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Dr. Tim Weiss promovierte seit Januar 2013 am Civil Society Center | CiSoC an der Zeppelin Universität und behandelte dort den Konflikt zwischen Sozialinvestitionen und traditionellen Investments in Kenia. Bereits neben seinem BWL-Studium in Wien hat er sich intensiv mit der internationalen Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt. Nach dem Bachelorabschluss arbeitete er zwei Jahre für verschiedene internationale und bilaterale Organisationen im Projektmanagement und als Consultant in Kenia sowie in Äthiopien. Er setzte sich während dieser Zeit praktisch mit der internationalen Nothilfe und ländlicher Wirtschaftsentwicklung auseinander. Während seines Masterstudiums an der Zeppelin Universität setzte er seine Erfahrungen in den wissenschaftlichen Kontext und konzentrierte sich zunehmend auf soziale Unternehmen und internationale Investoren in Ostafrika. Heute arbeitet und forscht er als Postdoctoral Scholar an der Stanford University.
In Ihrem Buch beleuchten Sie Einflüsse und Chancen der Digitalisierung in Afrika, besonders in Kenia. Viele afrikanische Länder sind einfach in eine Welt aus Smartphones und modernen Technologien gepurzelt und haben dabei einige Stufen der technischen Entwicklung übersprungen. Auf welchem technologischen Level befinden sich Länder wie Kenia heute?
Dr. Tim Weiss: In der Tat, das sogenannte „leap frogging“ wird oft mit Entwicklungen im Globalen Süden in Zusammenhang gebracht. Das mentale Entwicklungsmodell, welches dahinter steckt, ist ein lineares. Es nimmt also an, eine Ökonomie sollte eine nach der anderen Entwicklungsstufe in der Industrialisierung und Digitalisierung durchwandern. Die Realität sieht aber oft ganz anders aus. Insbesondere die Globalisierung ermöglicht es, sich neueste Entwicklungen in kürzester Zeit anzueignen. Warum also warten und den Weg von anderen gehen, wenn es eine Abkürzung gibt? In Kenia finden wir also einen Schneider, der in ländlichen Gebieten noch mit einem mit Kohle beheizten Eisen Hemden bügelt und zur gleichen Zeit Geld von einem US-amerikanischen Konto innerhalb von Sekunden auf sein mobiles Sparkonto überwiesen bekommt. Bitcoin und die Firma BitPesa machen es möglich. Künstliche Intelligenz ist Dank IBM auch vor Ort. Es koexistieren also verschiedene Technologie-Entwicklungsstufen nebeneinander, was diesen Kontext als Forscher besonders spannend macht!
In Ihrem Buch geht es um einen ganzen Entrepreneurship-Rundumschlag: Innovationen, Kapital, Märkte – welchen Beitrag wollen Sie damit leisten?
Weiss: Drei Punkte sind hier wichtig. Erstens gibt es erschreckend wenig Unternehmertums- und Managementforschung über Afrika. Die meisten, wenn nicht sogar alle, Publikationen beschäftigen sich mit dem Sub-Sahara-Afrika. Implizit in diesem Ansatz ist, dass es einen gemeinsamen Nenner zwischen all diesen verschiedenen Ökonomien gibt. Böse Zungen würden behaupten, dass viele Forscher Afrika als ein Land und nicht als ein Kontinent verstehen. Die Idee, ein Buch über ein Land und einen Industriekontext in Afrika zu verfassen, ist also – so banal es auch klingen mag – neu. Wir wollten ein Werk schaffen, das eine Tiefenanalyse möglich macht, bevor wir die Unterschiede und Überlappungen mit anderen Ökonomien unter die Lupe nehmen. Diese Tiefenanalyse – und das ist besonders wichtig – sollte frei zugänglich sein, und aus diesem Grund ist das Buch auch als Open-Access-Publikation verfügbar.
Zweitens wollten wir eine hochqualitative Synapsis über das, was in Kenia gerade passiert, kreieren. Die Entwicklung schreitet so schnell voran, dass in einigen Jahren ein neues Buch fällig ist. Diese bahnbrechende Entwicklung muss dokumentiert und gespeichert werden.
Drittens besitzt der Buchband eine wundersame Struktur. Das Werk setzt sich aus 15 Kapiteln, geschrieben von mehr als einem Dutzend Experten, und 14 Interviews mit Unternehmern zusammen. Das ist kein Zufall, sondern wir versuchen mit dieser Struktur vor allem die nächste Generation von kenianischen Unternehmern für das Buch zu begeistern. Die Interviews sind dabei die erste Anlaufstelle, und die Hoffnung ist, dass das Blättern den einen oder anderen auch zum Weiterlesen motiviert. Darüber hinaus zeigt die Download-Zahl, dass die Leserschaft nicht nur geographisch divers ist, sondern dass das Buch auch eine breite Leserschaft anspricht. Drei Monate nach der Veröffentlichung wurden bereits 41.000 Kapitel heruntergeladen. Unsere Hoffnung scheint also wirklich zu funktionieren.
Das Buch ist von Gesprächen mit kenianischen Gründern und Pionieren geprägt. Können Sie beschreiben, was das besondere an der kenianischen Gründerkultur ist? Was hat sie hervorgebracht?
Weiss: Drei Ingredienzien sind meiner Meinung nach zentral. Bevor der Unternehmerhype Kenia erfasste, gab es erstens bereits ein sehr ausgeprägtes Telekommunikationsnetzwerk. Insbesondere der durchschlagende Erfolg der Innovation MPesa hat mobiles Banking in breitem Maße ermöglicht und eine Grundinfrastruktur bereitgestellt. Zweitens hat die Verknüpfung von Kenia mit dem globalem Glasfaserkabelnetz die Kosten rapide gesenkt und die Internetgeschwindigkeit erhöht. Nirgends war die Auswirkung so radikal wie in Kenia, der zweite Teil des Titels „An Entrepreneurial Revolution in the Making“ beschreibt genau diesen Zuwachs an unternehmerischer Aktivität. Drittens ermöglicht die Zentralität Nairobis einen konstanten Zustrom von internationalen Gründern, Investoren und Industrieexperten. In kürzester Zeit entstand ein Ökosystem – nicht jedoch durch staatliche Regulierung, sondern durch bottom-up-Bewegungen, die von Unternehmern selbst gesteuert wurden. Es war von Anfang an ein gemeinschaftliches Projekt. Der Gründerspirit ist also genährt durch die Vermischung von Kenianern aus allen Bereichen der Gesellschaft mit internationalen Fachkräften aus allen Teilen des Welt, auch aus Deutschland. Kenia ist so zu einem außerordentlichen Melting Pot geworden!
Immer wieder liest man von ausländischen Investoren, welche die afrikanische Wirtschaft „abgrasen“. Können junge Unternehmen dort überhaupt florieren?
Weiss: Diese Frage ist ganz besonders wichtig und kritisch. Eine saloppere Art, diese Frage zu formulieren, wäre: Wer geht am Ende mit dem Geld nach Hause? Die Antwort hängt davon ab, welche Perspektive man einnimmt. Spannend ist hier die Publikation „The Digital Sublime“ von Harvard Professor Vincente Mosco, der über die Mythen spricht, welche sich in jedem technologischen Wandel widerspiegeln – so auch im digitalen Zeitalter. Der Wunsch nach der Demokratisierung von Informationen, aber auch die gerechte Verteilung von Ressourcen ist zentraler Bestandteil des Narrativs. Wenn wir nur alles digitalisieren, dann haben alle Zugang zu Informationen und so entstehen gewisse Asymmetrien, wie wir sie in der heutigen Gesellschaft erleben. Mosco zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass dies ein Irrglaube ist. Die Kontrolle bleibt bei einigen wenigen. Was bedeutet das für unseren Fall in Kenia? Der Verkauf von Unternehmensanteilen und der Börsengang ist zentraler Bestandteil des Technologieunternehmers und letztlich der legitime Weg, um für die harte Arbeit entschädigt zu werden. Wer jedoch soll diese Anteile kaufen? Der Blick fällt schnell auf ein paar Unternehmen, nämlich die üblichen Verdächtigen: Google, Microsoft, Samsung und Co. Interessanterweise haben all diese Firmen bereits eine Außenstelle vor Ort.
Um zur Frage zurückzukommen: Auch junge Unternehmen können florieren, wer aber am Ende das Geld mit nach Hause nimmt und somit Entwicklungseffekte in Gang setzen kann, bleibt kritisch zu begutachten. Eine Expatriierung des Geldzuwachses in den Globalen Norden, wie es seit Jahrhunderten passiert, würde das Technologie-Unternehmertum gleich neben die Landwirtschaft und den Abbau von natürlichen Ressourcen einreihen. Im Endeffekt bedeutet das: Ressourcenzuwachs für den wirtschaftlichen Fortschritt des Globalen Nordens auf Kosten des Südens. Dieser Tatbestand bringt ein gewisses Geschmäckle bei jedem vermeintlichen Fortschritt mit sich.
Können wir für Deutschland und die deutsche Gründerkultur etwas von Kenia und anderen afrikanischen Ländern lernen?
Weiss: Im Innovationsdiskurs in Deutschland sind Kenia und andere Länder in Afrika bemerkenswert unterrepräsentiert. Wir sind immer noch gefangen in der Idee, dass wir Hilfsgüter schicken müssen, um unser Gewissen zu besänftigen und sind überrascht, was alles so außerhalb unseres „normalen“ Fokus passiert. Die Frage ist also nicht, ob wir etwas lernen können – denn das können wir immer –, die Frage ist eher, ob wir einen Beitrag leisten können, brillante Investitionen nach vorne zu bringen und somit eine gemeinsame Zukunft zu kreieren und Antworten und Lösungen auf globale Herausforderungen zu finden. Die Frage, die wir uns stellen müssen, sollte also lauten, welche Besonderheiten deutsche Gründer mitbringen könnten, die den Innovationsprozess bereichern und weiter beschleunigen?
Im letzten Kapitel stellen Sie die Frage, was Afrika als nächstes erwartet. Was ist denn Ihre Antwort auf die Frage?
Weiss: Eine ganze Reihe an kritischen Punkten könnte ich hier nennen, aber ich bleibe mal bei einem Punkt und schließe an die vorhergehende Überlegung an. Ohne Strategie und klare Ziele werden sich höchstwahrscheinlich ähnliche Entwicklungen wie in anderen Hochtechnologie-Clustern vollziehen. Das würde viel Innovation bedeuten, von der am Ende nur wenig beim Großteil der Bevölkerung herumkommt. Facebook und Google erwirtschaften große Umsätze mit einem Bruchteil an Mitarbeitern. Wie also stellt man sicher, dass Technologie-Unternehmertum kein Elitenphänomen bleibt, sondern auch Entwicklungseffekte für die breite Bevölkerung generiert – nicht nur durch das Konsumieren von innovativen Produkten, sondern auch durch die Teilhabe am Produktionsprozess. Diese Frage braucht eine Antwort, am besten früher als später. Die Definition von Zielvorstellungen bleiben jeder Ökonomie und jedem Cluster selbst überlassen, es wird aber spannend zu sehen, wie junge Innovationscluster damit umgehen.
Ein Beispiel: Die kenianische Organisation Akirachix hat es geschafft, sehr früh die Rolle der Frau in den sogenannten MINT-Feldern zu beleuchten und somit die üblichen Stereotypen zeitnahe auf die Agenda zu setzen, um Wege zu finden, Frauen den Zugang zu erleichtern. Solche Ansätze am Anfang der Industrieemergenz können die Prägung ändern und neue Normen und Werte einführen – nämlich, dass Frauen ein gleichberechtigter Bestandteil der Industrie sind. Auf einer anderen Ebene versucht beispielsweise der Philanthrop Tony Elumelu den Kapitalismus mit einem neuen Charakter auszustatten. Ubuntu-Konzepte kommen hier ins Spiel, um den „Raubtierkapitalismus“ in ein gemeinschaftliches Konzept umzupolen. Es bleibt spannend, zu sehen, wo das in der Zukunft hinführen wird. Ich werde dran bleiben und berichten!
Titelbild:
| Erik HASH Hersman / Flickr.com (CC BY 2.0)
Bilder im Text:
| Schreibkraft / Eigenes Werk (CC BY-SA 3.0)
| Raidarmax / Eigenes Werk (CC BY-SA 3.0)
| tpsdave / Pixabay.com (CC0 Public Domain)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm