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Professor Dr. Udo Göttlich ist seit Oktober 2011 nach verschiedenen Gastprofessuren in Klagenfurt, Hildesheim oder München Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Medien- & Kommunikationswissenschaft der Zeppelin Universität. Seine Schwerpunkte liegen im Verhältnis und Zusammenhang von Medien- und Gesellschaftswandel.
„Der nächste Bundesbabo“ steht auf einer kleinen Einblendung unter dem Namen von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in der ProSieben-Sendung Zirkus Halligalli Statt um politische Inhalte geht es um Alkoholkonsum, pappige Brötchen und die neue Spielekonsole PlayStation 4. Knapp zwei Wochen zuvor sorgte FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle in der ZDF-Sendung „Wie geht’s Deutschland?“, die Politik mit typischen Game-Show Spielen verbindet, für schallendes Gelächter. Er beschrieb beim dortigen Tabu-Spiel dem Publikum die Energiewende als „viel versprochen und nichts gehalten“, worauf das Publikum vielstimmig mit „FDP!“ antwortete . Und mit fast 9.000 Anhängern beim Kurznachrichtendienst Twitter ist die „Schlandkette“, eine Hommage an Angela Merkels schwarz-rot-goldenen Schmuck beim TV-Duell, mittlerweile erfolgreicher als mancher Politiker. Wer den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013 verfolgt, könnte zum Schluss kommen, der Unterhaltungswert zähle mehr als die Inhalte.
Und genau das ist tatsächlich der Fall, bestätigt Kommunikationswissenschaftler Göttlich: „Ich glaube nicht, dass solche Konzepte zur Vermittlung von Inhalten taugen“, sagt er. Vielmehr gehe es in diesen Formaten darum, die Kandidaten alltagstauglich erscheinen zu lassen. „Human touch“ und persönliche Eindrücke der Kandidatenstünden im Zentrum vieler dieser Sendungen. „Dann zeigt auch mal der Familienvater, dass er zu Gesellschaftsspielen aufgelegt ist“, erklärt Göttlich. Eine Auswirkungen auf den Wähler hält er dagegen für unwahrscheinlich: „Unmittelbare Konsequenzen für die Wahlentscheidung würde ich nicht vermuten.“
Die Fernsehformate der letzten Jahre haben sich festgefahren: Jeden Tag läuft eine andere Talkshow, in dutzenden Regionalsendern geben sich lokale Politiker die Klinke in die Hand. Unterhaltende Formate, die der Wahlkampf 2013 für sich entdeckt hat, wollen aus den bisherigen Kategorien ausbrechen. Ein Grund für die steigende Unterhaltungs-Tendenz seit Beginn des Wahlkampfes könnten die immer vergleichbareren Parteiprogramme sein, vermutet Göttlich. „Wir werden noch einige Überraschungen in den nächsten Jahren erleben“, fügt er hinzu und denkt dabei an Stefan Raabs Sendung „Absolute Mehrheit“ und dessen resoluten Auftritt beim TV-Duell. „Er war erstaunlicherweise einer der stärksten Moderatoren auch wenn er nicht unbedingt mit guten Fragen geglänzt hat. Aber aus seiner Position heraus hat er keine Berührungsängste ausgestrahlt“ - und präsentierte damit einen ganz anderen Vermittlungsansatz von Politik.
Nicht nur Entertainment-Formate lassen sich für ihren Mangel an Inhalten kritisieren, auch das klassische TV-Duell gilt es für Göttlich zu hinterfragen: „Die Kanzlerduelle laufen immer sehr staatstragend ab und bieten wenig Raum für kritischen Diskurs.“ Bei beiden Formate hält Göttlich den Einfluss auf die Wahlentscheidung daher für „marginal“. Trotzdem wird bei den Sendungen auf jedes noch so kleine Detail geachtet. Für großes Aufsehen sorgte beim TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück die Halskette der Bundeskanzlerin in Deutschlandfarben. „Mir ist das überhaupt nicht aufgefallen“, gesteht Göttlich, der die Kette erst im Nachhinein entdeckte. „Das war die größte Nebensache der Welt, aus der jetzt ein Symbol gemacht wird“, beschreibt er die auf Social-Media-Seiten gefeierte „Schlandkette“. Mit der Wahl der Krawatte habe es den Focus auf das passende Accessoire bei Männern ohnehin schon lange gegeben. Und genau so sei auch Merkels Kette von langer Hand geplant gewesen: „Sicher ist das alles Teil einer Inszenierung. Im Wahlkampf geschieht nichts zufällig“, sagt Göttlich.
Wenn aber alles von langer Hand geplant ist und es ohnehin keinen inhaltlichen Diskurs gibt, für wen ist das Kanzlerduell dann gemacht? Die breite Zielgruppe - gerade des TV-Duells - dürfe auf keinen Fall vernachlässigt werden, erklärt Göttlich: „Man schaut das, weil man nichts anderes im Fernsehen findet. Und dementsprechend ist das gut für die Einschaltquote und steht dazu auch den jeweiligen Sendern gut zu Gesicht.“ Während die Chefredakteure und Intendanten über langweilige Passagen hinwegschauen, sind diese für Göttlich ein ganz offensichtliches Übersetzungsproblem: „Dieses Format ist aus dem amerikanischen Fernsehen auf eine völlig andere Parteienlandschaft übertragen worden. Und daran krankt das Konzept bis heute.“ Für amerikanische Präsidentschaftskandidaten sei eine solche Sendung ideal, wenn es darum ginge Spenden zu sammeln und sich über Zeitzonen hinweg zu präsentieren. „In Deutschland können wir seit dem ersten Duell feststellen können, dass Bildsprache und Format auf unser Kanzlermodell kaum übertragbar sind.“
Aus diesem Grund zweifelt Göttlich, ob der Fernseh-Wahlkampf einen echten Mehrwert bieten kann: „Aus Sicht der Sender ist das Ziel klar: solch inszenierte TV-Duelle verheißen eine hohe Einschaltquote. Und die Kandidaten möchten sich dem Publikum präsentieren und so öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.Die Sendungen sollen für Präsenz der Kandidaten beim Publikum sorgen, sie Tatsächlich können die Sendung aber kaum die inhaltlichen Differenzen der jeweiligen Positionen Unterschiede zwischen den Politikern klar machen und sie sollen den besten Publikumsschnitt für den Sender liefern. Im Grunde ist das nicht mehr als Kaffeesatz-Lesen.“
Welche Sendekonzepte bei 40 Prozent potenziellen Nichtwählern im laufenden TV-Wahlkampf die größte Wirkung erzielen, das kann auch Göttlich nur schwer sagen. Viel relevanter als das eigentliche Duell seien daher die Debatten unter Journalisten, in denen heiß über die Abstände von Steinbrück und Merkel diskutiert wird. „Wir sind ja schon daran gewohnt, Monat für Monat das Polit-Barometer zu betrachten – unabhängig davon, ob Wahlen sind oder nicht“, beschreibt Göttlich das Interesse an der medialen Auswertung der Wahlkampf-Shows. „Es geht auch hier nicht um die Differenzierung von Inhalten und den politischen Diskurs. Ganz ähnlich wie bei den Krawatten ist das eher ‚Stimmungsdemokratie’ im Sinne eines Barometers.“
Aber auch wer den Fernseher ausschaltet, kommt am Wahlkampf nicht vorbei. Auf der Titelseite des Magazins der Süddeutschen Zeitung prangte kurz vor der Bundestagswahl ein Mittelfinger; nicht irgendeiner, sondern der von Peer Steinbrück. Eine spontane Geste sei das gewesen, verteidigte sich der Kanzlerkandidat nach Veröffentlichung der Bilder. „Es gibt im Wahlkampf keine spontanen Gesten“, erwidert Göttlich. Gerade die Foto-Reihe der Süddeutschen sei mittlerweile eine Institution, auf die man sich intensiv vorbereiten würde. Trotzdem: „Steinbrücks Geste ist mit Blick auf die bisher harmonische, deutsche Politiklandschaft ein Bruch“, stellt Göttlich fest. Die Kanzlerwahl würde durch einen Mittelfinger ohnehin nicht entschieden. Aber ein bisschen Stimmung schadet eben nie.
Titelbild: Armin Linnartz (CC BY-SA 3.0 DE)
Text: Screenshot (ZDF Mediathek) | National Park Service (Public Domain) | Süddeutsche Magazin (sueddeutsche.de)