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Start-Up statt Sozialstaat
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Sozialunternehmertum

Start-Up statt Sozialstaat

von Marcel Schliebs | Redaktion
04.05.2015
Ein Sozialunternehmen unterscheidet sich von vielen anderen Unternehmen, indem es mit Profit- und Sozialmaximierung im Kern zwei Logiken miteinander kombiniert. Auf der einen Seite versucht es dabei, gewinnbringend am Markt zu agieren, gleichzeitig steht aber auch das Ziel, einen sozialen Mehrwert zu generieren, im Mittelpunkt.

Aline Wachner | Tim Weiss
Civil Society Center (CiSoC)
 
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    Zur Person
    Aline Wachner | Tim Weiss

    Während ihres Studiums der Kulturwirtschaft / International Cultural and Business Studies an der Universität Passau arbeitete Aline Wachner bei einer auf Corporate Responsibility spezialisierten Beratungsgesellschaft in Hamburg und München. Nach ihrem Diplomabschluss 2009 war sie als Mitarbeiterin beim Grameen Creative Lab in Wiesbaden tätig, einem Think Tank für Sozialunternehmen. Seit Mai 2011 ist Aline Wachner wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Civil Society Center der Zeppelin Universität.

    Die Doktorandin Aline Wachner untersucht marktorientierte Sozialunternehmen, die Produkte und Dienstleistungen zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse von Einkommensgruppen am Fuß der Einkommenspyramide bereitstellen und dabei eine hybride, also sowohl soziale als auch ökonomische, Wertschöpfung anstreben. In ihrer vergleichenden Studie zur Institutionalisierung von Sozialunternehmen in Kolumbien, Mexiko, Kenia und Südafrika beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Sozialunternehmen das rhetorisch aufgeladene Konzept der Marktorientierung in der Realität von Entwicklungsländern umsetzen.

    Tim Weiss hat sich neben seinem BWL-Studium in Wien intensiv mit der internationalen Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt. Nach dem Bachelorabschluss arbeitete er zwei Jahre für verschiedene internationale und bilaterale Organisationen im Projektmanagement und als Consultant in Kenia sowie in Äthiopien. Er setzte sich während dieser Zeit praktisch mit der internationalen Nothilfe und ländlicher Wirtschaftsentwicklung auseinander. Während seines Masterstudiums an der Zeppelin Universität setzte er seine Erfahrungen in den wissenschaftlichen Kontext und konzentrierte sich zunehmend auf soziale Unternehmen und internationale Investoren in Ostafrika.

    Tim Weiss arbeitet seit Januar 2013 an seiner Dissertation mit dem Arbeitstitel „Cooperation or Distortion? Analyzing impact and traditional investors in Kenya“ an der Zeppelin Universität. Der Forschungsfokus der Arbeit liegt in Ostafrika und behandelt das Thema Sozialinvestition versus traditionelle Investments.

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    Dossier
    Taking the pulse - Social Enterprise Landscape in developing and emerging economies
    Aline Wachner | Lisa Hanley | Tim Weiss
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    Mehr ZU|Daily
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„Ein Sozialunternehmen unterscheidet sich von vielen anderen Unternehmen, indem es mit Profit- und Sozialmaximierung im Kern zwei Logiken miteinander kombiniert. Auf der einen Seite versucht es dabei, gewinnbringend am Markt zu agieren, gleichzeitig steht aber auch das Ziel, einen sozialen Mehrwert zu generieren, im Mittelpunkt“, definiert Tim Weiss, Forscher am Civil Society Center (CiSoC) der ZU. Gemeinsam Aline Wachner und Lisa Hanley hat er in den vergangenen zwei Jahren die Studie am Lehrstuhl von Prof. Dr. Stephan A. Jansen durchgeführt. Bei dem durchgeführten Forschungsprojekt handelt es sich um die erste wissenschaftliche Studie, die sich gleichzeitig sowohl mit Sozialunternehmen als auch mit Investoren beschäftigt. Das Ergebnis ist eine detaillierte Betrachtung der Strukturen in den vier untersuchten Ländern.

Mehr erfahren: Die CiSoC-Studie in voller Länge zum Nachlesen


„Das Thema Sozialunternehmertum hat in den letzten Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit für einigen Wirbel gesorgt und viele Hoffnungen auf sich gezogen“, erzählt Aline Wachner . Sie begründet das damit, dass klassische Ansätze von Entwicklungshilfe zunehmend als ineffektiv betrachtet würden. Zunehmend würde die Zukunft hingegen in einer marktwirtschaftlichen Perspektive gesehen. Deshalb stehen Sozialunternehmen zwar im Fokus der Betrachtung, bislang gab es jedoch kaum einheitliche Erkenntnisse darüber, wie diese funktionieren und ob sie wirklich einen Beitrag dazu leisten können, Armut effektiv zu bekämpfen.

Ein Beispiel für eine Mischform aus sozial- und profitorientiertem Unternehmen ist die afrikanische Unternehmung SANERGY. Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, über Mikrounternehmer die Ausstattung von Slums mit Toiletten (blau im Hintergrund) zu fördern und managen. Der profitorientierte Teil des Unternehmens setzt nach der Sammlung der Gülle an einem zentralen Punkt ein, indem die Abfälle abgeholt und zu Dünger oder Biogas weiterverarbeitet werden.
Ein Beispiel für eine Mischform aus sozial- und profitorientiertem Unternehmen ist die afrikanische Unternehmung SANERGY. Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, über Mikrounternehmer die Ausstattung von Slums mit Toiletten (blau im Hintergrund) zu fördern und managen. Der profitorientierte Teil des Unternehmens setzt nach der Sammlung der Gülle an einem zentralen Punkt ein, indem die Abfälle abgeholt und zu Dünger oder Biogas weiterverarbeitet werden.

Ein weiteres in der Studie untersuchtes Unternehmen ist das kenianische Sokotext, das Supply-Chain-Lösungen für Frucht- und Gemüsehandel in Slums anbietet. Dabei war den Gründern aufgefallen, dass die langen Handelswege der Lebensmittel über mehrere Mittelsmänner nicht nur die Qualität des Obsts stark einschränkten, sondern auch den Preis unnötig erhöhten. Deshalb entwickelte Sokotext ein innovatives SMS-System, bei dem die Früchteverkäuferinnen, die sogenannten „Mama-Bogas“, jeweils am Vorabend ihren Bedarf melden und dieser am Morgen aggregiert gekauft und geliefert wird. All das macht das Obst frischer, günstiger und nachhaltiger. „Sokotext ist ein Beispiel für ein Sozialunternehmen, das im Moment vieles richtig macht und dafür gefeiert wird“, so ZU-Forscher Tim Weiss, „aber man könnte natürlich noch unzählige weitere Beispiele nennen für erfolgreiche Konzepte rund um den Globus“.

Dass vor allem Sozialunternehmen aus Schwellen- und Entwicklungsländern wie Kenia oder Kolumbien im Mittelpunkt der Studie stehen, ist dabei kein Zufall, sondern liegt vor allem daran, dass in diesen Ländern kein Wohlfahrtssystem existiert. Während der Staat in Deutschland relativ leicht Zugriff auf die unteren Einkommensschichten erhält, kommen solche Hilfsleistungen in weniger entwickelten Ländern tendenziell eher zu kurz.

Im Vergleich der einzelnen Länder konnte im Rahmen der Studie festgestellt werden, dass der Staat in Mexiko in Form von langfristigen Kooperationsverträgen mit Sozialunternehmen, die öffentliche Güter bereitstellen, am stärksten involviert ist, während der öffentliche Sektor in Südafrika relativ autonom von anderen Bereichen agiere.

Nie mehr verfaultes Obst und Gemüse dank Sokotext: Das kenianische Sozialunternehmen hilft Obsthändlerinnen, per SMS-System die Supply Chain zu optimieren. Bestellt wird nur, was benötigt wird, gleichzeitig werden unnötige Provisionen für Zwischenhändler vermieden.
Nie mehr verfaultes Obst und Gemüse dank Sokotext: Das kenianische Sozialunternehmen hilft Obsthändlerinnen, per SMS-System die Supply Chain zu optimieren. Bestellt wird nur, was benötigt wird, gleichzeitig werden unnötige Provisionen für Zwischenhändler vermieden.

Eine zentrale Frage der Studie war dabei auch, wie Sozialunternehmen überhaupt entstehen und aus welcher Richtung sie kommen. Eine Richtung besteht dabei aus gemeinnützigen Organisationen, die unter Instabilität aufgrund ausbleibender Spendeneinkünfte dazu gedrängt werden, sich selbst zu tragen, auf Marktorientierung zu setzen und dadurch zu Sozialunternehmen zu werden. In Kolumbien beispielsweise stand die seit über 30 Jahren existierende Non-Profit-Organisation „ProFamilia“, die vor allem Dienstleistungen im Bereich der Gesundheitsberatung von Frauen und Familienplanung aktiv ist, vor der Herausforderung, dass als Folge von staatlichen Gesundheitsreformen wie einer gesetzlichen Krankenversicherung das natürliche Monopol der Organisation gebrochen wurde und der Staat selbst Teile der Wohlfahrtsaufgaben übernahm. Nach einem größeren Korruptionsskandal im Gesundheitssektor jedoch kam es zu massiven Umstrukturierungen und damit verbundenen Fördermittelkürzungen. Zudem hatten die staatlichen Reformen im Gesundheitssektor zur Folge, dass Kolumbien auf dem Papier nicht mehr so förderbedürftig wie zuvor erschien und zunehmend an internationalen Fördermitteln einbüßen musste. Fortan war man gezwungen, selbst nach neuen Finanzierungsmethoden zu suchen, um kostendeckend arbeiten zu können. Das Ergebnis ist ein Sozialunternehmen, das mit der Bereitstellung des öffentlichen Guts der Gesundheitsdienstleistungen nicht nur einen wohltätigen Zweck für die Gesellschaft leistet, sondern auch profitabel agiert.

Darüber hinaus, so Wachner, besteht ein zweiter Strang aus sogenannten „New Business Initiativen“, die von großen, bereits bestehenden Unternehmen gegründet werden. Dabei stellen diese mit Blick auf die bestehenden, aber oft saturierten Märkte fest, dass sich auf Märkten in Entwicklungsländern zwar auf den ersten Blick weniger zahlungskräftige Kunden finden, diese jedoch in ihrer Gesamtheit eine interessante strategische Investitionsoption darstellen. Zudem wird die Idee einer sozialen Wertschöpfung auch in der Privatwirtschaft immer wichtiger. Konkret in der Studie vertreten ist dabei der große südafrikanische Medikamenten-Logistikkonzern Empirial, der ein Netzwerk an kleinen, über das Land verteilten Klinken errichtet hat.

Die konkrete Überlegung bestand hierbei darin, dass das Unternehmen zwar über ein hervorragendes Distributionsnetzwerk für Medikamente verfügte, viele Menschen in abgelegenen Regionen aber überhaupt keinen Zugang zu einfachen Primärleistungen, vergleichbar mit einem Hausarzt, hatten. Aus diesem Grund baute der Konzern ein Netzwerk an Containern auf, wobei ein Container jeweils von einer Krankenschwester medizinisch wie betriebswirtschaftlich selbstständig betreut wird. Erreicht werden konnten dadurch nicht nur neue Absatzwege für Medikamente, sondern auch eine Entlastung des öffentlichen Systems, da leicht Erkrankte zuvor als einzige Option den Weg ins Krankenhaus hatten, was darin resultierte, dass spezialisierte Ärzte durch die Behandlung von Erkältungen und kleinen Verletzungen wichtige Kapazitäten ineffizient ausfüllten.

In Containern wie diesen werden Patienten von Krankenschwestern medizinisch versorgt. Davon profitieren nicht nur Patienten und entlastete Ärzte, sondern auch der Medikamenten-Logistikdienstleister Imperial, der das Container-Netzwerk mit aufgebaut hat. Das Beispiel zeigt, wie der Betrieb eines Sozialunternehmens auch großen Konzernen nützlich sein kann.
In Containern wie diesen werden Patienten von Krankenschwestern medizinisch versorgt. Davon profitieren nicht nur Patienten und entlastete Ärzte, sondern auch der Medikamenten-Logistikdienstleister Imperial, der das Container-Netzwerk mit aufgebaut hat. Das Beispiel zeigt, wie der Betrieb eines Sozialunternehmens auch großen Konzernen nützlich sein kann.

Die neue Studie zeigt auch, dass immer mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte Gefallen an einer sozial verantwortlichen Tätigkeit finden. So war schon der Nobelpreisträger Yunus einst überzeugt, Ethos und Verantwortungsgefühl könnten im Menschen reines Gewinnstreben ersetzen. „Unsere Mitarbeiter sehen, wie sie die Welt verbessern. Das motiviert sie und macht sie ungemein stolz“, so der bangladeschische Wirtschaftswissenschaftler in seinem 2008 erschienenen Buch Und so haben, wie die Studie zeigt, heute 76 Prozent der Gründer von Sozialunternehmen einen Master- oder MBA-Abschluss bzw. einen Doktortitel. Dies liegt neben der Sozialverantwortlichkeit als moralischem Wert auch an den komplexen Herausforderungen, die das Management eines Sozialunternehmens erfordert und zeigt, dass eine gewisse Expertise von Nöten ist, um im Ökosystem des Social Entrepreneurship Förderer überzeugen und gewinnen zu können.

Ob Früchtedistribution in Kenia, Fäkalienentsorgung in Slums oder einem Logistikunternehmen, dass plötzlich ein Netzwerk an Container-Krankenstationen aufbaut: Die Studie des CISOC-Instituts der Zeppelin Universität und der SIEMENS-Stiftung zeigt eindrücklich, wie gut sich die auf den ersten Blick konträren Ziele der Profit- und Sozialmaximierung verknüpfen lassen. Dabei erweist sich der in der Forschung relativ junge Ansatz des Sozialunternehmertums als nachhaltige Lösung für vielfältige Herausforderungen in den Problemregionen dieser Welt. „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist hier wohl das entscheidende Stichwort, das die Richtung vorgibt. Die Studie „Taking the Pulse – Sozialunternehmen in Entwicklungsländern“ der ZU-Wissenschaftler Lisa Hanley, Tim Weiss und Aline Wachner analysiert hierbei nicht nur hunderte Unternehmen in vier verschiedenen Ländern, sondern zeigt anschaulich, wie, warum und in welcher Form Sozialunternehmen entstehen und nachhaltig Erfolg haben.

Titelbild:  Nestle /flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: USAID / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
DFID / flickr.com (CC BY 2.0)
Bioversity / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Redaktionelle Umsetzung: Marcel Schliebs

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