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Dipl.-Pol. Sebastian Jungkunz ist seit Juli 2019 akademischer Mitarbeiter am Zentrum für Politische Kommunikation im Projekt „Bildung und Partizipation“ an der Zeppelin Universität. Seit 2014 ist er zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Soziologie der Universität Bamberg. 2013 schloss er das Studium der Politikwissenschaft an der Universität Bamberg mit dem Diplom ab, nachdem er sich zwischenzeitlich auch an der University of South Carolina in Columbia, USA, aufhielt. 2014 war er als Mitarbeiter im DFG-Projekt „Außen- und sicherheitspolitische Orientierungen in den USA und der Bundesrepublik" am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) beschäftigt. Von April bis Mai 2019 erfolgte ein Forschungsaufenthalt an der Waseda University in Tokyo. Derzeit gibt er Lehrveranstaltungen zu konzeptionellen Gebieten der Politischen Soziologie sowie einführenden und fortgeschrittenen Methoden der quantitativen Datenanalyse auf Bachelor- und Masterniveau. Er forscht zu Themen der quantitativen Methoden der Datenanalyse, Politischer Psychologie, Sozialpsychologie sowie Meinungs- und Einstellungsforschung in den Bereichen Populismus und Extremismus.
Können Sie die Ziele und Methoden des Forschungsprojekts kurz zusammenfassen?
Sebastian Jungkunz: Die grundlegende Idee unseres Projekts basiert auf der Vermutung, dass eine Kultur aktiver Beteiligung in unseren Schulen auch den Grundstein für die Akzeptanz unserer Demokratie sowie eine lebenslange Bereitschaft zur politischen Beteiligung legen kann.
Zunächst möchten wir mit unserem Projekt eine bestehende Forschungslücke zur Partizipation in Schulen schließen. Wir erheben daher Daten zu Ausmaß und Formen der Beteiligung und zum Beteiligungsbedarf, wir untersuchen, wie nationale Bildungssysteme, aber auch Schulleiter und Lehrer die Beteiligung prägen, wie Partizipation in Schulen abläuft und welche Kompetenzen Jugendliche dabei erwerben. Ziel ist es also, zunächst eine Übersicht über Partizipationsformen zu schaffen.
Davon ausgehend möchten wir verstehen, wie sich Partizipationsprozesse auf politische Bildung auswirken. Inwiefern fördern gewisse Strukturen das Erlernen von Demokratie? Dazu führen wir eine Umfrage unter Jugendlichen in der Bodenseeregion durch, welche anschließend durch vertiefte Einzelfallstudien ausgewählter Schulen gestützt werden. Diese Erkenntnisse möchten wir zuletzt in Form von Leitfäden und Good-Practice-Beispielen aufbereiten und für die Lehramtsausbildung verfügbar machen.
Das Forschungsprojekt basiert also auf der Annahme, dass man Demokratie lernen muss. Wie geht das überhaupt?
Jungkunz: Nun, Demokratie ist zunächst ein abstraktes Konzept, welches Bürger im Laufe ihrer Sozialisation erst verstehen lernen müssen. Dies umfasst im Wesentlichen zwei Prozesse: Erstens benötigen Bürger Kenntnisse über politische Prozesse, um entsprechend mitwirken zu können. Um etwa eine Wahlentscheidung treffen zu können, ist es beispielsweise notwendig, dass jemand weiß, wann und wie Wahlen ablaufen, welche Parteien zur Wahl stehen und für welche Positionen sie eintreten. Zweitens ist es aber vermutlich noch wichtiger, demokratische Grunderfahrungen zu erleben und zu erlernen, eigene Interessen zu artikulieren und somit ernst genommen zu werden. Die Herausbildung einer solchen subjektiven positiven politischen Selbstwahrnehmung ist von immenser Bedeutung, denn die so erlebte politische Selbstwirksamkeit stärkt das konkrete Zugehörigkeitsgefühl zur (erfahrenen) Gemeinschaft und das abstrakte Vertrauen in die Legitimation demokratischer Entscheidungsprozesse. Aktuell ist es so, dass der erste Punkt bereits viel Aufmerksamkeit in Forschung und Praxis erfahren hat, der zweite Punkt jedoch noch recht wenig untersucht wurde.
Konkret wollen Sie sich Schulen als Lernorte von Demokratie anschauen. Was erwartet Sie, wie demokratiepraktisch gelernt wird?
Jungkunz: Dies ist genau eine der Fragestellungen unserer Studie. Bislang gibt es dazu noch relativ wenig vergleichende Erkenntnisse. Unser Projekt zielt darauf ab, zu erheben, welche demokratiepraktischen Möglichkeiten es bereits gibt. In einem weiteren Teil der Studie möchten wir dann einige ausgewählte, besonders positive Fallbeispiele genauer untersuchen, um einen Einblick zu erhalten, welche Methoden besonders vielversprechende Ansätze zum demokratiepraktischen Lernen ermöglichen können.
Können Sie skizzieren, was für Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft es gibt, wenn Schüler nicht ausreichend mit Demokratie vertraut gemacht werden? Gefährdet das unsere Staatsform?
Jungkunz: Von einer Gefährdung der Staatsform würde ich nicht per se sprechen. Letztendlich haben solche Konsequenzen immer eine Vielzahl möglicher Ursachen. Beispielsweise führen populistische Einstellungen nicht automatisch zu einer Wahl populistischer Parteien. Nur unter gewissen Umständen – zum Beispiel sozio-politische oder ökonomische Krisenlagen – werden solche Einstellungen aktiviert und schlagen sich in entsprechendem politischem Verhalten nieder.
Umgekehrt kann man aber definitiv argumentieren, dass eine gefestigte positive Haltung zur Demokratie und deren Verinnerlichung im Alltag eine Zuneigung zu populistischen oder extremistischen Strömungen massiv verringern. Ganz allgemein gesprochen erhöht dies natürlich auch die Legitimation der politischen Interessenvertreter. Denn wer Demokratie lebt, der beteiligt sich auch an Wahlen. Allerdings bedeutet gelebte Demokratie nicht, dass der politische Prozess unbedingt einfacher und einheitlicher oder das Meinungsspektrum kleiner wird. Im Gegenteil: Gelebte Demokratie bedeutet Meinungsvielfalt und die Berücksichtigung vieler Interessen, auch wenn diese nicht immer den eigenen entsprechen.
Was macht ausgerechnet den trinationalen Bodenseeraum für das Projekt so interessant? Wäre es nicht spannender, strukturell abgeschlagene Gebiete in Ostdeutschland zu untersuchen, in denen es Demokratie scheinbar schwerer hat, wenn man die aktuellen Umfrageergebnisse vor den anstehenden Landtagswahlen betrachtet?
Jungkunz: Der Bodenseeraum ist deswegen so interessant, da er wirtschaftlich recht homogen ist und wir dadurch sozio-strukturelle Unterschiede in den Regionen einigermaßen konstant halten können. Gleichzeitig ermöglicht es uns, die Studie in drei Ländern zu realisieren, wodurch wir die Effekte der Ausgestaltung unterschiedlicher Bildungssysteme auf die Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten in den einzelnen Schulen genauer untersuchen können.
Damit geht man natürlich einen gewissen Trade-off ein. So ist es auf jeden Fall interessant und absolut sinnvoll, solche Untersuchungen auch in strukturschwachen Gebieten durchzuführen. Allerdings sind Forscher an finanzielle Mittel gebunden – daher ist es uns momentan leider nicht möglich, eine gesamtdeutsche Erhebung durchzuführen. Wir planen jedoch die vorliegende Studie als Pilotprojekt, deren Erkenntnisse wir als Grundlage für weitere, größere Untersuchungen nutzen können.
Welche praktischen Implikationen erhoffen Sie sich von dem Forschungsprojekt?
Jungkunz: Die Studie hat fünf wesentliche Implikationen für die verschiedenen Beteiligten. Erstens entsteht für Forscher ein neuer trinationaler Datensatz zu Ausmaß, Bedingungen und Folgen von Partizipation im Lebensraum Schule. Zweitens können die gewonnen Daten an den beteiligten Hochschulen direkt in die Lehrerausbildung übernommen und damit neue Weiterbildungsangebote geschaffen werden. Drittens sollen mit einem „Partizipations-Kompass“ und Good-Practice-Beispielen die Ergebnisse so aufbereitet werden, dass sie für Lehrer und Schüler relevant im Alltag verwendet werden können. Viertens sollen für Politiker und Institutionen der politischen Bildung mittelfristig partizipative, didaktische Formate entwickelt werden, die sich in Schule und politischer Bildung umsetzen lassen. Zuletzt gewinnen wir einen vertieften Einblick in die Bodenseeregion, wir stärken die Bildungs- und Forschungslandschaft und können die Bodenseeregion zur Modellregion ausbauen.
Titelbild:
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Bild im Text:
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm