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Michael Link ist gebürtiger Heilbronner, Europäer aus Leidenschaft und Mitglied des Bundestages für die FDP. Link studierte in Augsburg, Lausanne und Heidelberg, arbeitete dann zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag und wurde von 2005 bis 2013 selbst in das Parlament gewählt. In den Jahren 2012 bis 2013 war er zudem Staatsminister im Auswärtigen Amt. Von 2014 bis 2017 war Link Direktor der OSZE. Als ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt und Vorsitzender des Bundesfachausschusses Internationale Politik der FDP gilt seine Leidenschaft der Außen- und Europapolitik. Als ehemaliger OSZE-Direktor, der weltweit größten regionalen Institution zum Schutz der Menschenrechte, liegt ihm auch dieses Thema besonders am Herzen.
Michael Link, bis 2017 Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte und später auch Mitglied von Wahlbeobachtermissionen, beginnt mit einer Einschätzung der Chancen zur Demokratisierung in Belarus. Nach den Präsidentschaftswahlen Anfang August waren in dem osteuropäischen Land Hunderttausende auf die Straßen gegangen, um gegen den Machthaber Lukaschenko und das vermeidlich gefälschte Wahlergebnis der Präsidentschaftswahl zu protestieren. Zu unterscheiden sind die Proteste von früheren, da nicht nur politische Parteien und NGOs auf die Straße gehen; heute ziehen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und vor allem Frauen durch belarussische Straßen.
„An sich sehe ich hier natürlich eine Chance zur Demokratisierung, jedoch muss man auch sehen, wie die staatliche Gewalt und die Rolle Russlands die Situation beeinflussen“, erläutert Link. Das Land sei fest in den Händen der russischen Medien- und Sicherheitsstrukturen, ohne internationale Vermittlung werde es wohl weiter Unterdrückung und Massenverhaftungen geben. Hier sieht Link die EU und internationale Organisationen in der Verantwortung: „Im Kalten Krieg waren wir sprachlos, doch heute haben wir Vermittlungsinstrumente wie die OSZE, die UN, den Europarat und die europäische Menschenrechtskonvention.“ Das Problem sei jedoch, dass diese von der russischen und belarussischen Regierung bewusst ignoriert und blockiert werden. Link befürwortet das Vorgehen einiger europäischer Staaten, mit der Demokratiebewegung ins Gespräch zu kommen, wie das Treffen der Bundesregierung mit Swetlana Tichanowskaja. Im Kern gehe es darum, eine Druckkulisse statt einer Drohkulisse zu erzeugen.
Der Umgang mit dem EU-Nachbarn Russland führt immer wieder zu Konflikten zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Eigentlich will man eng zusammenarbeiten, russisches Vorgehen wie in Belarus, im Fall Nawalny, beim „Tiergartenmord“ oder bei der Einmischung in europäische Wahlen stellt dies jedoch auf eine harte Probe.
„Die Essenz von Europapolitik ist für mich eine gemeinsam definierte Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber schwierigen Partnern wie Russland, China, Türkei und den USA“, bemerkt Link. Ihm zufolge begehe die Bundesregierung einen großen Fehler, wenn Projekte wie Nord Stream 2 nicht mit den europäischen Partnern abgesprochen werde – unter anderem die skandinavischen Länder kritisieren die deutsch-russische Kooperation vehement. Es führe zu einem extremen Vertrauensverlust, wenn über die Köpfe der anderen Mitgliedsstaaten hinweg entschieden werde. Gleichzeitig dürfe sich die EU nicht machtlos zeigen. Im Zypernkonflikt müsse man sich eindeutig mit den Mitgliedsstaaten positionieren und Erdogan mit der Verweigerung eines Zugangs zum Binnenmarkt oder eines vertieften Freihandelsabkommens unter Druck setzen. Auch müsse russisches Verhalten bei Menschenrechtsverletzungen Konsequenzen haben. Zusätzlich bedarf es vertrauensbildender Maßnahmen: „Das Problem derzeit ist aber, dass wir versuchen, im Kreml anzurufen, aber keiner nimmt ab.“
Nicht nur gegenüber Russland scheitert eine gemeinsame europäische Außenpolitik an den Interessen einzelner Mitgliedsstaaten. Ein anderes Beispiel ist der Libyen-Konflikt, in dem Italien und Frankreich unterschiedliche Kriegsparteien unterstützen, um Einfluss auf den dortigen Öl- und Gasmarkt zu nehmen. Um eine handlungsfähige EU zu etablieren, fordert Michael Link die Abschaffung der Einstimmigkeitsregel im Rat der Europäischen Union. Ursprünglich sollte so verhindert werden, dass kleine Staaten von den großen überstimmt werden, heute werde die Regel vor allem dazu genutzt, eigene politische Interessen durchzusetzen.
Ein aktuelles Beispiel ist der Widerstand Zyperns gegen Sanktionen in Belarus, weil die EU wegen der Situation im östlichen Mittelmeer nicht gleichzeitig Maßnahmen gegen die Türkei ergreift. Wenn die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik die Rolle einnehmen will, die sie in der Handelspolitik heute schon spielt, müsse man „von einigen heiligen Kühen Abstand nehmen“. Darunter versteht Link unter anderem die Zurücknahme einzelner Staaten zugunsten des europäischen Auswärtigen Dienstes und die Tatsache, dass Frankreich sich mehr als europäischer Staat und weniger als permanentes Mitglied im Sicherheitsrat begreift. Ebenfalls wünscht er sich, sollte es zu einer Reform des UN-Organs kommen und Deutschland ein ständiges Mitglied werden, dass dieser Sitz treuhänderisch an die EU abgegeben wird. „Sollten wir es verpassen, international handlungsfähig zu werden, wird die Europäische Union nicht unter denjenigen Akteuren sein, die die Normen für das 21. Jahrhundert definieren“, mahnt Link.
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Bild im Text:
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