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Andrea Schneiker, aufgewachsen in der Nähe von Kassel, studierte Politikwissenschaft und Soziologie mit Schwerpunkt Europastudien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und dem Institut d‘Etudes Politiques de Lille. Nach dem deutsch-französischen Doppeldiplomstudium promovierte sie am Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zur Selbst- und Koregulierung von Privaten Sicherheits- und Militärfirmen. Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft der Leibniz Universität Hannover und am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien der Universität Bremen, bevor sie eine Juniorprofessur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen an der Universität Siegen übernahm. Aufenthalte als Gastforscherin führten sie unter anderem an das Center for European and Mediterranean Studies der New York University und an die Nijmegen School of Management der Radboud University.
Woran es genau hapert, das hat ZU-Politologin Andrea Schneiker im Journalartikel „The UN and women's marginalization in peace negotiations“ untersucht. Die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 fordert, dass mehr Frauen in allen Phasen eines Friedensprozesses beteiligt werden sollen. Dazu gehören auch Friedensverhandlungen, die in der Diskussion um Frauen in Friedensprozessen – die sich meist um Peacekeeping durch sogenannte Blauhelmtruppen dreht – jedoch häufig vergessen werden.
In ihrem Bestreben, die Anzahl an Frauen in Friedensverhandlungen rund um den Globus zu erhöhen, setzen die Vereinten Nationen und andere Verfechter der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auf ein bestimmtes Narrativ, das sie wie ein Mantra vor sich hertragen: Frauen machten Friedensverhandlungen effektiver und inklusiver. Dieses Narrativ findet sich zum Beispiel in zahlreichen Policy-Reports, die von den Vereinten Nationen und anderen internationalen Akteuren veröffentlicht wurden. Auch wenn dieses Narrativ auf den ersten Blick den Eindruck erwecken mag, es träge zum Empowerment von Frauen in Friedensverhandlungen bei, so kann es doch die gegenteilige Wirkung haben und zur Marginalisierung von Frauen in Friedensprozessen beitragen.
Das Narrativ der Beteiligung von Frauen als Mehrwert für Friedensverhandlungen stützt sich auf folgende Argumentation: Erstens brächten Frauen Verhandlungen inhaltlich voran, weil sie Themen in Friedensverhandlungen einbrächten, die über die Beendigung physischer Gewalt hinausgehen – zum Beispiel Menschenrechte im Allgemeinen oder Frauenrechte im Speziellen. Zweitens seien Frauen freundlicher und kompromissorientierter als Männer, was sich positiv auf die Atmosphäre in Verhandlungen auswirke, Blockaden überwinden helfe und so den Verhandlungsprozess voranbrächte. Drittens hätten Frauen enge Verbindungen zu zivilgesellschaftlichen Akteuren im Allgemeinen und Frauengruppen im Speziellen, was die Zustimmung breiter Teile der Gesellschaft zum Abkommen sicherstellen würde. Die Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen kann zu diesen Effekten führen. Wird die Argumentation allerdings darauf reduziert, dass Frauen Mehrwert generieren, führt dies zu ihrer Marginalisierung.
Einerseits lässt dieses Narrativ Frauen – so sie es denn an den Verhandlungstisch geschafft haben – wenig Spielraum, da es bestimmte Verhaltensweisen (Einsatz für Frauenrechte, freundliches und kompromisssuchendes Auftreten und Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft) vorgibt. Halten sich Frauen in Friedensverhandlungen nicht an diese Vorstellungen internationaler Akteure und treten zum Beispiel statt für Frauenrechte für nationalistische Ziele ein, riskieren sie, von internationalen Akteuren dafür abgestraft zu werden und deren Unterstützung zu verlieren. Die Unterstützung internationaler Akteure ist jedoch wichtig für Frauen, da sie auf nationaler Ebene meist wenig bis keine einflussreiche Unterstützung haben.
Andererseits steht das auf Effektivität basierende Argument der Beteiligung von Frauen als Mehrwert für Verhandlungen oft im Widerspruch zu geschlechtsspezifischen Stereotypen und daraus resultierenden Erwartungen an das Verhalten von Frauen in Friedensverhandlungen der lokalen Konflikt- und Verhandlungsparteien. Für Letztere bedeutet 1) die Integration von Themen wie Frauenrechten oft eine Gefährdung der Verhandlungen, 2) ein freundliches und kompromisssuchendes Auftreten von Frauen deren Führungsschwäche und 3) die Verbindung von Frauen zu zivilgesellschaftlichen Akteuren die Erweiterung der Verhandlungsparteien und eine Bedrohung der eigenen Machtposition. Entsprechend werden Frauen von den lokalen Verhandlungsparteien als Verhandlerinnen abgelehnt und zwar genau auf Basis der gleichen Argumente, mit denen internationale Akteure die Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen einfordern.
Die Vereinten Nationen und andere Akteure, die die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ unterstützen, sollten also ihre Strategie ändern, um die Ziele der Resolution 1325 zu erreichen und die Anzahl von Frauen in Friedensverhandlungen zu erhöhen. Sie sollten zum Beispiel nicht auf überkommene geschlechtsspezifische Stereotype setzen, sondern die lokale Ebene stärker in den Blick nehmen. Denn letztlich sind es die lokalen Verhandlungsparteien, die darüber entscheiden, welche Rolle Frauen in Friedensverhandlungen spielen können. Daher sollten die Vereinten Nationen nicht nur eine feste Quote für Frauen in Friedensverhandlungen einfordern und ihre Unterstützung daran binden. Sie sollten auch diejenigen, die einer Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen auf der lokalen Ebene entgegenstehen, sowie deren Gründe hierfür identifizieren, um gezielt Gegenargumente und -strategien zu entwickeln.
Diese Forderungen scheinen utopisch, doch wenn es die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft insgesamt ernst meinen mit der Resolution 1325 und der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“, dann müssen die bisherigen Strategien und Narrative durch neue ersetzt werden.
Titelbild:
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Bild im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Andrea Schneiker
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm