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Marc Van Dyck, aufgewachsen zwischen Wiener Schmäh, Kölscher Leichtigkeit und belgischer Küche, studierte International Business mit Aufenthalten in Sevilla, Kuala Lumpur und Amsterdam. 2013 wechselt er die akademischen Seiten und startete sein Masterstudium in Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Zeppelin Universität. Praktische Erfahrungen sammelte er in der Wirtschaft – vom Technologiekonzern bis zum E-Commerce Start-up – und im Bereich Public Affairs in Berlin. An der Zeppelin Universität engagierte er sich als Studentischer Senator und unterstützte als wissenschaftliche Hilfskraft das „The Open Government Institute | TOGI“.
Kannst Du zunächst einmal die Grundzüge der „Digitalen Agenda (2014-2017)“ kurz skizzieren?
Marc Van Dyck: Die „Digitale Agenda (2014-2017)“ ist das digitalpolitische Programm der Bundesregierung für diese Legislaturperiode. Ziel der Bundesregierung war es, dem Thema Digitalisierung mehr politisches Gewicht zu verleihen und den Wandel, den wir zurzeit erleben, aktiv mitzugestalten. Die „Digitale Agenda“ ist als Zusammenfassung aller digitalpolitischen Aktivitäten zu verstehen. Inhaltlich ist es entlang sieben Handlungsfeldern aufgestellt, die alle Bereiche der Digitalisierung – über Verwaltungsmodernisierung und E-Government hinaus – adressieren. Das erklärte Ziel ist es, „Chancen für eine starke Wirtschaft, gerechte Bildung und ein freies und sicheres Internet“ zu fördern.
Welche Aspekte der Agenda haben Dich für Deine wissenschaftliche Arbeit besonders interessiert?
Van Dyck: Gereizt hat mich vor allem, mich mit einem hochrelevanten und unsere Zeit bestimmendem Thema auseinanderzusetzen: Der Wandel durch die Digitalisierung umfasst alle Bereiche des Lebens und die Politik versucht hier steuernd einzugreifen. Gleichzeitig steht die Bundesregierung häufig in der Kritik wegen ihrer Digitalpolitik – sei es von der Opposition oder der Netzgemeinde. Deshalb wollte ich den Versuch unternehmen, eine wissenschaftliche und nicht-interessengeleitete Analyse des Status quo vorzunehmen und zu untersuchen, ob wir (politisch) auf dem richtigen Weg sind. Zugleich wollte ich verstehen, welche Barrieren die Politik von der raschen Umsetzung abhält. Zuletzt war es aber auch das grundsätzliche Interesse an der Frage: Inwiefern kann Politik bei so einem massiven Wandel überhaupt steuernd eingreifen?
Hältst Du Deutschland im Vergleich mit anderen Staaten im Bereich der Digitalisierung von Verwaltung und Politik für ausreichend gut aufgestellt?
Van Dyck: In Deutschland dominiert nach wie vor eine starke Risiko- und Sicherheitsdebatte anstelle einer chancenorientierten Diskussion. Hinzu kommt, dass die Aufgaben- und Kompetenzverteilung stark zergliedert ist. Zum einen über die föderalen Ebenen, zum anderen verteilt es sich thematisch auf die jeweiligen Ministerien. Beides sind keine idealen Voraussetzungen für eine schlagkräftige und schnelle Umsetzung. Häufig sind die Vergleiche mit anderen Ländern natürlich etwas ungerecht. So wird Estland immer als Vorreiter der digitalen Verwaltung hervorgehoben, hat allerdings nur ein Drittel der Einwohner von Berlin. Und auch Singapur und Südkorea hatten es mit dem Ausbau ihrer Breitbandinfrastruktur von der grünen Wiese natürlich leichter, als das in einem bestehenden Netz der Fall ist. Aber soweit muss man gar nicht schauen. Die „Digitalen Agenden“ von Frankreich, Großbritannien und der Niederlande legen beispielsweise einen deutlichen Fokus auf die Bildung von Digitalkompetenzen und einer Wachstumsorientierung. Außerdem werden die Programme zentral gesteuert und umgesetzt. Deutschland hingegen kämpft mit einer mangelhaften Breitbandinfrastruktur, tut sich mit der Einbindung des Digitalen in die Bildung – sowohl der Kinder als auch der Verwaltungsbeamten – schwer und hat es bis heute nicht geschafft, eine rechtssichere digitale Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung zu etablieren. Um es mit den Worten eines der Experten zu sagen: "Die Verwaltung ist das Betriebssystem der Gesellschaft. Und unsere Verwaltung ist zurzeit nicht updatefähig."
Welche Teile der Agenda wurden bisher umgesetzt? Wo siehst Du Schwachpunkte?
Van Dyck: Vor allem im Bereich der Forschung wurden einige Projekte angestoßen, zum Beispiel zu Big Data, Zukunftsstadt oder auch die Einrichtung eines „Internet-Instituts“, also einer interdisziplinären Forschungseinrichtung rund um Digitalisierung. Außerdem wird das Thema Industrie 4.0 stark vorangetrieben. Jetzt im Sommer wurde zudem eine Gesetzesänderung zur Störerhaftung beschlossen, die es (privaten) Anbietern erleichtern soll, freie WLAN-Netze anzubieten.
Schwachpunkte sehe ich vor allem in der Infrastruktur und auf der Verwaltungsseite. Es fehlt nach wie vor eine sichere Infrastruktur mit flächendeckendem Breitbandausbau, und Themen der Mobilität und Netzneutralität werden in der „Digitalen Agenda“ komplett ausgeklammert. Im Bereich der Bildung hat die „Digitale Agenda“ der Bundesregierung allenfalls einen appellativen Charakter, das ist Ländersache.
Was kann auf Seiten der Regierung für eine verbesserte Umsetzung der Vorgaben getan werden, beispielsweise durch Bündelung der Aufgaben in einem „Internet-Ministerium“?
Van Dyck: Zunächst muss man festhalten, dass die „Digitale Agenda“ die eigentliche Umsetzung der Themen nicht im Fokus hat. Wir haben es hier auch mit einer schwierigen Akteurskonstellation zu tun, bestehend aus drei federführenden Bundesministerien, vielen weiteren involvierten Ressorts auf Bundes- und Länderebene sowie einen Adressatenkreis, der sowohl innerhalb als auch außerhalb des Staates liegt. Die Durchführungschancen sinken erfahrungsgemäß mit der Zahl der involvierten Akteure. Hinzu kommt ein undurchsichtiges Interessennetzwerk. Eine Kompetenzbündelung wäre also dringend notwendig, um die politische Priorisierung zu gewährleisten und die Silostruktur der Verwaltung zu überwinden. Ein „Internet-Ministerium“ brauchen wir jedoch nicht zwingend und wäre auch von den Ressourcen nicht abbildbar. Die beste Lösung ist die Bündelung in Form eines Staatsministers am Kabinettstisch, so wie wir das jetzt schon für den Kulturbereich haben. Diese Stelle könnte als eine Stimme gegenüber der Bundesregierung agieren, die Aktivitäten bündeln und gleichzeitig die dezentrale Struktur im föderalen System fördern.
Haben sich bei den Experteninterviews positive Beispiele für die Umsetzung herauskristallisiert?
Van Dyck: Positiv hervorgehoben wurden Forschungsinitiativen in der Wissenschaft, Ansätze zur Start-up-Förderung und das IT-Sicherheitsgesetz mit der Stärkung des BSI. Letzteres wird jedoch auch von einigen Experten kritisiert. Auch in der Verwaltung gibt es Positivbeispiele wie die Adressierung der „G8 Open-Data-Charta“. Darüber hinaus wurde mit der Öffnung des „Nationalen IT-Gipfels“ die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren verbessert.
Die Digitalisierung der Verwaltung wird durch den Staat gesteuert, aber ist es nicht utopisch anzunehmen, dass durch eine Agenda Einfluss auf entsprechende Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft genommen werden kann?
Van Dyck: Das ist in der Tat einer der Aspekte, der mich am meisten an dem Thema gereizt hat. Der Staat kann hier tatsächlich Einiges tun: Er kann ganz konkret die rechtlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen und die notwendigen Sicherheitsvoraussetzungen schaffen – für diese Bereiche kann man wissenschaftlich gar eine Notwendigkeit staatlichen Eingreifens begründen. Hinzu kommt der Bereich der Bildung, der uns den Umgang mit der Digitalisierung erleichtern kann. Darüber hinaus kann der Staat monetäre Anreize für Forschung und Wirtschaft setzen. Und nicht zu unterschätzen ist die Vorbildfunktion der öffentlichen Verwaltung insbesondere für den deutschen Mittelstand. Natürlich gibt es Grenzen des Wirkungsbereiches. Ein Nationalstaat wird einen globalen Wandel nicht stoppen können.
In weiten Teilen Deutschlands fehlt es an einem modernen Netzausbau. Wie passt diese Realität mit den Zielen der Agenda zusammen?
Van Dyck: Das ist wohl die häufigste Kritik an der deutschen Digitalpolitik. Ein erklärtes - und das wohl bekannteste – Ziel der „Digitalen Agenda“ ist der flächendeckende Breitbandausbau bis 2018. Dass das erklärte Umsetzungsziel damit genau ein Jahr nach der Bundestagswahl liegt – ein Schelm, wer Böses denkt. Ein Problem ist aber in der Tat, dass der Ausbau mit zu wenigen Ressourcen ausgestattet ist und das verantwortliche Bundesverkehrsministerium lange Zeit andere Prioritäten gesetzt hat – Stichwort Autobahn-Maut. Nun hat die Bundesregierung das umstrittene Vectoring zugelassen, das zwar eine schnelle Umsetzung ermöglicht, aber auf die veraltete Kupfertechnologie setzt und Monopolbildung von Anbietern fördert. Und abgesehen davon halten die meisten Experten das Ziel von 50 Mbit/s Downloadgeschwindigkeit ohnehin für ambitionslos.
Zum Abschluss ein Blick in die Kristallkugel: Was kommt nach der „Digitalen Agenda (2014-2017)“? Kann man heute schon einen Ausblick auf das nächste Jahrzehnt wagen?
Van Dyck: Wie hat schon Mark Twain gesagt: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Spaß beiseite. Es ist natürlich so, dass insbesondere im Technologieumfeld der Wandel besonders schnell ist, aber einige Tendenzen sind gut absehbar. Was kommen wird, ist das taktile Internet – eine neue Generation mit viel höherer Geschwindigkeit, die wir für Echtzeitanwendungen über das Netz benötigen. Digitales wird verpflichtend in Schulen und Universitäten eingebunden. Zukunftsthemen sind Blockchain und selbstlernende Algorithmen, die im Sinne von Smart Politics auch die Gesetzgebung verändern können. Technischer Datenschutz und Cyberabwehr werden immer wichtiger und Deutschland kann hier seine Position als Standortvorteil verkaufen. Verwaltung wird offener mit stärkerer Bürgerbeteiligung. Nicht zuletzt brauchen wir einen digitalen Gesellschaftsvertrag, also wie wir in diesem Zeitalter miteinander leben möchten. Die Flüchtlingskrise kann hier sogar ein positives Momentum entwickeln. Viele Flüchtlinge agieren smart mit ihren Mobilgeräten und die Verwaltung ist auf eine digitale Vernetzung angewiesen, um diesen Aufwand überhaupt zu bewältigen. Bald werden wir dann nicht mehr über Digitalisierung diskutieren, sondern selbstverständlich in einem Post-Digitalen Zeitalter leben.
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm