ist ja das Problem, dass mit Familie und Beruf zwei große Lebensbereiche Anforderungen an das jeweilige Individuum stellen, die diametral entgegengesetzt sind und in früheren Zeiten alleine schon als lebensfüllende Aufgaben wahrgenommen wurden. Aber es lässt sich durchaus feststellen, dass die aktuellen Tendenzen des Arbeitsmarktes bevorzugend für Einzelpersonen ohne allzu starke Verpflichtungen und Bindungen sind und sich damit für Subjekte mit familiärem Anhang als hochgradig problematisch darstellen.
Was bedeutet das für das Leben von Frauen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?
Thelen: Wie bereits weiter oben kurz erwähnt, bedeutet die doppelte Belastung für Frauen in erster Linie, dass es eine ausgeglichene Vereinbarkeit dieser zwei Bereiche eigentlich nicht gibt: Entweder die Frauen legen ihren Fokus auf die Familie und arbeiten weniger oder sie bekommen wesentlich weniger beziehungsweise erst gar keine Kinder. Vor allem Akademikerinnen bleiben meistens kinderlos – durch die unsicheren Arbeitsbedingungen und die verlangte Flexibilisierung – mit Pech häufiger Ortswechsel – ist die Vereinbarkeit noch schwieriger zu handhaben als in anderen Disziplinen.
Ich will mich dabei jedoch nicht nur auf die Frauen beschränken, sondern glaube, dass es selbstverständlich allen Männern ähnlich geht. Auch hier ist eine Vereinbarkeit nicht wirklich machbar. Der einzige Unterschied liegt darin, dass sich Männer aufgrund ihrer gesellschaftlichen Prägung noch häufiger für den klassischen Karriereweg entscheiden – sich doch dies nun auch zunehmend ändert.
In deiner Bachelorarbeit betrachtest du den Zeitraum von 1992 bis 2012: Wo liegen dabei die Schwerpunkte deiner Untersuchung?
Thelen: Meine Bachelorarbeit behandelt anhand des ALLBUS (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften)-Datensatzes eine statistische Auswertung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In dieser habe ich versucht, einen möglichst breiten Zugang zu dem Thema zu behalten und somit mehrere Schwerpunkte zu setzen, welche aber schlussendlich alle in einer Regressionsanalyse zusammenlaufen sollten. So habe ich mich sowohl mit der Akademisierung und den damit einhergehenden Wandlungen beschäftigt, als auch mit Einstellungsfragen zur Karriere und Familie und deren Veränderungen. Im Endeffekt habe ich unter diesen Prämissen versucht zu beantworten, ob 2012 karrierebedingte Einflussfaktoren einen größeren Einfluss auf die Anzahl der Kinder haben als noch 1992.
Wie sieht dein Fazit aus: Ist eine Vereinbarkeit von Arbeit und Familie überhaupt möglich?
Thelen: Ja, ich denke schon, dass dies kein vollkommen utopisches Ziel ist.
Was müsste sich in der Politik wie in der Gesellschaft dahingehend ändern?
Thelen: Um es mal mit sehr klassischen Wortphrasen zu versuchen: Es muss ein Wertewandel in der Gesellschaft vollzogen werden. Das ist natürlich so herrlich leicht daher gesagt, dann hat man Position bezogen und kann danach weiterleben wie bisher. Doch anstatt dies zu sagen und danach nichts zu tun, muss der Einzelne sich seiner Verantwortung bewusst sein und werden und diesen Wandel anstoßen, wenn nicht sogar forcieren. Meiner Erfahrung nach verändern sich Dinge leider nicht einfach so, sondern Prozesse sind immer mit viel Arbeitsaufwand verbunden.
Natürlich gibt es konkrete Maßnahmen, die ergriffen werden können, um eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen, die ja zum Teil auch bereits Teil des Diskurses sind wie Gleitzeit oder eine generelle Verkürzung der Arbeitszeiten. Wie ich jedoch im Fazit meiner Bachelorarbeit feststelle, bin ich persönlich nicht der Meinung, dass diese Maßnahmen ausreichen. Ich glaube, dass ein Arbeitsmarkt – welcher historisch auf einer Teilung der Geschlechter beruht, um das, in diesem Falle, männliche Subjekt vollständig integrieren zu können – eine strukturelle Ungleichbehandlung beinhaltet, welche eng mit unserem Rollenverständnis verknüpft ist. Ich denke, erst wenn unsere stereotype Betrachtung von Geschlecht und dem Verständnis der Frau als Mutter und dem des Mannes als Versorger gebrochen wird, wird der Arbeitsmarkt auf diese Änderungen reagieren.
Es müsste also zu einem generellen Umdenken in der Gesellschaft kommen, wie ein Individuum definiert und kategorisiert wird. Denn erst wenn die Zuschreibung „Geschlecht“ nicht die Basis unserer Identität liefert, kann auch der Arbeitsmarkt darauf eingehen. Ich bin froh, zu sehen, dass die Kategorie „Geschlecht“ mittlerweile Teil eines gesellschaftlichen Diskurses ist und es zumindest mehr Kategorien der Einordnung in dieses Spektrum gibt. Damit befinden wir uns schon – immerhin teilweise – auf dem richtigen Weg.
Was hat dich bei der Bearbeitung der Bachelorarbeit am meisten überrascht?
Thelen: Am meisten hat mich überrascht, dass, auch wenn man sich vorher so viele Sorgen macht und die Arbeit generell einen hohen Stellenwert im Studium einnimmt, man auch diese Herausforderung wie so viele zuvor irgendwie meistert. Die Bachelorarbeit ist natürlich im Nachhinein „nur eine große Hausarbeit“, aber sie ist an so viele andere Gedanken geknüpft – wie sich nach vier Jahren ZU-Studium ernsthaft nach einem neuen Lebensmittelpunkt umschauen zu müssen –, dass es alleine dadurch zu einer Belastung wird. Zudem sind die durchgehende Beschäftigung mit einem Thema und die eigene Strukturierung – nicht nur der Arbeit, sondern auch des Tagesablaufes – durchaus frustrierend und anstrengend. Daher war ich ganz überrascht davon, wie verhältnismäßig normal ich während dieser Phase geblieben bin. Das habe ich zu großen Teilen meiner ganz wunderbaren WG zu verdanken, die meine etwas angespannte Art akzeptiert und hingenommen hat, und meinem Betreuer, der mich regelmäßig in Phasen des absoluten Größenwahnsinns ausgebremst und zurück auf den Boden geholt hat.
Zudem war die statistische Auswertung mit der Regressionsanalyse für mich als CCMlerin eine große Herausforderung – es war das erste Mal in meinem Studium und ich war heillos überfördert mit SPSS. Aber auch das habe ich dank vieler netter Menschen, die mir auch die 3000. dumme Frage beantwortet haben, gemeistert.
Eine ganz persönliche Frage am Ende: Wie willst du in fünf Jahren leben?
Thelen: Ach, die Frage nach dem guten und richtigen Leben – wie philosophisch. Ich glaube, ich bin da ganz der durchschnittliche und langweilige Mensch. Ich würde gerne bewusster leben und auf mich achten, genug Zeit für meine Leidenschaften haben und im Großen und Ganzen zufrieden sein.
Falls die Frage allerdings eigentlich wesentlich pragmatischer gemeint war: In fünf Jahren bin ich hoffentlich mitten in meiner Promotion in der Soziologie und darf vielleicht sogar schon das eine oder andere Seminar halten.
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm