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Die Philosophie des Jazz
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Improvisation - Teil 2

Die Philosophie des Jazz

Interview: Jonas Pirzer | Freier Autor
27.10.2014
Im Jazz lassen sich Aspekte dessen erkennen, was Kunst überhaupt ausmacht.

Dr. Daniel M. Feige
Akademischer Mitarbeiter | Institut für Philosophie | FU Berlin
 
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    Zur Person
    Dr. Daniel M. Feige

    Daniel Martin Feige, geboren am 06. September 1976, studierte zunächst Jazzpiano am Konservatorium von Amsterdam. Nach dem Abbruch des Erststudiums, begann er ein Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie an den Universitäten Gießen und Frankfurt am Main.
    2009 promovierte er mit einer Arbeit zur philosophischen Kunsttheorie in Frankfurt am Main.
    Seit 2009 ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilproject C13 bei Prof. Dr. Georg W. Bertram im Sfb 626 "Ästhetische Erfahrung im Zeichen der
    Entgrenzung der Künste" an der Freien Universität Berlin. Schwerpunktmäßig befasst er sich in seiner Forschung mit Kunstphilosophie und philosophische Ästhetik, deutschem Idealismus, philosophische Hermeneutik, Philosophie ästhetischer
    Medien - besonders in Jazz-Musik,  Film, Literatur und Neuen Medien.
    Seine wichtigsten Publikationen tragen Titel wie "Kunst als Selbstverständigung" aus dem Jahr 2012 oder das 2014 erschienen Buch "Philosophie des Jazz". Aktuell in Arbeit befindet sich das Werk "Computerspiele; eine
    Ästhetik", das 2015 oder 2016 erscheinen wird. 

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    Factbox
    Beispiele von Interpretationen der Goldbergvariationen

    Johann Sebastian Bach: Goldberg Variationen; BWV 988: Variation 15 a 1

    Glenn Gould (1964)

    Zhu Xiao Mei (2014)

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Audiobeitrag: Umfrage "Zur Philosophie des Jazz"


[Musik aus der Umfrage mit freundlicher Genehmigung von Johannes Wilke Angry Ensemble (Copyright).]

Sie haben von 1998 bis 1999 in Amsterdam Jazz-Klavier studiert. Schlussendlich entschieden Sie sich dann aber gegen eine Laufbahn als Berufsmusiker und wandten sich stattdessen der Philosophie zu. Warum?

Dr. Daniel M. Feige: Mein Musikstudium habe ich abgebrochen, was ich heute manchmal durchaus bedauere. Hoher Erfolgsdruck, starke Konkurrenz und ein schwieriger Markt haben mir zu schaffen gemacht. Außerdem machen zehn bis zwölf Stunden Üben am Tag nicht immer Spaß. Man sitzt ja an einer Aktivität, die für Nichtmusiker ziemlich pathologisch ist. Jetzt vereine ich meine musikalischen und philosophischen Wurzeln und habe sozusagen durch mein Jazzbuch mein früheres Leben mit dem akademischen verbunden. Es ist ein Nachdenken über Jazz als philosophische Praxis. Man wird davon aber kein besserer Jazzmusiker.

Jazz-Schlagzeuger Jonas Pirzer und Dr. Daniel Martin Feige im Expertengespräch. Feige, geboren 1976, studierte zunächst Jazzpiano in Amsterdam, wechselte dann aber nach Gießen und Frankfurt, um einem Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie nachzugehen. 
2009 promovierte er mit einer Arbeit zur philosophischen Kunsttheorie in Frankfurt am Main. Unter dem Titel "Philosophie des Jazz" erschien 2014 sein aktuelles Buch, das sich einem seiner großen Forschungsschwerpunkte widmet.
Jazz-Schlagzeuger Jonas Pirzer und Dr. Daniel Martin Feige im Expertengespräch. Feige, geboren 1976, studierte zunächst Jazzpiano in Amsterdam, wechselte dann aber nach Gießen und Frankfurt, um einem Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie nachzugehen.
2009 promovierte er mit einer Arbeit zur philosophischen Kunsttheorie in Frankfurt am Main. Unter dem Titel "Philosophie des Jazz" erschien 2014 sein aktuelles Buch, das sich einem seiner großen Forschungsschwerpunkte widmet.

Eine philosophische Betrachtung des Jazz im deutschen Sprachraum wird schnell mit Theodor W. Adornos kontroversem Aufsatz „Über Jazz“ (1936) verbunden. Was ist die Philosophie des Jazz? Warum ist der Jazz ein interessanter Gegenstand für eine philosophische Betrachtung?

Feige: Man muss dazu sagen: Seit vier oder fünf Jahren ist die Musikästhetik in Deutschland, die sich nicht zuletzt wegen Adorno lange Zeit im Dornröschenschlaf befand, wieder im Kommen. Jedoch ist das Thema “Jazz-Philosophie” bisher noch ein “Blind Spot” in der deutschen Musikphilosophie. Es gibt nur einige wenige Publikationen dazu, in denen noch seltener eine streng philosophische Auseinandersetzung mit der "Jazz-Philosophie" stattfindet. Dabei ist der Jazz ein hochspannender Beobachtungsgegenstand: Im Moment der Produktion geschieht alles. Diese besondere, intensive Zeitlichkeit zeichnet den Jazz aus. Auch wenn dies zunächst vielleicht überraschen mag, lassen sich am Jazz wichtige Aspekte der Kunst im Allgemeinen besonders prägnant aufzeigen. So gesehen ist der Jazz ein paradigmatischer und kein spezieller Gegenstand für die Ästhetik. Auch wenn der Jazz vergleichsweise jung ist, lassen sich in ihm Aspekte dessen erkennen, was Kunst überhaupt ausmacht bzw. was wir heute unter Kunst verstehen.

"What a wonderful world". Wer kann da nicht mitsingen, sich an ferne Orte träumen und an die volle, tiefe und beruhigende Stimme von Jazztrompeter und Sänger Louis Daniel Armstrong denken? 
Geboren 1901 in New Orleans wuchs Armstrong in ärmlichsten Verhältnissen auf. Während  er einige Jahre in einer Anstalt für obdachlose Jugendliche verbrachte, lernte er erstmals den richtigen Umgang mit Kornett und Trompete. Er schlug sich daraufhin mit einigen Jobs und Bands in der Szene durch und gewann langsam aber sich an Bekanntheit. Bereits 1926 gelang ihm dann sein erster Hit in den Billboard-Charts, dem bis 1966 noch 78 weitere folgen sollten. 1968 veröffentliche Armstrong das weltbekannte "What a wonderful world". Seine unermüdliche Energie und seine vielen Auftritte forderten schon früh gesundheitlichen Tribut. Louis Armstrong starb am 6. Juli 1971 in New York an einem Herzinfarkt.
"What a wonderful world". Wer kann da nicht mitsingen, sich an ferne Orte träumen und an die volle, tiefe und beruhigende Stimme von Jazztrompeter und Sänger Louis Daniel Armstrong denken?
Geboren 1901 in New Orleans wuchs Armstrong in ärmlichsten Verhältnissen auf. Während er einige Jahre in einer Anstalt für obdachlose Jugendliche verbrachte, lernte er erstmals den richtigen Umgang mit Kornett und Trompete. Er schlug sich daraufhin mit einigen Jobs und Bands in der Szene durch und gewann langsam aber sich an Bekanntheit. Bereits 1926 gelang ihm dann sein erster Hit in den Billboard-Charts, dem bis 1966 noch 78 weitere folgen sollten. 1968 veröffentliche Armstrong das weltbekannte "What a wonderful world". Seine unermüdliche Energie und seine vielen Auftritte forderten schon früh gesundheitlichen Tribut. Louis Armstrong starb am 6. Juli 1971 in New York an einem Herzinfarkt.

Die zentrale These Ihres Buches lautet: „Jazz macht nicht nur etwas explizit, was in der europäischen Kunstmusik[im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als klassische Musik bezeichnet, Anm. d. Redaktion] implizit bleibt, sondern etwas, das für die Kunst als solche wesentlich ist.“ Das klingt sofort nach Wertung, ist laut Ihrer Aussage aber keine.

Feige: Für mich ist in diesem Zusammenhang insbesondere der „Werkbegriff“ wichtig. Bei einem Werk unterstellen wir, dass es abgeschlossen ist, sobald der Komponist seinen Stift weggelegt hat. Anschließend wird es eben mehr oder weniger gut gespielt. Ich halte diese Sicht für völlig falsch! Jedes Werk wird in seiner Aufführung durch die Interpretation weiterkomponiert. Es muss in jeder Aufführung aufs Neue beweisen, dass es etwas taugt. Im Jazz ist das klar: Das Werk ist jedes Mal unterschiedlich und somit einzigartig, da es live entsteht. Ich möchte hier keinen Vergleich zweier Musikrichtungen anstellen ebenso wenig wie ich Künste vergleichen würde. Was wir gut finden, hören oder sehen wir uns an. Ich möchte zeigen: Philosophisch interessierte Menschen können allgemein etwas Philosophisches vom Jazz lernen.

Der "Deutsche" Louis Armstrong ist der 1971 geborene Viersener vielleicht (noch) nicht. Zu den großen Jazz-Trompetern unserer Zeit kann er sich aber ohne Scheu zählen: Till Brönner. Bereits zu Schulzeiten fiel Brönner durch sein Talent auf. Schon früh begleitete er den Briten Andrew Lloyd Webbers oder trat an der Seite von Entertainer Stefan Raab auf. Es folgten ein Studium der Jazztrompete an der Hochschule für Musik Köln und das erste eigene Album "Generations of Jazz" im Jahr 1993. 
Brönner spielte in den folgenden Jahren an der Seite von Dave Brubeck, Tony Bennett oder Nils Landgren, tourte durch die Welt, schrieb Soundtracks und konnte bis heute acht Alben in den Deutschen Charts platzieren. Brönner wohnt in Berlin-Charlottenburg und ist Vater eines Sohnes.
Der "Deutsche" Louis Armstrong ist der 1971 geborene Viersener vielleicht (noch) nicht. Zu den großen Jazz-Trompetern unserer Zeit kann er sich aber ohne Scheu zählen: Till Brönner. Bereits zu Schulzeiten fiel Brönner durch sein Talent auf. Schon früh begleitete er den Briten Andrew Lloyd Webbers oder trat an der Seite von Entertainer Stefan Raab auf. Es folgten ein Studium der Jazztrompete an der Hochschule für Musik Köln und das erste eigene Album "Generations of Jazz" im Jahr 1993.
Brönner spielte in den folgenden Jahren an der Seite von Dave Brubeck, Tony Bennett oder Nils Landgren, tourte durch die Welt, schrieb Soundtracks und konnte bis heute acht Alben in den Deutschen Charts platzieren. Brönner wohnt in Berlin-Charlottenburg und ist Vater eines Sohnes.

Sie bezeichnen die Logik, welche sowohl der Improvisations- [= Jazz, Anm. d. Redation] wie auch der Interpretationsmusik [europäische Kunstmusik, Anm. d. Redaktion]zugrundeliegt, als grundsätzlich gleich. Wie aber lassen sich Werke, die durch Interpretation leben, mit improvisationsabhängigen vergleichen. Ist die wiederholte Neuinterpretation in der Kunstmusik genauso wichtig für das Werk wie die ständige Neuinterpretation von Jazz-Standards?

Feige: Es gibt bei aller Verwandtschaft große Unterschiede zwischen europäischer Kunstmusik und Jazz, aber für beide gilt: Werke sind lebendig, sie sagen uns etwas - oder nicht. Ob etwas ein Kunstwerk ist, steht damit nicht ein für allemal fest; es gibt hier ein Moment der Kontingenz. Wenn beispielsweise ein Glenn Gould die Goldbergvariationen spielt, ist das völlig anders als z.B. eine aktuelle Interpretation. Es gibt kein mechanisches Verhältnis des Künstlers zum Werk sondern immer ein Hinzutun oder Herausarbeiten. Kunst ist grundsätzlich nicht mechanisch obwohl es Formelles und Handwerk gibt; es geht aber immer um Gelingen oder Misslingen – das Werk ist immer in geschichtlicher Bewegung. Die historische Aufführungspraxis sehe ich kritisch: Wenn dabei gute Musik rauskommt, ist das natürlich wunderbar und legitim! Wenn aber wie bei Woody Allens Film „Matchpoint“ Leute in die Oper gehen, um sich selbst zu bespiegeln, dann hat das mit Kunst nicht mehr viel zu tun. Erstaunlich finde ich, dass viele Konzertbesucher kein Bewusstsein dafür haben, dass Improvisation auch in der klassischen Musik ein integraler Bestandteil war und im Prinzip erst seit Beethoven verwerklicht wurde. Eine Ausnahme bildet die Kirchenmusik, in der Improvisation eine zentrale Rolle spielt. Auch in der Neuen Musik lebt zum Teil die Improvisation fort.

Beispiele von Interpretationen der Goldbergvariationen


Eine E-Gittare um den Hals, die Augen gesenkt. Verträumter Blick, eine fast zerbrechliche Stimme. Ein bisschen Soul, eine Prise Pop und eine große Portion Jazz. Das ist Norah Jones. 
1979 in Brooklyn, New York City, geboren, nahm Jones bereits mit sechs Jahren ihre erste Klavierstunde. Unzählige Unterrichtsstunden später - nun auch auf Saxophon und Trompete - schrieb sich Jones an der Highschool für "Performing and Visual Arts" ein. Mit dem Studium des Jazzpianos 1997 begann auch ihre musikalische Karriere. 2003 erhielt sie mit dem Album "Come Away with Me" fünf Grammys und wurde einem breiteren Publikum bekannt. Es folgten vier weitere Alben, drei DVD-Aufzeichnungen, unzählige Kollaborationen und einige Auftritte als Schauspielerin. Neben etlichen Preisen konnte Jones bis heute zehn Grammys gewinnen. 2012 erschien mit "Little Broken Hearts" ihr bis dato letztes Studioalbum.
Eine E-Gittare um den Hals, die Augen gesenkt. Verträumter Blick, eine fast zerbrechliche Stimme. Ein bisschen Soul, eine Prise Pop und eine große Portion Jazz. Das ist Norah Jones.
1979 in Brooklyn, New York City, geboren, nahm Jones bereits mit sechs Jahren ihre erste Klavierstunde. Unzählige Unterrichtsstunden später - nun auch auf Saxophon und Trompete - schrieb sich Jones an der Highschool für "Performing and Visual Arts" ein. Mit dem Studium des Jazzpianos 1997 begann auch ihre musikalische Karriere. 2003 erhielt sie mit dem Album "Come Away with Me" fünf Grammys und wurde einem breiteren Publikum bekannt. Es folgten vier weitere Alben, drei DVD-Aufzeichnungen, unzählige Kollaborationen und einige Auftritte als Schauspielerin. Neben etlichen Preisen konnte Jones bis heute zehn Grammys gewinnen. 2012 erschien mit "Little Broken Hearts" ihr bis dato letztes Studioalbum.

Eine strikte Trennung musikalischer Genre nimmt ab, die Differenzierung zu. Sie arbeiten am Beispiel europäischer Kunstmusik und Jazz heraus, dass auch hier die Trennschärfe nicht klar ist. Bewusst wählen Sie hier den Begriff „Kontraste“, statt „Unterschiede“; selbst Improvisation als Unterscheidungsmerkmal fällt weg. Adorno würde sich sicherlich im Grabe umdrehen und der konservative Klassikhörer ist empört!

Feige: Mir tun die Leute ein bisschen leid, die so engstirnig sind. Ihnen entgeht eine Musik, die es sich anzuhören lohnt. Ich finde es grundsätzlich falsch, ganze Genres, Medien oder Kunstformen pauschal abzulehnen. Ein gelungenes Kunstwerk macht sich das Genre, in das es hinein zu gehören scheint, zu Eigen und zu etwas Eigenem. Da sind wir noch einmal beim Gedanken des Mechanischen: Stile, Gattungen und Genre sind nicht einfach Klassen, in die wir Musik reinstopfen können. Es gibt in jedem Stil Gelingen und Misslingen. Wer nur einen ganz engen Kanon in der Musik hat, der hat nicht zu Ende gedacht, seine Ohren schon an der falschen Stelle verschlossen. In der Kunst gibt es keinen Kanon ohne Streit darum. Das ist nichts, was die alten Herren mit langen weißen Bärten hinter verschlossenen Türen festlegen. Zu meinen, dass man feste Dinge labeln könnte, das bringt nie etwas. Das Einzige, was man in der Ästhetik machen kann, ist den Anderen sehen und hören machen, indem man seinen Blick und seine Ohren lenkt. Und der Jazz hat es natürlich verdient, alle Aufmerksamkeit zu bekommen!

Impressionen vom „Jazz and more“-Festival im Friedrichshafener "Kulturhaus Caserne" vom 02. bis 06. Oktober.
 


Titelbild: The Queens Hall / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Bilder im Text: Maurice Schönen | Zeppelin Universität,

Till Brönner“ von Tom Beetz @ http://home.hetnet.nl/~tbeetz/index.html. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons,

Louis Armstrong restored“ von World-Telegram staff photographer -

Library of Congress Prints and Photographs Division, New York 

World-Telegram and the Sun Newspaper Photograph Collection.

Dieses Bild ist unter der digitalen ID cph.3c27236 in der Abteilung 

für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen 

Library of Congress abrufbar. Lizenziert unter Public domain 

über Wikimedia Commons,

Maurice Schönen | Zeppelin Universität (Fotogalerie)


Interview-Antworten: Dr. Martin M. Feige

Interviewer: Jonas Pirzer
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann

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