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Joachim Behnke ist Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Politikwissenschaften. Er hat Theaterwissenschaft, Philosophie, Kommunikationswissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert. Sein Forschungsschwerpunkte liegen auf Wahlsystem und Wählerverhalten. Außerhalb der Universität engagiert sich Behnke als Sprecher verschiedener Arbeitskreise in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und ist als Stiftungsberater tätig.
In den Umfragen erfreut sich die CDU/CSU derzeit guter Werte um die 40 Prozent. Sollten sich diese Werte in der Wahl selbst realisieren und außerdem die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, könnte die aktuelle Koalitionsregierung auch die neue Regierung stellen. In den Umfragen liegt das schwarz-gelbe Lager ungefähr zehn Prozentpunkte vor dem rot-grünen. Dies ist insofern bemerkenswert, als sich vor noch nicht allzu langer Zeit kaum einer auch nur entfernt ein solches Ergebnis hätte vorstellen können. Vor einem Jahr lagen die beiden Lager ungefähr gleichauf, vor zwei Jahren gab es sogar einen deutlichen Vorsprung des rot-grünen Lagers.
Nun sind Aufholjagden gegenwärtiger Regierungen vor der anstehenden Wahl beziehungsweise ein Popularitätsschwund derselben in der Mitte der Legislaturperiode nichts Ungewöhnliches, ganz im Gegenteil stellen sie sogar eher den Regelfall dar. Überraschend in diesem Fall sind jedoch das Ausmaß, sowie die besonderen Umstände. Keine Regierung zuvor hat so oft den Begriff des "Neustarts" gebraucht und bei keiner zuvor war es wohl auch so notwendig, diesen Neustart tatsächlich zu unternehmen. In keiner Regierung zuvor haben Regierungsparteien gegenüber den eigenen Partnern eine derart negative, mitunter geradezu verächtliche Haltung an den Tag gelegt, man denke nur an die "Gurkentruppe" und die "Wildsäue". Warum also dennoch diese derzeitige Popularität der Regierung und vor allem der CDU?
Die jetzige Regierung befindet sich in der glücklichen Lage, dass "es dem Land gut geht" und die äußeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so gut sind wie schon lange zuvor nicht mehr. Es ist aber geradezu ein Allgemeinplatz der Wahlforschung, dass Regierungen nicht gewählt, sondern abgewählt werden. Anders ausgedrückt: In wirtschaftlich günstigen Zeiten macht eine Regierung schon dann alles richtig, wenn sie nichts erkennbar wirklich falsch macht. Dabei glaubt wohl kaum einer ernsthaft, dass Merkels Regierung für diesen Erfolg verantwortlich ist. Diese Behauptung wird allein schon durch die kalten, empirischen Fakten widerlegt, denn die positive und durchaus erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt (trotz nicht zu leugnender Schattenseiten) begann ja schon von Beginn der Regierungsperiode an, also zu einem Zeitpunkt, an dem sie gar nicht die Reaktion auf Regierungsmaßnahmen der aktuellen Regierung sein konnte, nicht zuletzt aus dem Grund, weil es diese Maßnahmen gar nicht gab. Vielmehr setzte sich hier ein Trend fort, der nach der Finanzkrise von 2008 zaghaft einsetzte und schon vor dem Regierungswechsel 2009 langsam an Fahrt aufnahm.
Eigene nennenswerte Reformen, deren Erfolg dann ihr zurechenbar wäre, hat die aktuelle Regierung nicht zustande gebracht, dies hatte sie in dem glücklichen Zeitfenster, in das sie gefallen war, auch nicht nötig. Allerdings haben die Bürger die Finanzkrise noch gut im Gedächtnis, sie befinden sich daher in einem Zustand der nervösen Zufriedenheit, das allgemeine Wohlbefinden sich in einem labilen Gleichgewicht, das nicht durch beunruhigende Nachrichten gestört werden soll. In einem solchen Spiel gilt: Wer zuckt, verliert. Solange sich das allgemeine Wohlbefinden in hohen Popularitätswerten für die Kanzlerin niederschlägt, stellt jede echte inhaltliche Auseinandersetzung nur ein unnötiges und gefährliches Risiko dar.
Dies haben die Wahlkampfstrategen der Union richtig erkannt und sich folgerichtig für ein Wahlkampfszenario der einlullenden Nichtigkeit und Belanglosigkeit entschieden. Dass ihnen überdies die sagenhaft dummen strategischen Kampagnenfehler von SPD und Grüne beziehungsweise deren Kandidaten zusätzlich in die Hände spielen würden, war nicht vorauszusehen, kam ihnen aber vermutlich nicht ungelegen. Der Fairness halber muss allerdings gesagt werden, dass die Unverhältnismäßigkeit des medialen Echos auf ungeschickte und ärgerliche, aber letztlich irrelevante persönliche Statements der Spitzenpolitiker zu Pinot Grigio-Preisen und Vegetariertagen in Kantinen einerseits, und politische Konzepte wie eine weitreichende Steuerreform oder die Alterssicherung andererseits, der inhaltlichen Zuspitzung des Wahlkampfs ebenfalls nicht dienlich war.
Das TV-Duell hat hier anscheinend eine leichte Trendwende bewirkt. Vor allem kann die SPD darauf hoffen, die bisher aufgrund Steinbrücks diverser Lapsi eher wenig motivierten eigenen Anhänger mobilisiert zu haben. Das TV-Duell und die nachfolgenden Auseinandersetzungen haben die Alternativen wieder klarer hervortreten lassen, was vor allem in Hinsicht auf die unentschlossenen Wähler, die über keine feste Parteibindung verfügen, wichtig sein könnte.
Auch wenn das Wahlergebnis nie so eindeutig feststand wie von vielen Medien suggeriert, es ist noch einmal offener geworden. Die Fehlermargen der Umfrageinstitute sind weit größer, als diese zuzugeben bereit sind, und bei Parteien wie der AfD und den Piraten sind die Umfrageinstitute zu weiten Teilen auf ein mehr oder weniger geschicktes Raten des Ergebnisses angewiesen, weil die Anhänger dieser Parteien durch klassische Umfragen besonders schwer einzuschätzen sind. Es bleibt also spannend. Nicht das Schlechteste für die Demokratie.
Titelfoto: Markus Spiering (CC BY-NC-ND 2.0)
Text: World Economic Forum (CC BY-NC-SA 2.0)