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Marie Rosenkranz studierte Kommunikation und Kulturmanagement an der Zeppelin Universität und Europawissenschaften an der Universität Maastricht. Nach Stationen beim European Democracy Lab, einem von Ulrike Guérot gegründeten gesellschaftspolitischen Thinktank zur Zukunft Europas, und Polis180, einem Grassroots-Thinktank für Außen- und Europapolitik, forscht sie seit September 2019 an der Zeppelin Universität zu Kunstaktivismus und kreativen Strategien des politischen Protests.
Plötzlich ist sie allgegenwärtig. Sie ziert Schaufensterpuppen, Memes, Emojis, Monumente, Popstars tragen sie, Politikerinnen und Politiker, Nachbarn, Freunde. Doch der Trend ist forciert, eine abrupte Intervention von Natur und Staat in die Welt des Tragbaren (von Mode möchte ich nicht sprechen) – kein Wunder, dass wir uns befremdet fühlen. Während man sich im Einzelnen vielleicht noch überwinden muss, der Maskenpflicht nachzukommen, so ist die Maske längst zum ikonischen Objekt der COVID-19 Pandemie geworden. Die kollektive Maskierung ist nicht nur Schutz, sondern wir bedienen uns einer der ältesten Kulturtechniken der Menschheit. Ein Blick auf die Kulturgeschichte der Maske hilft, in der Schutzmaske etwas mehr zu sehen als visualisierte Angst. Wie verhält sich die neue Konjunktur der Maske zu ihrer Kulturgeschichte? Was tun wir eigentlich, wenn wir uns maskieren? Schützen, tarnen, verkleiden wir uns?
Maskierungspraktiken stehen seit jeher im Zusammenhang mit Leben, Tod und Angst. So wird etwa am mexikanischen Día de los muertos, einem lebensfroh begangenen Fest, vor allem durch das Mittel der Maskierung der Toten gedacht. Die Masken zeigen dabei den menschlichen Schädel und überspitzen die Verletzlichkeit des Menschen dadurch so sehr, dass man jede Angst verliert. Nicht nur diese Ambivalenz der Maske, auch ihre Konjunktur lässt sich daher weit vor Corona datieren. Nicht zuletzt der Erfolg des Joker, dessen Neuverfilmung 2019 zu den weltweit meistgesehenen Filmen gehörte, demonstriert die Aktualität der Maske. Ihre visuelle Wirkmacht, ihre enge Verbindung zum Thema Tod, aber auch das Thema Protestikonik werden durch den Film eindrucksvoll popularisiert.
Die Maske ist seit jeher ein facettenreiches Protestsymbol. Ikonisch wurden etwa die Masken der russischen Punkband Pussy Riot oder die dem britischen Freiheitskämpfer Guy Fawkes nachempfundene Maske der Netzaktivistengruppe Anonymous. Dabei wird die Maske zu ganz unterschiedlichen politischen Zwecken eingesetzt und entwirft eine jeweils eigene Ästhetik, deren Ziel eben nicht nur Anonymität ist – Pussy Riot etwa sind namentlich bekannte Aktivistinnen –, sondern auch mediale Reichweite, Schock und Bedeutungsproduktion. Es ist durch die Maske, dass sich eine Aktion bereits vor einer sprachlichen Artikulation des Protests überhaupt als solcher konstituiert, sie trägt also zur spontanen Lesart des Gesehenen als Protest bei. Auch in der mexikanischen Zapatistenbewegung oder bei rechten terroristischen Vereinigungen wie dem amerikanischen Ku-Klux-Klan: Masken dienen zur ikonischen Einschreibung der Bewegungen in das gesellschaftliche Bewusstsein. Trotzdem spielt Anonymität eine entscheidende Rolle. Der Ku-Klux-Klan setzte die Anonymität der Maske zur Produktion eines unheimlichen Machtgefälles ein – die Täter sahen ihre Opfer, ihre Opfer sahen sie nicht. Ihre Silhouetten, die Masken, sie produzieren selbst in der Überlieferung tief verankerte gesellschaftliche Traumata – als Bilder, die sich nicht auslöschen lassen.
Es ist daher keine falsche Intuition, dieser plötzlichen Konjunktur der Maske gerade in ihrer Kopplung mit politischen Fragen nach Freiheit, Demonstrationsrecht und Biopolitik mit einem gewissen Unbehagen zu begegnen. Doch die genannten Beispiele zeigen auch: Wie die Maske eingesetzt wird, das ist gesellschaftlich zu bestimmen. Masken können auch ein Produkt positiver gesellschaftlicher Imaginationen sein, ein kulturelles Mittel, das Angst mindert und spielerisch thematisiert. Es ist von einer traurigen Ironie, dass sich Corona in Deutschland nicht zuletzt im Karneval verbreitet hat, einem Fest der Maskierung. Die Faszination der Maske besteht nämlich genau dort, in ihrem karnevalesken Einsatz, durch den sie so ziemlich jeden Affekt abzurufen und auszudrücken vermag: von Schrecken bis Humor, von Trauer bis Wahnsinn. Die Theatermaske imitiert ein anderes Dasein, wer sie trägt, schlüpft spielerisch und sichtbar in eine Rolle und imaginiert eine andere Wirklichkeit, ein anderes Ich. Die Maske trennt ein Innen und Außen, maskiert lebt es sich frei im Privaten, man kontrolliert den Auftritt im Öffentlichen – sie ist, wenn man will, ein Objekt des Liberalismus.
Auch im Alltag der Einzelnen hat die Maske diverse Funktionen. Die vielfältigen kommerziellen Masken in Form von Kosmetik, Instagram-Facefiltern, sogar der Hang zum inszenierten Selfie können als neuartige Formen von Maskierung gelesen werden, bei denen sich, wie bei der physischen Maskierung, das Spiel mit dem Anderssein durch digitale Hilfsmittel vollzieht. Auch hier geht es um Vergänglichkeit, doch nur selten um Protest – eher materialisiert die digitale Maske gesellschaftliche Erwartungshaltungen. Allein dadurch, aber auch durch den öffentlichen Einsatz dieser digitalen Masken sind sie nicht befreit von politischen Zusammenhängen. Mehr denn je nutzen wir unser Gesicht als alltägliches politisches Medium, werden zugleich aber auch zum Überwachungsobjekt. Haben Sie schon versucht, Ihr Handy mit Maske zu entsperren?
Die Maske wird gerade unweigerlich ein Symbol globaler Freiheitsbeschränkungen. Sie visualisiert ein ansonsten unsichtbares Virus, seine Gefahr, seine Effekte. Es ist ein doppelter Zwang: das Tragen der Maske, und das Realisieren, was passiert. Wir sind konfrontiert mit einer Ikonik der Verletzlichkeit, uns beschäftigt ein visualisierter Eingriff der staatlichen Autorität, auch der Autorität von Expertinnen und Experten. Doch was macht das mit der Maske? Was kann sie noch ausdrücken? Wie kann sie Objekt kultureller Aneignungspraktiken bleiben? In die Konstruktion von Symbolen kann jeder intervenieren, darin liegt ihr emanzipatorisches Potenzial. In den zahlreichen kreativen Aktionen zum Maskennähen, Nähtutorials, den solidarischen Verteilaktionen, dem Griff zur Theatermaske – im kulturellen Umgang mit der Maskenpflicht zeigt sich der demokratische Spielraum, der bleibt. Er mag klein sein, doch die Wirkmacht der Bilder ist groß.
Titelbild:
| Javardh / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Игорь Мухин in der Wikipedia auf Russisch (CC BY-SA 3.0) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Marie Rosenkranz
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm