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Ausrüstung statt Aufrüstung
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GlobalTalk mit Agnieszka Brugger

Ausrüstung statt Aufrüstung

von Fabio Sommer | freier Autor
12.05.2022
Am Ende des Tages brauchen wir eine gut ausgestattete Bundeswehr und nicht drei neue Untersuchungsausschüsse.

Agnieszka Brugger
Mitglied des Bundestages, Bündnis 90/Die Grünen
 
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    Zur Person
    Agnieszka Brugger

    Agnieszka Brugger wurde 1985 in Legnica (Polen, Niederschlesien) geboren.1989, kurz vor dem Mauerfall, kam ihre Familie nach Deutschland. Aufgewachsen ist sie in Dortmund, wo sie im Mai 2004 ihr Abitur am katholischen Mallinckrodt-Gymnasium abgelegt hat. Ab 2004 hat sie an der Universität Tübingen im Magisterstudiengang Politikwissenschaft, Philosophie und öffentliches Recht studiert, seit 2021 ist sie dort im Bachelorstudiengang Politikwissenschaften mit Nebenfach Öffentliches Recht eingeschrieben. Seit dem 27. September 2009 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages.

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Den Abend eröffnete Agnieszka Brugger mit einer Rede über den Ukrainekrieg – für sie mittlerweile Routine, denn abends tue sie aktuell nichts anderes, als über dieses Thema zu reden. Aufhänger ihres Vortrages ist das Massaker im Kiewer Vorort Butscha, dessen grausame Ausmaße vor gut einem Monat ans Licht kamen. „Das ist der Krieg, wie ihn Putin aktuell führt: eiskalt, brutal und entmenschlichend“, sagt Brugger dazu. Dass Putin seinen russischen Soldaten nach ihrem Rückzug aus Butscha auch noch Auszeichnungen verlieh, bestätigte Brugger nur noch weiter in ihrem Bild des russischen Machthabers: „Ich habe mir nie eine Illusion darüber gemacht, was Wladimir Putin für ein Mensch und für ein Machthaber ist.“


In der Vergangenheit sei sie für ihr Bild von Putin, wie wir ihn heute erleben, sogar oft als Hardlinerin bezeichnet worden. Das liege auch daran, dass damals viele Experten ein illusionäres Bild von Putin hatten und die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollten oder konnten: der Kaukasuskrieg 2008, der Umgang mit Oppositionellen und Homosexuellen im eigenen Land, die Annexion der Krim 2014, die Vergiftung Alexej Nawalnys, der Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag und russische Einmischungen in Wahlen anderer Staaten sind einige der vielen Beispiele, die Brugger nennt. Der Westen hat sich also auch einige Fehler in seiner Russlandpolitik einzugestehen. „Die internationale Gemeinschaft hat darauf oft nicht konsequent genug reagiert, hat weggeschaut“, stellt Brugger fest.

Umso konsequenter erscheinen dieser Tage die Reaktionen der NATO-Mitgliedstaaten auf den russischen Angriffskrieg – auch diejenigen Deutschlands. Das Beschließen des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hält Brugger in diesem Zusammenhang für keinen Fehler. Schließlich sei vorher alles dafür getan worden, diesen Krieg auf diplomatischem Wege abzuwenden und zu verhindern. „Aber Wladimir Putin hat allen eiskalt ins Gesicht gelogen. Er hat diesen brutalen Krieg schon lange vorbereitet“, weshalb jegliche Versuche der Diplomatie letztlich ins Leere gelaufen sind. Daher sei es nun umso wichtiger gewesen, in der aktuellen Kriegssituation keine falsche Zurückhaltung zu zeigen und Waffenlieferungen in die Ukraine zu beschließen. Denn das Einzige, was in den vergangenen Wochen die russische Gewalt stoppen und Rückeroberungen ermöglichen konnte, „war der entschiedene und mutige Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer mit militärischen Mitteln“.


Umgekehrt wäre bei einer Entscheidung, die Ukraine nicht zu unterstützen, die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Putin den Krieg militärisch gewinnen würde. Dieses Szenario mag für einige Beobachter sogar erstrebenswert klingen, denn so wäre der Krieg immerhin vorbei. Doch Brugger hält das Narrativ, den Krieg – unabhängig vom Sieger – möglichst schnell zu beenden, um in erster Linie das Blutvergießen zu stoppen, für reine Illusion. Denn ein Ende des Krieges bedeute kein gleichzeitiges Ende der Gewalt. Putin würde in der Ukraine einen „Diktatfrieden“ installieren, der keineswegs zu einem gewaltlosen Zustand führe, so wie man es in besetzten Gebieten wie Butscha bereits sehen konnte.

„Die Entscheidung, Waffen zu liefern – und auch gerade schwere Waffen zu liefern – hat sich niemand von uns in irgendeiner Form einfach gemacht“, sagt Brugger in ihrer Eröffnungsrede. Trotzdem sei es die richtige Entscheidung gewesen, denn in dieser Situation dürfe und könne es keine falsche Zurückhaltung geben. Und die gibt es tatsächlich nicht: Innerhalb der ersten zwei Kriegsmonate lieferte Deutschland Militärhilfen im Wert von 1,34 Milliarden Euro an die Ukraine und ist damit aktuell der drittgrößte Unterstützer im Krieg gegen Russland – hinter den USA (4,00 Milliarden) und Polen (1,47 Milliarden).
„Die Entscheidung, Waffen zu liefern – und auch gerade schwere Waffen zu liefern – hat sich niemand von uns in irgendeiner Form einfach gemacht“, sagt Brugger in ihrer Eröffnungsrede. Trotzdem sei es die richtige Entscheidung gewesen, denn in dieser Situation dürfe und könne es keine falsche Zurückhaltung geben. Und die gibt es tatsächlich nicht: Innerhalb der ersten zwei Kriegsmonate lieferte Deutschland Militärhilfen im Wert von 1,34 Milliarden Euro an die Ukraine und ist damit aktuell der drittgrößte Unterstützer im Krieg gegen Russland – hinter den USA (4,00 Milliarden) und Polen (1,47 Milliarden).

Auch wenn Agnieszka Brugger die Unterstützung der Ukraine mit militärischem Gerät für richtig hält, so betont sie dabei immer wieder, dass Militär nicht das alleinige Mittel zur Konfliktlösung sei. Daher plädiert sie für einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der über das rein militärische hinausgeht. Darunter fällt zum Beispiel auch die Energiepolitik: „Es geht darum, bei Energieimporten nicht abhängig und verwundbar von jemandem wie Wladimir Putin zu sein und so sein Regime weiter zu finanzieren.“ Dazu zähle aber genauso der Haushalt und Ergänzungshaushalt, „denn wenn Sicherheit mehr ist als nur Militär – nämlich auch Entwicklungszusammenarbeit, menschliche Sicherheit, eine handlungsfähige Diplomatie und Cybersicherheit –, dann müssen wir auch hier nachlegen“.


Konkret nachgelegt wird mit dem Sondervermögen nun aber erstmal bei der Bundeswehr, denn ihre Erneuerung wurde über die vergangenen Jahre hinweg stark vernachlässigt. „Je länger man alte Systeme im Betrieb hält, desto teurer wird Jahr für Jahr der Unterhalt“, erklärt Brugger. So könne man beispielsweise die alten Tornado-Jets zwar noch weiterhin betreiben, doch über fünf Jahre hinweg koste ihre Instandhaltung in etwa so viel wie die Neuanschaffung neuer Kampfjets.


Das Herauszögern entsprechender Entscheidungen für Neuanschaffungen sei allerdings nur eines von drei Kernproblemen, die Brugger bei der Bundeswehr ausmacht. Ein weiteres sei, „dass in den vergangenen Jahren viel zu oft teure und riskante Prestigeprojekte verfolgt wurden, die nicht unbedingt die sicherheitspolitischen Realitäten abgebildet haben“. Oft spielten dabei auch Wahlkreis- und Lobbywünsche aus der Industrie eine Rolle – genauso wie die Teilstreitkräfte selbst, „die sich alle möglichen Zusatzfunktionen für ein System überlegt haben“. Das dritte Problem sei, dass der Materialerhalt – also Ersatzteilbeschaffung und Wartung – über Jahre hinweg systematisch unterfinanziert wurde, was auch die schlechte Einsatzbereitschaft der bestehenden Systeme erkläre. Brugger schlägt zur Behebung dieser Probleme vor, „auf marktverfügbare Systeme zu setzen und vor allem gemeinsam mit den europäischen Partnern die gleichen Systeme zu kaufen“.

„Die Rüstungsprojekte der Bundeswehr haben kein Preisschild“, sagt Brugger im moderierten Interview, denn sie seien immer Gegenstand von Verhandlungen. Was die Bundeswehr also konkret mit dem Sondervermögen beschaffen kann, sei in dieser Form nicht klar zu sagen. Innerhalb der vergangenen Wochen kamen allerdings die Preise einzelner Projekte bereits ans Licht: So soll die Neuanschaffung von 35 Exemplaren des amerikanischen F-35 Kampfjets rund vier Milliarden Euro kosten. Die Beschaffungskosten von 60 Chinook-Transporthelikoptern der Marke Boeing liegen wohl bei fünf Milliarden Euro. „Und jede Tarifsteigerung innerhalb der Bundeswehr koste bereits zwei Milliarden Euro“, so Brugger.
„Die Rüstungsprojekte der Bundeswehr haben kein Preisschild“, sagt Brugger im moderierten Interview, denn sie seien immer Gegenstand von Verhandlungen. Was die Bundeswehr also konkret mit dem Sondervermögen beschaffen kann, sei in dieser Form nicht klar zu sagen. Innerhalb der vergangenen Wochen kamen allerdings die Preise einzelner Projekte bereits ans Licht: So soll die Neuanschaffung von 35 Exemplaren des amerikanischen F-35 Kampfjets rund vier Milliarden Euro kosten. Die Beschaffungskosten von 60 Chinook-Transporthelikoptern der Marke Boeing liegen wohl bei fünf Milliarden Euro. „Und jede Tarifsteigerung innerhalb der Bundeswehr koste bereits zwei Milliarden Euro“, so Brugger.

Auch wenn die Preisschilder der Bundeswehrprojekte also nicht immer klar aushängen, so ist die Summe auf der späteren Gesamtrechnung allerdings schon jetzt bekannt: 100 Milliarden Euro werden es sein. Eine Summe, die nur für das Militär ausgegeben wird und damit womöglich auch falsche Signale senden könnte – Brugger stellt daher klar: „Es geht nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung. Denn am Ende des Tages brauchen wir eine gut ausgestattete Bundeswehr und nicht drei neue Untersuchungsausschüsse.“ Im Zusammenspiel mit dem Ukraine-Krieg sorge das Sondervermögen natürlich dafür, dass das Militärische aktuell wieder stärker in den Vordergrund rückt. Doch Konflikte und geteilte globale Herausforderungen seien trotzdem nur über die gemeinsame Zusammenarbeit zu lösen – und zwar „nicht über das Recht des Stärkeren, sondern über die Stärke des Rechts“, wie Brugger es formuliert. Oder in anderen Worten und um damit die Ausgangsfrage des GlobalTalk konkret zu beantworten: „Am Ende des Tages ersetzt das Militär trotzdem nicht die Diplomatie.“

Titelbild: 

| Tina Hartung / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Fabio Sommer / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten) 

| Stefan Kaminski (alle Rechte vorbehalten) | Link

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