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Nach einigen Jahren im Berufsleben zog es Yasemin Efiloglu 2018 an die Zeppelin Universität. Dort absolvierte sie ihr Bachelorstudium in „Communication, Culture & Management“ und erhielt für ihre Abschlussarbeit den Best Bachelor Thesis Award. Während ihrer Unizeit vertiefte sie sich in feministische Theorie und ließ keine Gelegenheit aus, Seminararbeiten aus diesem Blickwinkel zu verfassen. Seit vielen Jahren setzt sie sich in verschiedenen Initiativen für die Rechte von marginalisierten Menschen ein. Seit 2022 ist Yasemin Strategin bei Accenture Song, einer Beratung für Digitale Produkte und Services. Dort ist sie auch als Lead für eine Diversity & Inclusion Initiative tätig.
Bei der Bundestagswahl 2021 ist der Anteil von Frauen im Parlament nur leicht gestiegen – von 31 auf 34 Prozent. Sie bleiben in der Minderheit. Wie steht es in unseren Bundes- und Landesparlamenten um die Geschlechtergerechtigkeit?
Yasemin Efiloglu: Diese Zahl ist nur ein Beispiel dafür, dass wir ein Defizit in puncto Geschlechtergerechtigkeit in unserer Demokratie haben. Es ist wichtig, sich in diesem Zusammenhang klarzumachen, was hier Geschlechtergerechtigkeit eigentlich bedeutet: Es bedeutet, dass Frauen in Deutschland immer noch viel weniger zu politischen Entscheidungen und damit zur Gestaltung unserer Gesellschaft beitragen können als Männer. Ich glaube, diese Erkenntnis wird noch eindrücklicher, wenn man sich die Zahlen aus den vergangenen Jahren anschaut und feststellt: Eine paritätische Besetzung der Parlamente gab es noch nie und eine 30-prozentige Besetzung besteht bereits seit den 1990er-Jahren. Außerdem nimmt die Repräsentation von Frauen in unseren Parlamenten seit 2015 auch eher wieder ab.
In Deiner Bachelorarbeit wolltest Du die Ursachen für dieses Ungleichgewicht untersuchen – und zwar anhand der Selbstdarstellung von Politiker:innen. Wie stellt sich „so ein Politiker“ denn grundsätzlich selbst dar?
Efiloglu: Der Ausgangspunkt meiner Arbeit mit dem Titel „Overcoming the Double Bind? – Die Selbstdarstellung von Politiker:innen in den Landtagswahlen 2021 auf Instagram“ ist, dass die Wahl von Politiker:innen nicht nur von ihrer Fremddarstellung durch die Medien abhängt, sondern eben auch von ihrer Selbstdarstellung. Gerade die Selbstdarstellung ist in Zeiten von Instagram, Twitter und Co. ein noch wichtigerer Modus geworden, der für Politiker:innen auf den ersten Blick viele Vorteile bietet. Man hat theoretisch viel Kontrolle über das Messaging der eigenen Inhalte, kann sich also sehr genau überlegen, wann möchte ich was und wie viel von mir preisgeben. Grundsätzlich möchte sich jeder und jede natürlich im besten Licht darstellen. Was das genau für die Einzelnen bedeutet, variiert. Aber grundsätzlich wollen Wähler:innen mehr über die Person hinter dem Amt erfahren. Nahbarkeit, Sympathie, aber auch Geschlecht spielen eine Rolle, erst danach folgen dann die Themen und Programme. Diesem Bedürfnis passen sich Politiker:innen im Kampf um Wählerstimmen an.
Was sind die zentralen Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Selbstdarstellung?
Efiloglu: Grundsätzlich liegt der größte Unterschied im Sich-Bewusst-Sein über das eigene Geschlecht und den Geschlechterstereotypen, die daran angehängt sind. Ich würde sagen, die wichtigste Erkenntnis meiner Arbeit ist, dass sich weibliche wie männliche Politiker:innen immer noch sehr konform zu ihren stereotypischen Rollenerwartungen verhalten, was sich wiederum in ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien zeigt.
Politikerinnen befinden sich bei der Selbstdarstellung in einer Sondersituation – im Double Bind. Was steckt hinter diesem Fachbegriff?
Efiloglu: Der Double Bind beschreibt das Phänomen, dass von weiblichen Politikerinnen anders als von den Männern erwartet wird, dass sie sich zum einen wie eine stereotypische Frau verhalten, zum anderen sollen sie dem Bild eines starken Politikers entsprechen (diese Worte wähle ich bewusst), das im Allgemeinen immer noch ein männliches ist. Es herrscht also ein Gefälle zwischen der Vorstellung von Frauen und der Vorstellung von Menschen mit Führungsverantwortung. Ein Spagat oder eben ein Double Bind, der für Politikerinnen nur schwer zu lösen ist und in die eine oder andere Richtung abgestraft werden kann. Ein Beispiel ist der Verlust von Wählerstimmen.
Kannst Du anhand zweier Beispiele erläutern, welche Politikerinnen sich für welche „Seite“ – also für männlich konnotierte Eigenschaften oder nicht – entschieden haben?
Efiloglu: Ein Beispiel wäre auf der Bildebene der Dresscode in der Politik. Politikerinnen scheinen sich hier größtenteils immer noch der männlichen Prägung vom Bild des Politikers anzupassen. Der Hosenanzug überwiegt also. Die einzige Entwicklung, die ich in meiner Arbeit aufgedeckt habe, ist, dass Frauen ein bisschen mehr Farbe wagen. Hier ist der Blazer mal blau oder rot statt dem üblichen Grau und Schwarz.
Ein anderes Beispiel ist das Zeigen bzw. Nichtzeigen der eigenen Familie. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber während der vergangenen Bundestagswahl wurde Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mehrmals heftig angegangen, was ihr den einfalle, Bundeskanzlerin und gleichzeitig Mutter sein zu wollen. Dieser Vorwurf wurde den Vätern Olaf Scholz und Armin Laschet allerdings nicht gemacht. Das Preisgeben des eigenen Familienstandes scheint folglich für Frauen in der Politik riskanter zu sein als für Männer, weil hier einfach das alte Rollenverständnis für Frauen noch überwiegt. Im Zuge meiner Arbeit konnte ich beobachten, dass Männer sehr viel häufiger ihre Familie in ihrer Social Media-Kommunikation zeigten als die weiblichen Kandidatinnen.
Welche Rolle spielt das Erstarken sozialer Medien in den vergangenen Jahren für die Selbstdarstellung? Sorgt das für eine Stärkung von Politikerinnen oder nicht?
Efiloglu: Soziale Medien haben grundsätzlich das Politikmachen verändert – und die gestärkte Bedeutung der Selbstdarstellung ist ein wichtiger Aspekt dieses Wandels. Ich weiß, es gibt den Diskurs, dass soziale Medien besonders für marginalisierte Gruppen – zu denen Frauen gehören – positiv sind. Ich sehe das jedoch kritisch. Soziale Medien begünstigen die Selbstdarstellung und schaffen insofern tatsächlich einen Raum, um den Stimmen von marginalisierten Gruppen mehr Gewicht zu verleihen.
Es muss jedoch zwischen Raum und Partizipation in politischen Entscheidungsprozessen unterschieden werden. Nur weil ich als Politikerin über Social-Media-Kanäle verfüge, heißt das noch lange nicht, dass ich mehr (Entscheidungs-)Macht habe. Ich habe in meiner Arbeit sogar herausgefunden, dass mehr Frauen als Männer über Social Media-Profile verfügen. Politikerinnen wissen um die Chance, ihre Stimmen hörbar zu machen, aber sind nicht naiv zu glauben, dass damit alle Ungleichheiten gelöst sind. Es bleiben strukturelle Probleme im Wahlsystem, die zur Unterrepräsentation von Frauen führen – und diese müssen angegangen werden. Keine Technologie kann das ohne diese Vorarbeit leisten.
Welche Unterschiede gibt es in der Selbstdarstellung von Politiker:innen zwischen den einzelnen sozialen Netzwerken? Kann man da überhaupt verschiedene Rollen annehmen oder ist das sogar riskant, sich bei der Selbstdarstellung zu überheben?
Efiloglu: Da kann ich nur Vermutungen anstellen, da ich mich auf die Plattform Instagram konzentriert habe. Es kann jedoch gesagt werden, dass die Plattformen nach verschiedenen Inszenierungslogiken funktionieren und sich die User dem anpassen müssen, um erfolgreich zu sein. Grundsätzlich scheint es nicht klug, sich als Politiker:in auf verschiedenen Plattformen unterschiedlich darzustellen. Die Inhalte und das Image, die man vermitteln möchte, sollten plattformübergreifend kongruent sein.
Wie verändert sich die Selbstdarstellung vom normalen politischen Geschäft hin zu Wahlkampfzeiten? Und womit kann man vor Wahlen besonders gut punkten?
Efiloglu: Zunächst einmal nimmt der Druck zu kommunizieren in Wahlkampfzeiten enorm zu. Es stehen mehr Ressourcen zur Verfügung, es gibt mehr Wahlkampfveranstaltungen, auf denen man präsent sein muss – und natürlich bestimmt der eigene Ehrgeiz darüber, wie viel man sich zeigen möchte. Das beeinflusst die Selbstdarstellung demnach zunächst einmal in quantitativer Weise. Zudem konnte in einer Studie … gezeigt werden, dass die Selbstdarstellung vor allem in der heißen Wahlkampfphase (vier bis sechs Wochen vor dem Wahltag) gegenüber der Vermittlung von Inhalten und Programmen deutlich zunimmt. Besonders mit Persönlichem und starken Emotionen lassen sich kurz vor der Wahl einfach am besten Stimmen fangen.
Deine Arbeit beschreibst Du selbst als „explorativ“. Sie eignet sich also für die Weiterentwicklung von Theorie. Wo würdest Du als Nächstes ansetzen, wenn Du in diesem Forschungsfeld weitermachst?
Efiloglu: Ich glaube, mich würde am meisten interessieren, wie die Forschungsergebnisse in anderen Länderkontexten aussehen. Ich würde diese Untersuchung beispielsweise gerne mal in der Türkei oder in Brasilien durchführen. Ansonsten ist es sicherlich interessant, sich andere Plattformen wie beispielsweise TikTok oder Twitter anzuschauen. Sehr spannend würde ich auch Interviews mit Politiker:innen finden. Ich könnte mir vorstellen, dass die eigene Wahrnehmung von Politiker:innen und die Ergebnisse der Inhaltsanalysen stark voneinander abweichen könnten.
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Würde es Dich eigentlich reizen, selbst einmal in einem Bundes- oder Landesparlament zu sitzen oder dort für mehr Gleichberechtigung zu kämpfen?
Efiloglu: Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich nichts ausschließen. Wenn es mit der fehlenden Diversität im Bundestag so weitergeht, dann glaube ich, dass man als Einzelne Verantwortung übernehmen muss – und davon schließe ich mich nicht aus.
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm