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Sascia Bailer studierte an der Zeppelin Universität Kommunikations- und Kulturmanagement (CCM). Ihre Bachelor-Arbeit wurde im Springterm 2012 mit dem Best BA-Thesis Award ausgezeichnet. Soeben hat sie ein Praktikum im Haus der Kulturen der Welt absolviert und ist derzeit Stipendiatin für Kulturmanagement bei der Kunststiftung Baden Württemberg. In ihrer Freizeit ist sie selbst gerne künstlerisch tätig.
Die Honigpumpe bestand 1977 während der hundert Tage der documenta 6 und ist eine komplexe Installation, die aus zwei Teilen besteht: einerseits aus einem sehr umfangreichen Kreislaufsystem und andererseits aus einer diskursiven Komponente, bei der die Besucher an verschiedenen Workshops teilnehmen konnten. Ohne auf die vielen Einzelheiten des Kreislaufes einzugehen, lässt sich sagen, dass verschiedene natürliche Materialien, wie zum Beispiel Honig und Margarine durch Motoren in ein Schlauchumlaufsystem gebracht wurden und durch Rotation in verschiedene Wärmezustände gebracht wurden und mehrere Räume der Ausstellungshalle durchliefen. Die Materialien, die Beuys verwandte, sind auf verschiedenen Ebenen relevant. Beuys sagte, die Leute könnten die Materialien auch symbolisch verstehen. Die Menschen sollten jedoch eher die Entstehungsgeschichte der Materialien mitdenken. Den Honig also nicht nur als klebrig-süßes Alltagsprodukt“ verstehen, sondern als Produkt eines kollektiven Arbeitsprozesses. Diese Erkenntnisse könne der Besucher durch reines Beobachten erfahren – hier wurde eine ganz andere Form von Interaktion zwischen Werk und Betrachter gefordert.
(Text: Sascia Bailer)
Der Begriff des sozialen Raums ist schon durch den Titel zentral in Ihrer Arbeit. Aber was hat er, wenn man vom Museum absieht, mit Kunst zu tun?
Sascia Bailer: Der soziale Raum in Anlehnung an die Kunsttheoretikerin Nina Möntmann ist als ein Gefüge von zwischenmenschlichen Beziehungen und Interaktionen zu verstehen, der durch partizipative Kunst geschaffen werden kann. Demnach ist Kunst nicht mehr physisch greifbar. Es geht nicht mehr um die Herstellung von Objekten „für die Wand“ mit denen dann architektonische Räume wie Galerien oder Museen gefüllt werden können. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entstand eine Kunst, die soziale Beziehungen, Kontexte und Situationen entwarf. Diese fanden häufig außerhalb der architektonischen Grenzen eines Kunstbetriebs statt und wollten gezielt auf gesellschaftliche Prozesse Einfluss nehmen. Das ist jedenfalls das Ideal vieler künstlerischer Strömungen.
Welche Künstler waren dabei wichtig?
Bailer: Eine maßgebliche Rolle spielte Joseph Beuys, dessen Werk „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ von 1977 ich im Rahmen der Arbeit analysiert habe. Hier setzt er den Betrachter in den Mittelpunkt seines Werkes, indem er sagt, dass er ohne den Menschen diese „soziale Skulptur“ gar nicht hätte errichten wollen. Das fand ich spannend. Bei ihm geht es nicht darum, dass ein Betrachter in einen Raum kommt, etwas anschaut und wieder geht. Seiner Meinung nach ist der Betrachter Teil des Werks und kann somit das gesellschaftsverändernde Potenzial der Kunst mit nach außen tragen.
Beuys sagte ja auch: Jeder Mensch ist ein Künstler. Was meint er damit genau?
Bailer: Wenn Beuys sagt, dass jeder ein Künstler ist, meint er damit nicht, dass jeder in der Lage ist, ein besonders schönes Bild zu malen – das ist ein sehr häufiges Missverständnis. Sondern er meint, dass jeder in der Lage ist, in seinem Alltag schöpferisch und kreativ tätig zu sein. Dieser Gedanke ist grundlegend für seinen „Erweiterten Kunstbegriff“, der für viele nachfolgende Künstler eine große Rolle spielt.
Rirkrit Tiravanijas „Untitled (tomorrow is another day)“ ist das zweite Werk, das Sie in Ihrer Arbeit untersucht haben. Was macht dieses Werk aus?
Bailer: „Untitled (tomorrow is another day)“ hat im Kölnischen Kunstverein stattgefunden. Der thailändische Künstler Tiravanija ließ dazu sein New Yorker Apartment mit Sperrholzplatten nachbauen. Von außen sah das Ganze aus wie eine Holzkiste. Das 50 Quadratmeter große Apartment stand im Ausstellungsraum des Kunstvereins und war voll funktionsfähig. Kühlschrank, Herd, Toilette, Badewanne, Fernseher, Musikanlage – alles konnte genutzt werden. Die Ausstellung war durchgehend geöffnet, seine Wohnung stand allen offen. 24 Stunden am Tag konnten Menschen hinein gehen und kochen, baden, essen, Musik hören – leben.
Was wäre Tiravanijas Kunst ohne das Verständnis des sozialen Raums?
Bailer: Streng genommen bliebe nichts von dem Werk übrig. Seine Kunst besteht im Grunde nur aus dem sozialen Raum, also aus den zwischenmenschlichen Beziehungen, die sie schafft. Für Tiravanija habe ich mich entschieden, weil sein Werk die Idee des sozialen Raums und den Schwerpunkt auf den Menschen sehr klar macht: Bei ihm gibt es nichts Physisches mehr, also kein Objekt, das die Leute anschauen. Es geht ihm nur um die sozialen Interaktionen und Relationen zwischen Menschen – sie sind das Kunstwerk.
Versteht sich Tiravanija überhaupt als Künstler?
Bailer: Ja, er tritt auch immer in Galerien und Museen auf, also in künstlerischen Kontexten. Bekannt wurde er vor allem durch seine Kochaktionen. Er bereitet häufig thailändisches Essen für die Galeriebesucher zu und lässt dadurch Gespräche und Begegnungen zwischen den Besuchern entstehen.
Man könnte annehmen, dass sich Tiravanija und Beuys künstlerisch sehr ähnlich sind. Doch Sie bezeichnen sie als Antagonisten. Inwiefern?
Bailer: Beuys hat schon fast einen selbstüberschätzenden künstlerischen Ansatz. Er ist davon überzeugt, dass Kunst die einzige Kraft ist, die die Gesellschaft verändern kann. Er macht dementsprechend groß angelegte Aktionen und scheut vor nichts zurück: gründet Parteien und Schulen, macht öffentliche Aktionen und so weiter. So will er als Künstler aktiv in die Gesellschaft einwirken. Meiner Meinung nach ist sein „Erweiterter Kunstbegriff“ aber so weit gefasst, dass er an Brennschärfe zu verlieren droht. Bei Tiravinija ist es gegenteilig. Er zieht sich völlig zurück, hat diesen kleinen Kunstraum in Köln, baut sein kleines Apartment nach, wo Leute gemeinsam kochen können. Er spricht weder davon, dass er die Gesellschaft verändern möchte, noch ist dies ablesbar. Diese Positionslosigkeit war letztlich meine Kritik. Denn er erstellt zwar soziale Beziehungen, artikuliert aber nicht, in welche Richtung sie reichen sollen – und verspielt somit möglicherweise sein gesellschaftspolitisches Potenzial.
Was kann denn partizipative Kunst leisten, was andere Formen nicht können? Sie wird ja auch in organisatorische Prozesse einbezogen…
Bailer: Es werden neue Möglichkeitsräume geschaffen. Dank des Sonderstatus‘ der Kunst kann man in ihrem Namen häufig freier mit gesellschaftlichen Problemstellungen umgehen. Ich behaupte, dass damit auch alternative Denk – und Handlungsformen ermöglicht werden, die vielleicht bei einem rein bürokratischen top-down Planungsprozess nicht möglich wären.
Sie haben sich stark mit partizipativer Kunst und der Frage beschäftigt, ob sie die Gesellschaft verändern kann. Was ist Ihr momentaner Stand – kann sie?
Bailer: Dazu habe ich keine eindeutige Antwort gefunden und wahrscheinlich gibt es sie auch einfach nicht. Es wäre auf jeden Fall wünschenswert – leider scheint es aber häufig bei dieser utopischen Wunschvorstellung zu bleiben. Daher auch das Wortspiel zwischen sozialem Raum und sozialer Traum im Titel meiner Arbeit. Durch Kunst gesellschaftliche Transformationsprozesse auszulösen, ist natürlich erstrebenswert, aber nicht per se mess- oder steuerbar. Nichtsdestotrotz finde ich die Frage immer noch spannend, die Auseinandersetzung mit ihr hat mir viel gebracht und dauert an. Es würde mich auch reizen, in der Zukunft selbst ein Projekt zu starten, das sich vornimmt, einen gesellschaftlichen Teilaspekt durch Kunst verändern zu wollen, um quasi „empirisch“ an der Thematik weiter zu forschen. Auch dieses Unterfangen mag aber eher utopisch sein.
Bilder: no more lookism/ photocase.com; access.denied/ photocase.com; Julian Stallabrass/ flickr.com