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Professor Dr. Stephan A. Jansen wurde im Mai 2003 zum Gründungspräsidenten und Geschäftsführer der Zeppelin Universität berufen. Im gleichen Jahr wurde er durch das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg als Professor auf den Lehrstuhl für „Strategische Organisation & Finanzierung | SOFI“ ernannt. Mit 31 Jahren war er der jüngste deutsche Universitätspräsident. Nach einer Banklehre als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes absolvierte er ein Studium der Wirtschaftswissenschaft in Witten/Herdecke, an der New York University sowie Tokyo Keizai University mit Auszeichnung. 1997 bis 2003 schlossen sich weitere wissenschaftliche Stationen an der Stanford University sowie der Harvard Business School mit der Promotion (summa cum laude) an.
Der Begriff der Kooptation bezieht sich auf die Rekrutierung von Eliten. Bei dieser Regelung zur Nachfolge bestimmen einzelne Mitglieder oder die gesamte Gruppe, wer neues Mitglied werden soll. Die Entscheidung erfolgt dabei nicht anhand von objektiv überprüfbaren Kriterien, sondern kann nur von denen durchgeführt werden, die selbst Teil der kooptierenden Schicht sind. Zu erfüllende Merkmale sind zum Beispiel schicht- oder gruppenspezifisch geprägte Verhaltensweisen wie Sprachgewohnheit, Kleidungsstil oder Umgangsformen. Man kann zwischen offener und geschlossener Kooptation unterscheiden. Bei geschlossener Kooptation wird davon ausgegangen, dass Fähigkeiten und die Bereitschaft zu Leistung nur innerhalb bestimmter Familien weitergegeben werden kann. Sie ist mit einem Prestigedenken verbunden, das von einer „unüberwindbaren natur- oder gottgegebenen Distanz“ (Eike Bohlken) zwischen unterschiedlichen Schichten ausgeht. Bei offener Kooptation sind die Auswahlkriterien transparent, daher wird hier oft der Anspruch auf Leistungsgerechtigkeit erhoben. Doch auch hier kann ein Außenstehender seine Aufnahme nicht durch eigene Anstrengung erzwingen, da die Entscheidung bestehenden Mitgliedern der Elite vorbehalten ist.
Quelle: Eike Bohlken: Die Verantwortung der Eliten: Eine Theorie der Gemeinwohlpflichtigen.
Es ist Wahlkampf. Und wenn man in modernen Gesellschaften kämpft, dann meist mit zwei Verlierern – so gerade auch bei der Bildung. Wer nun über das Betreuungsgeld in Depressionen verfällt, kann dafür wenigstens ohne Praxisgebühr behandelt werden. Ironiefähigkeit gilt als bestes Therapeutikum. Wissenschaft beherrscht dies, trotz allen Erkenntnis- und Gestaltungsinteresses. Wir müssen hier aber, wie Horst Köhler in seiner Funktion als Bundespräsident rollenkonform und zu Recht formulierte, ehrgeiziger sein.
Tatsächlich kann diese Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte schwermütig machen, weil keine Regierung den Mut aufbringt, Familien- und Bildungspolitik jenseits der Ideologien anzupacken, das heißt, in Arbeitsteilung zwischen Familie, Staat, Zivilgesellschaft und Markt im internationalen Vergleich angemessen zu finanzieren.
Schärfer formuliert: Es geht um die Beendigung des deutschen Skandals der noch immer weitreichenden Herkunftsabhängigkeit der Bildungsbiographien, also der Kooptationseliten. Soziologen sprechen vom Versagen der sozialen Durchlässigkeit. Diese soziale Lässigkeit können wir uns bei dem demographischen Gegenwind auf den Arbeitsmärkten und bei der staatlichen Verantwortung für die nächste Generation und die Migranten aber weder individuell noch betriebs- und volkswirtschaftlich leisten.
Mit Bildungsthemen kann man keine Wahlkämpfe gewinnen, so heißt es – aber zunehmend verlieren, so sieht man. Verloren haben aber in den vergangenen Jahrzehnten vor allem die, die beim sozialen Lift, also dem vielleicht letzten sozialstaatlichen Politik-Versprechen überhaupt, angestanden haben – und bis heute warten, nicht selten im Transfersystem.
1. Mehr Bildungsabsteiger als Aufsteiger:
In Deutschland erreichen 22 Prozent der jungen Menschen laut des neuen OECD-Bildungsberichts nicht das Bildungsniveau ihrer Eltern. Umgekehrt schaffen mit 20 Prozent weniger einen höheren Abschluss als ihre Eltern. Deutschland liegt damit ganz weit hinten. Im Durchschnitt schaffen 37 Prozent den Aufstieg und nur 13 Prozent fallen zurück. Und das bei niedrigem Ausgangsniveau.
2. Akademiker-Anteil an Altersgruppe weltweit einzigartig stabil:
Deutschland ist nahezu das einzige Land, in dem der Akademikeranteil unter den 25- bis 34-Jährigen mit 26 Prozent heute fast identisch ist mit dem in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen. OECD-weit ist ein Anstieg der Akademikerquote von 23 auf 38 Prozent zu beobachten.
3. Herkunftsabhängigkeit der Bildungsbiographien weltweit führend:
Die Studien des UN-Menschenrechtsrat, der OECD, denen vieler Stiftungen wie zum Beispiel der Vodafone Stiftung zeigen immer wieder den gleichen Befund: Bildungsherkunft entscheidet in Deutschland stärker als in nahezu allen anderen Ländern über Bildungszukunft. Von hundert Akademiker-Kindern werden 71 Akademiker und von hundert Nicht-Akademikerkindern eben nur 24, so die letztverfügbaren Zahlen für 2007.
4. Zu geringe und genau verkehrte Bildungsfinanzierung:
Die Finanzkrise hat in den meisten Industrienationen nicht zu drastischen Einschnitten bei den Bildungsinvestitionen geführt. In Deutschland wenden Staat, Wirtschaft und Privatpersonen 5,3 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) für Bildung auf – 0,9 Prozentpunkte weniger als OECD-Schnitt. Dramatischer hingegen ist die Verkehrung der Verhältnisse in der Finanzierung der Bildungsstufen. Während in allen entwickelten Ländern die Kindergärten und Primarschule einen geringeren privaten Finanzierungsanteil als der Hochschulbereich aufweist, ist es in Deutschland seit Jahren genau umgekehrt – übrigens wie in Griechenland, wo auch die Kita-Gebühren höher sind als die Studiengebühren.
1. Jugend-Arbeitslosigkeit und Duale Bildung stellen keine Ausrede dar:
Unsere geringe Arbeitslosigkeit liegt an der derzeitigen Stärke der deutschen Wirtschaft – und an der demographischen Schwäche. Dass die duale Ausbildung immer als rituelle Rückweisung aller Kritiken genommen wird, wird auch zunehmend zu einer Schwäche der politischen Kommunikation. Hier wäre ebenfalls Ehrlichkeit und eine Weiterentwicklung der tatsächlich innovativen Dualen Hochschulbildung hilfreicher.
2. Nobelpreis-Forschung wiederlegt Bundesregierung:
Die bildungsökonomische Formel ist simpel: „Mehr Geld am Anfang, weniger am Ende.“ Dann gibt es den sich selbst verstärkenden Bildungskaskaden-Effekt, die der Chicagoer Wirtschaftsnobelpreisträger James Heckman als „skill multiplier“ beschreibt: Frühe Bildungsinvestitionen erhöhen wie ein Multiplikator auch die Rendite aller späteren Bildungsinvestitionen. Die Strategie, mehr Geld für hochwertige Frühförderung in Krippen und Kindergärten auszugeben und dafür zu sorgen, dass wie in den skandinavischen Universalsystemen möglichst alle Kinder sie besuchen, ist nicht nur volkswirtschaftlich und neurowissenschaftlich vergleichsweise unstrittig. Die genetische und soziale Geburtslotterie kann nur so ohne Verluste gemeistert werden. Was macht Deutschland? Abbremsen des Kita-Ausbaus und gleichzeitige Abschaffung der Studiengebühren – nun auch in Bayern, weil „man es sich leisten kann“.
Deutschland muss sich auf den Kopf stellen – und zwar richtig. Bildung ist nicht per se ein öffentliches, das heißt: Es ist kein kostenloses und durch den Staat zu erbringendes Gut. Die Wirklichkeit ist bunter!
Schulbildung ist ein sogenanntes meritorisches Gut, also zwangsbeglückend, Nachhilfeunterricht, der auch Schuldefizite ausgleicht, hingegen der größte private Bildungsmarkt. Hochschulbildung ist ein Club-Gut, derzeit von der Allgemeinheit finanziert und von dem immer gleichen Viertel der Gesellschaft mit hohen privaten Bildungsrenditen versehen. Karl Marx und Wilhelm von Humboldt fanden das schon ein paar Jahrhunderte zuvor für ungerecht. Frühkindliche Angebote hingegen sind immer stärker privat finanzierte Güter. Betreuungsgeld hingegen ist eine überkommene Familienpolitik.
Es spricht einiges für zahlreiche unpopuläre Entscheidungen:
Meritorisierung, also eben Zwangsbeglückung durch staatliche Kindergärten auch unter drei Jahren – mit individuell gestaltbaren Intensitäten, zeitlich und vom Anregungsangebot. Gesetzlicher Anspruch für staatlich errechnete 39 Prozent der Kinder ist das eine. Gut elf Prozentpunkte davon, also 220.000 Plätze, fehlen noch. Verschiebebahnhöfe zwischen Kommunen, Ländern und Bund sind die falschen Orte für die Aufholjagd in der Bildungsgerechtigkeit und der gender-neutralen Arbeitsmarktgerechtigkeit. Die nun kaum wirksamen Ausgaben für das Betreuungsgeld wären ein wichtiger Beitrag gewesen.
Erhöhung der staatlichen Bundes- statt geplanter Kommunalverantwortung und -finanzierung der im internationalen Vergleich deutlich unterfinanzierten Primarschule. Die demographischen Renditen, entstehend durch die geringeren Schülerzahlen, müssen also im System bleiben, um so Anregungsarenen zu schaffen, die die natürliche Lernlust der Kinder nicht derart professionell ausbremsen.
Die Bildungsrenditen von Akademikern sind beeindruckend – und dazu ohne Druck, sich an den Investitionen dafür privat zu beteiligen: 175.000 Dollar insgesamt oder fünf bis sechs Prozent pro zusätzlichem Bildungsjahr, so eine Studie aus dem Jahr 2010. Arbeitgeber und eben auch die Studierenden müssen im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit aber diese Investitionen mittragen.
Das unter das Betreuungsgeld druntergehobene Angebot einer staatlich kofinanzierten privaten Bildungsvorsorge (sogenanntes „Bildungssparen“) ist tatsächlich ein wichtiger mentaler Paradigmenwechsel weg von dem rein Öffentlichen Gut „Hochschulbildung“. Auch das medial schlechtgeredete und tatsächlich Hochschulen bürokratisch belastende Deutschland-Stipendium taugt zu einem solchen mentalen Paradigmenwechsel, zu einem „Matching Fund-Prinzip“ (Staat „matched“ private Spenden), das international üblichen staatlichen Anreizprogrammatiken zur privaten Hochschulfinanzierung entsprechen könnte. Intelligente Studiengebühren sind zudem keine Gebühren während des Studiums, sondern während der dadurch erreichten Arbeits- und Einkommensphase danach.
Das Fazit zum Verhältnis von Bildung und Wahl: Frühkindliche Erziehung wäre auch rechtlich im besten Sinne wahllos. Die Vermeidung von Verlusten bei Wiederwahlen geht noch immer durch giftige Geschenke – nicht selten im Modus des Kuhhandels. Ob nun Kita-Ausbau-Verzögerung, Betreuungsgeld oder Abschaffung der Studiengebühren: Alle Kühe in diesem Handel sind auf dem zu transparenten Glatteis von derart schlechter Qualität und damit nicht selten Anlass für politischen Vegetarismus, also Nicht-Wählerschaft. Nur sind die in Deutschland benachteiligten Klein- und Schulkinder nicht wahlberechtigt, deren Elternhäuser aus bildungsfernen und Zuwanderungs-Hintergründen nicht selten wahlunfähig und die Eliten hinsichtlich der Klientelpolitik der Parteien eben wählerisch.
Demokratie ist aber eine Tochter des Wissens seiner Wähler. Tun wir was dafür.
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