Sie befinden sich im Archiv von ZU|Daily.

ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.

Imagination freispielbarer Zukünfte
NAVIGATION

„Unlock the Future?“

Let’s play: Zur Imagination freispielbarer Zukünfte

von Anna Staab | Zeppelin Universität
01.11.2021
Zukunft verleiht der Gegenwart einen Horizont, der geschlossen und offen verstanden werden kann.

Anna Staab
Akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologische Theorie
 
  •  
    Zur Person
    Anna Staab Anna Staab, geboren 1990, studierte Kulturwissenschaft und Dramaturgie in Friedrichshafen, Maastricht und München und war 2015 Visiting Research Fellow am Department für Soziologie und Anthropologie der Hebräischen Universität Jerusalem. Seit 2016 eigene Theaterarbeiten in der freien Szene u.a. in Marburg und München, daneben Tätigkeiten als Produktionsdramaturgin am Theaterhaus Jena und am Residenztheater München. Seit September 2019 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologische Theorie der Zeppelin Universität und forscht zu Wissen und Wahrheit des zeitgenössischen Theaters.
  •  
    Factbox
    Johann Huizinga: Kultur aus dem Spiel

    In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga eine Kulturtheorie aus dem Spiel. Er untersuchte das Spiel nicht als etwas in Kulturen vorkommendes, sondern die Kultur als etwas aus dem Spiel entstehendes. Mit dem Erklärungsmodell des homo ludens, wörtlich: des spielenden Menschen, setzte er das Spiel als anthropologische Konstante vor die Kultur: Der Mensch, so Huizinga (und vor ihm auch schon Schiller) sei immer schon Spielender. Aus den Charakteristika und Erscheinungsformen des Spiels und des Spielens ließen sich alle kulturellen Entwicklungen der Menschheit erklären. „Spiel“ ist, für Huzinga, ein Erstbegriff beziehungsweise aus kulturhistorischer Perspektive: ein Letztbegriff – man landet, wenn man kulturelle Phänomene untersucht und auf ihren Ursprung zurückverfolgt, laut Huizinga immer beim Spiel –, dessen formale Kennzeichen Huizinga so definiert: Spiele finden freiwillig und in klar vom Alltag abgegrenzten räumlichen und zeitlichen Situationen statt. Dabei gelten verbindliche, fast heilige Regeln – allerdings ohne, und das ist essenziell, dass sich die Spielenden über das Verhältnis von Schein und Wirklichkeit täuschen würden. Spannung entsteht nicht trotz der Virtualität, sondern wegen der im Spiel konsistenten Regeln und Logiken, die Ungewissheiten und Chancen offenhalten, die anderswo – im Alltag – nicht zu haben sind.

    Exkurs: Verschwörungserzählungen als Alternate Reality Games

    In seinem Videoessay This is not a game beschreibt der Regisseur und Medienkünstler Arne Vogelgesang die Parallelen der Verschwörungserzählung QAnon mit sogenannten Alternate Reality Games (ARGs). Die interaktive, immersive und transmediale Form, zu der auch ein „sokratischer Stil der Botschaften“ gehöre, erschafft, so Vogelgesang, eine „politische Wirklichkeit 2. Ordnung“, die die Wahrnehmung der Teilnehmenden verschiebe. Vogelgesang unterscheidet dabei Spieldesigns mit klarer Grenze zur Realität von solchen, in denen sich die Grenze zwischen Realität und Fiktion aufzulösen beginnt und die Spielenden in Apophänie abdriften – das Erkennen von Mustern und Zeichen, wo keine sind.

  •  
    Mehr ZU|Daily
    „Zukunftsmusik“ der Vergangenheit
    Um die Zukunft, ihre Möglichkeiten, Chancen und Risiken ging es beim Sommerfest der Zeppelin Universität. Joachim Landkammer hat sich dem Problem der Zukunft aus der Perspektive der Vergangenheit genähert. Ein Zusammenschnitt.
    Noch vernetzt oder schon verbunden?
    Machen soziale Medien uns unglücklich? Dieser Frage sind ZU-Wissenschaftlerin Sara Alida Volkmer und Daragh O’Leary von der Cork University Business School in einem kürzlich erschienenen Journalartikel auf den Grund gegangen.
    Das Ende der Menschheit?
    Michel Foucault war überzeugt davon, dass die Menschheit einmal verschwinden wird. Ganz so dramatisch ist der Zustand der Welt zum Ende der Corona-Pandemie nicht, doch droht der Mensch gerade einen Teil seiner selbst zu verlieren, meint ZU-Professor Jan Söffner.
  •  
     
    Hä...?
    Haben Sie Fragen zum Beitrag? Haben Sie Anregungen, die Berücksichtigung finden sollten?
    Hier haben Sie die Möglichkeit, sich an die Redaktion und die Forschenden im Beitrag zu wenden.
  •  
    Teilen

Das semantische Feld von „Unlock the Future“, des Mottos des diesjährigen Sommerfestes, erlaubt die Assoziation mit einem Medium, in dem es ständig Figuren, Ausrüstungsgegenstände oder Levels zu „unlocken“ oder eben „freizuspielen“ gilt: Dem Medium des Computerspiels. „Unlock the Future“ ist in diesem Verständnis eine Aufforderung zum Freispielen der Zukunft, bezieht also die Kulturtechnik des Spiels mit der auf etwas Abwesendes, noch nicht Eingetretenes verweisenden Zeitform der Zukunft.

 
Zukunft verleiht der Gegenwart einen Horizont, der geschlossen und offen verstanden werden kann. Die Vorstellung eines das Weltgeschehen abschließenden Jüngsten Gerichts des mittelalterlichen Christentums gilt genauso als „Zukunft“ wie das geschichtsphilosophische Verständnis der Aufklärung oder die Erwartung eines durch den Menschen gestaltbaren, aber noch gänzlich unbekannten Möglichkeitsraums (Reinhart Koselleck hat mit der Beobachtung des Auseinanderfallens von „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ auch die Wiederkehr einer „alte[n] Verhältnisbestimmung“ als Möglichkeit in Aussicht gestellt: „je größer die Erfahrung, desto vorsichtiger, aber auch desto offener die Erwartung“). Gemeinsam ist diesen Zukünften ihre mediale Vermitteltheit – erst (oder vielmehr: schon) Erzählformen wie Prophezeiung, Prognose, Apokalypse oder Utopie erlauben ihnen, selbst Form anzunehmen – sowie ihr Gegenwartsbezug: Zukunft wirkt immer, wie Benjamin Bühler und Stefan Willer es formulieren, als „regulative Fiktion“ auf die Gegenwart. Man könnte auch sagen: Sie existiert nur in der Gegenwart, in je spezifischen Formen des Umgangs mit Nichtwissen, von denen die Vorstellung freispielbarer Zukünfte eine ist. Und ob Utopie oder Schreckensszenario, ob ohnehin auf einen zukommendes, unabwendbares Schicksal oder kontingentes, also auch anders mögliches und damit auch potentiell aus der Gegenwart heraus veränder- und gestaltbares Unbekanntes: Wie wir über Zukunft denken oder sprechen – und damit auch, ob wir sie für erzählbar oder erspielbar halten –, hat Auswirkungen auf die Zukunft selbst. Die Qualität einer guten Zukunftsvorhersage lässt sich also wahrscheinlich weder daran bemessen, ob sie eintrifft, noch daran, ob sie verhindert werden kann.

 
Was sich stattdessen beobachten lässt, ist, wie sich imaginierte Zukunft und ihre gegenwärtige Erzählform gegenseitig entwerfen, oder, spezifischer: Dass was in der Gegenwart für ein Spiel gehalten wird oder zum Spiel gemacht wird je spezifische Zukünfte entwirft, und dass umgekehrt die Frage, wie man Zukunft für möglich oder welche Zukünfte man für möglich hält, Einfluss darauf hat, welche Spiele man in der Gegenwart oder: wie man die Gegenwart spielt.

2019 entwickelt die Produktionsfirma Sehsucht für den Sportartikelhersteller PUMA die Kampagne Unlock New Levels für den Launch von PUMAs neuer Fußballkollektion. Teil der Kampagne ist ein Computerspiel, in dem die Spielerinnen und Spieler als berühmte Fußballspieler auf dem Platz antreten und durch das Besiegen teils übermächtig erscheinender Kontrahenten neue Level freispielen.

Antoine Griezmann, so die Ankündigung in einem der Werbevideos der Kampagne „Unlock New Levels”, „blurs the line between the real and virtual worlds of football”. Beworben wird der Fußballschuh „Future”.
Antoine Griezmann, so die Ankündigung in einem der Werbevideos der Kampagne „Unlock New Levels”, „blurs the line between the real and virtual worlds of football”. Beworben wird der Fußballschuh „Future”.

„Freispielbares Level“ heißt in dieser Art von Spiel: Es gibt ein Spieledesign, in dem das Besiegen von Endgegnerinnen und Endgegnern oder Anführen von Ranglisten neue, häufig schwierigere Terrains, stärkere Gegnerinnen und Gegner oder kompliziertere Routen spielbar macht. Komplexere Spieledesigns sehen unterschiedliche mögliche Wege durchs Spiel vor; gleich bleibt aber, dass nichts entdeckt und gestaltet werden kann, was nicht schon als Möglichkeit in das Spiel eingeschrieben wurde. „Unlock“ lässt sich in diesem Verständnis nicht nur mit „freispielen“, sondern auch mit dem deutlich technischeren Begriff „freischalten“ übersetzen.

 
Die Strukturelemente dieser Computerspiele, häufig als „Quests“ bezeichnet, erinnern an die Prüfungen, denen sich im antiken griechischen Drama die Helden regelmäßig ausgesetzt sahen. Als Bekannteste davon kann wahrscheinlich das Rätsel der Sphinx aus der Ödipus-Sage gelten: Das Untier belagert die Stadt Theben und tötet alle, die es passieren und das von ihm gestellte Rätsel nicht lösen können. Kreon verspricht daraufhin demjenigen den Thron von Theben, der das Rätsel der Sphinx löst; Ödipus, dem das gelingt, wird so König von Theben und heiratet die kürzlich verwitwete Königin Iokaste. Diese Vorstellung von „freispielbarer Zukunft“ ist, zumindest aus Perspektive der Spielerin oder der Zuschauerin, unabhängig von dem, was die Protagonistinnen und Protagonisten tun, längst existent und für den Spieledesigner oder das Orakel (und auch für regelmäßige Theatergängerinnen und Theatergänger oder die bereits mit dem Spiel Vertrauten) auch schon bekannt. Man kann sie nur aufschließen, wie man „unlock“ auch übersetzen könnte, aber nicht verändern. „Unlock the Future“ lässt sich in diesem Sinne als Drohung mit einer nicht endenden Gegenwart verstehen; die Gegenwart als Escape Room, aus dem es zu entkommen gilt. Wer die Regeln des Spiels nicht kennt oder an den zu lösenden Aufgaben und Rätseln scheitert, hat keine Zukunft oder kommt nie in ihr an.

 
Diese Vorstellung von Zukunft lenkt den Blick zum einen darauf, dass jemand diese Zukunft designed hat: Je nach Medium und Zukunftsvorstellung, aber auch je nach Beobachter geraten die Spieledesignerin, die Götter oder der Autor als Erfinder der freispielbaren Zukunft ins Bewusstsein. Zum anderen wird, vor allem in den Dramen, aber auch deutlich, dass nicht jede Zukunft eine bessere Gegenwart ist und man manches Level lieber nie freigespielt hätte. Exemplarisch wieder Ödipus: Theben wird in seiner Amtszeit von einer Seuche (!) heimgesucht, die laut Orakel überwunden werden kann, wenn der Mörder des ehemaligen Königs von Theben und Exmanns von Iokaste, Laios, ermittelt werden kann. Wieder ist Ödipus erfolgreich – erkennt sich damit aber als Mörder seines Vaters, Mann seiner Mutter und Halbbruder seiner Kinder. Das Lösen des Rätsels der Sphinx machte Ödipus eben nicht nur zum König von Theben, sondern auch, zunächst unwissentlich, zum Erzeuger seiner eigenen Halbgeschwister. Teil des Dramas ist: Auch Vatermord und Inzest waren Ödipus vom Orakel prophezeit worden; er, der er seine leiblichen Eltern nicht kannte, hatte sich gerade um diesen Orakelspruch zu verhindern nach Theben begeben. Intendierte freigespielte Belohnungen oder Levels – Thron von Theben, Familie, seuchenfreie Stadt – fallen zusammen mit unwissentlichem Vatermord und Inzest und schließlich deren Erkenntnis, die zum Selbstmord Iokastes führt, während Ödipus sich wünscht, nie gesehen zu haben, nie wieder sehen zu müssen, und sich blendet. Genau genommen wird nicht die Zukunft, sondern das zum falschen Zeitpunkt – nicht früh genug, dann aber verhängnisvollerweise doch – erlangte, freigespielte Wissen zum Problem. Zukunft heißt in diesem Verständnis von Spiel: Nicht-Wissen, Noch-Nicht-Kennen, zeitweise eben auch, nur kurzzeitig gnädig: nicht wissen müssen.

Ein anderes Spiel mit einer anderen Zukunft – oder eben: eine andere Zukunft mit einem anderen Spiel – lässt sich in den Videoinstallationen Ernste Spiele/Serious Games I – IV aus den Jahren 2009 und 2010 des Filmemachers Harun Farocki beobachten. Farocki zeigt darin in großformatigen Aufnahmen Szenen aus Ausbildungsstätten der US Army und der US Air Force. Zu sehen sind Soldaten, die mit Computerspielen, deren Szenerien irakische oder afghanische Landschaften simulieren oder abbilden, auf Auslandseinsätze vorbereitet oder im Nachgang an sie traumatherapeutisch behandelt werden.

Videostill aus Harun Farockis „Serious Games I: Watson is Down“: „Ich sehe nichts.“
Videostill aus Harun Farockis „Serious Games I: Watson is Down“: „Ich sehe nichts.“

Der Verdacht, dass auch die Virtualisierung der noch anstehenden Kriegseinsätze gewünschter Effekt dieses Trainings ist, liegt nahe. Aber auch die Nachbereitung der Einsätze, die Therapie von Traumata durch ein vermeintliches Wiedererleben im Spiel, kann auf spezifische Weise als Vorbereitung auf neue Einsätze gelten, die einerseits auf typisierten vergangenen Ereignissen aufbaut und diese in der vermeintlichen Wiederholung andererseits auch vor-ahmt, präformiert. Das Spiel erlaubt, anders gesagt, ein Training, eine Probe, einen Testlauf oder eine Wiederholung, ein Wiedererleben von Wirklichkeit im geschützten, klar von der Wirklichkeit unterschiedenen Modus des Spiels, der zum Ziel hat, diese klare Grenze aufzulösen. Es ordnet eine antizipierte Wirklichkeit entlang von Unterscheidungen wie Freund/Feind oder irrelevantes Objekt/interpretationsbedürftiges Zeichen um den erwünschten oder in Kauf genommenen Preis, dass diese zukünftige Wirklichkeit in Form dieser Ordnung geschaffen wird. Zukunft wird in dem Sinne freigespielt, dass im Spiel die Unterscheidung zwischen Spiel und dann möglicher Wirklichkeit porös wird; dass im Spiel eine Welt für möglich gehalten wird, die dann Gegenwart wird, weil mit ihr gerechnet wird. Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga beschreibt solche Spiele, denen eine Funktion über die Nachahmung in der Spielsituation hinaus zukommt, als „heilige Handlungen“ und „Kult“, als „mystische Verwirklichungen“; konkludiert, mit Verweis auf religionssoziologische Überlegungen von J. E. Harrison und R. R. Marret: „Seine Funktion [die des Kultes, AS] ist nicht bloß ein Nachahmen, sondern ein Anteilgeben oder Teilnehmen. Es ist ein «helping the action out».“

Johann Huizinga: Kultur aus dem Spiel


Auch das Gegenwartstheater kennt diese Form des (Schau-)Spiels: In interaktiven, das Publikum einbeziehenden oder immersiv in Gefangenschaft nehmenden Inszenierungsformen des zeitgenössischen Theaters sollen durch Erfahrungen von Wirklichkeit kommende Ereignisse und andere Wirklichkeiten denkbar gemacht und schließlich vorweggenommen werden. Formate wie das Pre-Enactment sind als Probe von Zukunft angelegt: Als Versuch, aber auch als Einstudieren durch Wiederholung. Die Außeralltäglichkeit des Spiels und dessen räumliche und zeitliche Abgeschlossenheit erlaubt ein versuchsweises anders und neu ordnen von Wirklichkeit, das diese Ordnungen als ebenfalls mögliche, aber eben nicht realisierte Wirklichkeiten erfahrbar und dadurch erwartbar macht. Auch diese Zukunft wird von (Schau-)Spieledesigner:innen entworfen, aber in Form einer Präformierung oder Vorahmung.

 
Anders als beim freizuspielenden Level rechnen diese Spiele um Zukunft mit Kontingenz und begegnen ihr mit der Etablierung von Unterscheidungen, die, was auch kommt, auf bestimmte Weise einzuordnen erlauben oder erzwingen. Die Außeralltäglichkeit des Spiels wird zum Ausgangspunkt, um die klare Unterschiedenheit von Alltag und Spiel aufzulösen. Freigespielt wird genau genommen die Zukunft als eine Gegenwart, in der dann überall Aufgaben, Zeichen, Mitspielerinnen und Mitspieler sowie Gegnerinnen und Gegner antizipiert werden. In der Virtualisierung und Präformierung der zukünftigen Wirklichkeit der Serious Games und der Pre-Enactments dringt nicht die Wirklichkeit ins Spiel ein, sondern entgrenzt sich das Spiel in eine Wirklichkeit, die für die Spielenden zum Spiel wird. Serious wird diese Entgrenzung dann, wenn sie die Spielenden gleichzeitig im Unwissen über die Grenze zwischen Schein und Wirklichkeit lässt; serious sind, anders gesagt, die von Harocki gezeigten Games nicht wegen der Verbindlichkeit ihrer Regeln während des Spiels – diese gelten, so Huizinga, innerhalb von Spielen immer mit nahezu heiligem Ernst –, sondern weil für die die Spielenden im Alltag unentscheidbar wird, was Teil des Spiels ist und wann gespielt wird.

Exkurs: Verschwörungserzählungen als Alternate Reality Games


Die gezeigten Verbindungen von je spezifischer Zukunft mit je spezifischer Gegenwart durch das Medium des Spiels/die Kulturtechnik des Spielens öffnen zum einen den Blick für hier nicht benannte, mögliche Konstellationen von Spiel und Zukunft (denkbar wären beispielsweise ein „Frei Spielen“ im Sinne eines Experiments, eines Wagnisses und einer Probe mit Nähe zu Wissenschaft und Kunst, das sich insofern auf Zukunft bezieht, als es mit ihr als unbekanntem Möglichkeitsraum rechnet; das der „mystischen Verwirklichung“ gewissermaßen entgegengesetzte „Freispielen“ als Entlasten des Alltags von einer Wirklichkeit, die in diesem eben „nur“ im Spiel vorkommen darf; das „Freispielen“ im Sinne eines Freisetzens der Zukunft, das diese von der Gegenwart und von gegenwärtigem Erwartungsdruck löst). Zum anderen werfen sie die Frage auf, ob der Begriff einer „freispielbaren Zukunft“ für die Gegenwart als Pleonasmus gelten kann; ob es, anders gesagt, zeitgenössische Vorstellungen von Zukunft gibt, die sich nicht mit gegenwärtigen Spielen in Verbindung bringen lassen. Sie versehen gewissermaßen den Appell zum „Unlock the Future“ mit einem Fragezeichen, das zu beobachten erlaubt, welche gegenwärtigen Spiele welche Zukünfte entwerfen und, wann immer eine beziehungweise einer eine Zukunft gestalten, schützen, holen oder auf sich zukommen lassen will, danach zu fragen, welche gegenwärtigen Spiele das impliziert.

  • Bühler, Benjamin/ Willer, Stefan (2016): Einleitung, in dies. (Hg.): Futurologien : Ordnungen des Zukunftwissens. Paderborn: Wilhelm Fink, S.9-21.
  • Huizinga, Johan (2006): Homo ludens: vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
  • Koselleck, Reinhart (2010): Erfahrungsraum und Erwartungshorizont, in ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/M.: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, S.349-375.
  • Muhle, Maria (2019): Preenactment zwischen Präfiguration und Wiederholung, in: Czirak, A. et al. (Hg.): Performance zwischen den Zeiten. Bielefeld: transcript Verlag, S. 65-78.
  • Tecklenburg, Nina/Lindholm, Sven (2019): „Zukunft als Erfahrung ermöglichen“: Ein Gespräch über Theorie und Praxis des (P)Reenactments, in: Czirak, A. et al. (Hg.): Performance zwischen den Zeiten. Bielefeld: transcript Verlag, S.23-36.

Titelbild: 

| Ameer Basheer / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Puma / Pressebilder (alle Rechte vorbehalten) | Link

| Harun Farocki (alle Rechte vorbehalten) | Link


Beitrag und Bildunterschriften: Anna Staab

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

nach oben
Zeit, um zu entscheiden

Diese Webseite verwendet externe Medien, wie z.B. Videos und externe Analysewerkzeuge, welche alle dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Dabei werden auch Cookies gesetzt. Die Einwilligung zur Nutzung der Cookies & Erweiterungen können Sie jederzeit anpassen bzw. widerrufen.

Eine Erklärung zur Funktionsweise unserer Datenschutzeinstellungen und eine Übersicht zu den verwendeten Analyse-/Marketingwerkzeugen und externen Medien finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.