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Professor Dr. Jan Söffner, geboren 1971 in Bonn, studierte Deutsch und Italienisch auf Lehramt an der Universität zu Köln. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss promovierte er am dortigen Romanischen Seminar mit einer Arbeit zu den Rahmenstrukturen von Boccaccios „Decamerone“. Die nächsten drei Jahre führten ihn als wissenschaftlichen Mitarbeiter an das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung nach Berlin. Zurückgekehrt an die Universität zu Köln, erfolgte neben einer weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit am Internationalen Kolleg Morphomata die Habilitation. Jan Söffner übernahm anschließend die Vertretung des Lehrstuhls für Romanische Philologie und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen und leitete Deutsch- und Integrationskurse für Flüchtlinge und Migranten an den Euro-Schulen Leverkusen. Zuletzt arbeitete er erneut am Romanischen Seminar der Universität zu Köln und als Programmleiter und Lektor beim Wilhelm Fink Verlag in Paderborn. An der ZU wird Professor Dr. Jan Söffner zur Ästhetik der Verkörperung, zur Kulturgeschichte sowie zu Literatur- und Theaterwissenschaften lehren und forschen.
Mit einem Augenzwinkern haben Sie gleich zu Beginn Ihrer Antrittsvorlesung offenbart, dass Sie Ihre Arbeit noch nie als Kulturanalyse bezeichnet haben. Was bedeutet dieser Begriff denn? Kann man so etwas großes wie „Kultur“ überhaupt analysieren?
Prof. Dr. Jan Söffner: Das kommt auf die Methoden an – und hier liegt die Herausforderung für mich. Eine Kultur als Ganze, denke ich, wird man kaum analysieren können, ohne extrem reduktionistisch zu werden. Abgesehen davon ist es schier unmöglich, einzelne Kulturen scharf voneinander zu unterscheiden – sie sind dafür viel zu stark miteinander verflochten und vernetzt. Damit fehlt einer Kulturanalyse auch gewissermaßen der klar benennbare Gegenstand. Erst in der Analyse lässt sich der Gegenstand klar herauspräparieren. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Wege – einer von unten und einer von oben. Einerseits die Analyse einzelner, möglichst paradigmatischer Kulturphänomene, aus denen sich Rückschlüsse auf große Zusammenhänge ziehen lassen. Dieser bottom-up-Zugriff liegt mir eigentlich am meisten. Und andererseits gibt es die Suche nach die ganze Kultur durchziehenden Prinzipien, Strukturen und vor allem Verfahren und Prozessen, denn entlang der Ordnung, die sie stiften, lassen sich die großen Linien beschreiben. Das ist dann zwar reduktionistisch, aber es ist auch legitim, denn man kann daran sehr viel verstehen. Niklas Luhmanns Systemtheorie leistet so etwas – oder auch Michel Foucaults Diskursanalyse.
Für Ihre Antrittsvorlesung haben Sie sich keines einfachen Themas angenommen: den Prinzipien von Geld und deren Verhältnis zur Sprache. Für viele ist Geld aber nichts anderes als Zahlungsmittel oder Ausdruck von Wohlstand. Warum ist an dieser Stelle nicht Schluss, sondern warum besteht die Notwendigkeit fürs Weiterdenken?
Söffner: Weil man dann noch nichts verstanden hat. Man kann auch über Wasser sagen, dass es gut ist, um getrunken zu werden, und es damit gut sein lassen. Aber dann lernt man nichts über seine chemische Zusammensetzung. Nicht zu denken ist etwa an eine Elektrolyse, durch die man den Wasserstoff erzeugt, mit dem unter anderem Zeppeline flogen. Verstehen kann viel bringen – und zwar gerade dann, wenn man Fragen stellt, die auf den ersten Blick keinen Zweck haben, sondern nur um des Verstehens selbst gestellt werden.
Wenn mal also beginnt zu fragen, dann kann man Geld zunächst als ein Medium beschreiben. Allerdings würde ich sagen, dass man mehr versteht, wenn man es als Zeichensystem beschreibt – denn immerhin bildet es Zeichenträger, sogenannte Signifikanten, aus. Diese sind arbiträr, das heißt sie haben potentiell nichts mit dem Wert zu tun, den sie bezeichnen. Die Kulturgeschichte hat gezeigt, dass mal Metalle und Münzen, mal Papier, mal riesige runde Steine, mal Zigaretten, mal virtuelle Zahlen als Geld funktionieren konnten. Das ist bei der Sprache ähnlich. Aber die Unterschiede sind noch sprechender. Und der wichtigste ist: Geld bezeichnet Werte und Schuld, nicht Bedeutungen.
Mit Blick auf Michel Foucault könnte man sagen, Sprache sei zu facettenreich und Geld zu arm an Varianz. Sie sagen, dass „Märkte“ die nötige Instanz seien, damit Geld zur „bunten Welt der Erscheinungen“ sprechen kann. Können Sie erklären, wie Märkte dabei im kulturwissenschaftlichen Sinne funktionieren?
Söffner: Märkte bringen Werte, Schulden und Bedürfnisse mit den kulturellen Bedeutungen in Berührung. Sie bringen das Geld sozusagen zum Sprechen. Das tritt an komplexen Kulturphänomenen wie der theologischen Schuld zutage. Denkt man zum Beispiel einmal daran, dass gerade das „Luther-Jahr“ gefeiert wird, dann weiß man, dass das Geld auch einmal auf das Seelenheil sprechend gemacht, quasi mit ihm verrechenbar wurde. Das hilft einem nicht nur zu berechnen, wie viel den Menschen die Vermeidung des Fegefeuers wert war, es hilft auch zu erkennen, was sich sprachlich allein nicht so gut regeln lässt und wofür sich stattdessen das Geld anbietet. Wie viel Geld auf diesem Handel mit einem virtuellen Gut im Umlauf war, wie gehandelt wurde und wofür man das Geld hinterher einsetzte, sagt einiges über die damalige Kultur aus. Geld bietet sich für Formen der Kulturanalyse an. Marktforscher wissen das – und deren Wissen für die Kulturwissenschaften fruchtbar zu machen, ist meine Hoffnung.
Ihre theoretischen Beobachtungen führen Sie zum Konzept des „Marktes des Denkens“ zusammen. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Söffner: Dahinter steckt vor allem die produktive Inkongruenz von Sprache und Geld. Wie kann man einen Gedanken „verkaufbar“ machen, wenn er sich doch einfach gratis weitersagen lässt? Wie hält man ihn knapp und das Bedürfnis nach ihm groß genug, um ihn auf einen Markt bringen zu können? In meinem Vortrag war mein Argument, dass es vor allem die Anbindung an einen möglichst schwierig bewahrenden Wortlaut war, der Gedanken „verkaufbar“ machte. Am teuersten wird es dort, wo man lange, im Wortlaut unveränderliche heilige Texte hat – und einen möglichst teuren Träger wie zum Beispiel das Pergament. Eine Bibel kostete im Mittelalter so viel wie ein Bürgerhaus in Straßburg. Wer sie nicht auswendig konnte, hatte also einen gehörigen Preis zu zahlen. Im digitalen Zeitalter hingegen ist es schwierig geworden, Gedanken knapp genug zu halten.
Genau mit dieser Überlegung über das digitale Zeitalter sind Sie am Ende Ihres Vortrages in der Praxis gelandet und haben auch aus Ihren Erfahrungen in der Verlagsbranche berichtet. Seien es Raubkopien, Creative Commons-Lizenzen oder Open Access-Publikationen. Wohin entwickelt sich denn der „praktische“ Markt des Denkens?
Söffner: Gedanken sind extrem billig geworden. Man könnte darüber glücklich sein, weil der Zugang zum Denken für ärmere Leute leichter wird. Aber man darf auch nicht vergessen, wie es gerade das Geld war, das im Zeitalter der Bücher eine intellektuelle Öffentlichkeit geformt hat. Noch vor 20 Jahren wusste man, was man gelesen haben muss, um mitreden zu können: Man hatte Feuilletons, in denen gute Bücher bekannt gemacht wurden, oder einen Buchhandel, der Veranstaltungen organisierte. Das alles wurde getragen vom Markt. Ist zu wenig Geld auf diesem Markt, dann bricht all das nach und nach zusammen. Das ist ein Problem auch für das Denken selbst, denn auf der Seite der auf den Verkauf schielenden Denker bricht dann der Kampf um die knappe Aufmerksamkeit aus. Und das kann dann ein Kampf sein, der es geradezu notwendig macht, es mit der Wahrheit nicht mehr so genau zu nehmen.
Auf der Seite des akademischen Denkens hingegen wird die Anerkennung der Kollegen zur einzigen Münze, was aber nur noch weiter weg von der Öffentlichkeit führt: Die geisteswissenschaftlichen Fakultäten werden zu Türmen, die aus Geldmangel nicht einmal mehr aus Elfenbein, sondern nur noch aus Beton gebaut sein können. Akademische und zivilgesellschaftliche Intellektualität werden zwei verschiedene Dinge. Diese Entwicklung gefällt mir gar nicht, denn der Zusammenhalt von akademischem Denken und Öffentlichkeit scheint mir nicht allein für die geisteswissenschaftliche Intellektualität, sondern auch für die Gesellschaft im Ganzen extrem wichtig zu sein – und ich werde auf meinem Lehrstuhl versuchen, genau für diesen Zusammenhalt neue Wege zu finden.
Wo legen Sie Ihre Forschungsschwerpunkte als Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse?
Söffner: Sicherlich auch auf das Geld und auf den Markt des Denkens. Aber zudem auf Körperlichkeit und Performanz. Außerdem versuche ich ein Literaturprogramm auf die Beine zu stellen.
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Interview: Florian Gehm | vom 08. Juni 2017
Redaktionelle Umsetzung: CvD